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Vermisste Kunstwerke tauchen 80 Jahre nach dem Krieg wieder auf

Die Görlitzer Sammlungen verloren im Krieg eine große Zahl an Kunstwerken. Im Kunsthandel entdecken die Experten einige davon. Der Großteil der Schätze ist aber verschwunden.

Von Ines Eifler
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Pressesprecherin Ina Rueth und Kunsthistoriker Kai Wenzel von den Görlitzer Sammlungen mit einem Werk Bernhard Kretzschmars vor Lesser Urys "Jerusalem", dem ersten zurückgekehrten Kriegsverlust 2006.
Pressesprecherin Ina Rueth und Kunsthistoriker Kai Wenzel von den Görlitzer Sammlungen mit einem Werk Bernhard Kretzschmars vor Lesser Urys "Jerusalem", dem ersten zurückgekehrten Kriegsverlust 2006. © Martin Schneider

Als das bedeutende Monumentalgemälde "Jerusalem" von Lesser Ury 2006 ins Kulturhistorische Museum der Stadt Görlitz zurückkehrte, war das eine Sensation.

Eine Schweizer Kunstgalerie hatte es dem Jüdischen Museum Berlin verkaufen wollen, aber der Besitzer konnte nicht nachweisen, der rechtmäßige Eigentümer zu sein. Die Stadt Görlitz konnte es. Das Gemälde des impressionistischen jüdischen Künstlers aus dem Jahr 1896 war ein Geschenk an das Museum gewesen und galt seit 1945 als verschwunden.

Nach einem langwierigen Rechtsstreit gelangte es über 60 Jahre später wieder ins Görlitzer Museum. Seit der Sanierung des Kaisertrutzes 2011 hängt es hier an prominenter Stelle und markiert den Beginn einer Entwicklung, die zahlreiche Geschichten um die Wege und Irrwege von Kunst zutage fördert.

Seit zehn Jahren tauchen verlorene Werke auf

Inzwischen kommt es häufiger vor, dass verloren geglaubte Kunstwerke wieder auftauchen, zuletzt ein Stillleben des Dresdener Künstlers Bernhard Kretzschmar von 1917, das in der NS-Zeit als "entartet" galt, seit 1945 "verschollen" war, vor einiger Zeit im Kunsthandel angeboten wurde und 2021 dank einer Förderung der Sächsischen Landesstelle für Museumswesen angekauft werden konnte.

Katja Mieth, Direktorin der Landesstelle für Museumswesen, mit dem "Stillleben mit Äpfeln, Kürbis und Flasche" von Bernhard Kretzschmar im Kaisertrutz. Die Landesstelle unterstützte den Ankauf.
Katja Mieth, Direktorin der Landesstelle für Museumswesen, mit dem "Stillleben mit Äpfeln, Kürbis und Flasche" von Bernhard Kretzschmar im Kaisertrutz. Die Landesstelle unterstützte den Ankauf. © Martin Schneider

Dazwischen liegt eine Reihe weiterer nach dem Zweiten Weltkrieg vermisster Kunstwerke, auf die das Museum meist durch Zufall gestoßen ist. Gemälde etwa von Alexander Kanoldt und Johann Alexander Thiele oder eine großformatige Zeichnung von Christoph Nathe sind darunter, aber auch ganze Konvolute zahlreicher Druckgrafiken aus dem 16. bis 18. Jahrhundert konnte das Museum zurückerwerben.

Der Kunsthistoriker Kai Wenzel hat die Geschichten all dieser wiedergefundenen Werke zusammengetragen und darüber im kürzlich erschienenen "Görlitzer Magazin 34" geschrieben. "Es ist auffällig, dass seit etwa zehn Jahren verstärkt Werke im Kunsthandel auftauchen, die einst zum Bestand der Görlitzer Sammlungen gehörten", sagt er.

Der größte Teil der Görlitzer Sammlung ging 1945 verloren

Ab 1943 waren aus Sorge vor einer Bombardierung der Stadt Tausende Objekte aus Görlitzer Kirchen, dem Museum, dem Ratsarchiv, der OLB und aus Privatbesitz in sieben Schlösser der Umgebung ausgelagert worden, teilweise westlich, vor allem östlich der Neiße. Ein Teil der Kunst verblieb auch im damaligen Kaiser-Friedrich-Museum, heute Dom Kultury.

2015 erwarb das Museum mithilfe seines Fördervereins eine großformatige Zeichnung von Christoph Nathe (1753-1806) zurück, Schatzmeisterin Cornelia Herbst mit Kai Wenzel.
2015 erwarb das Museum mithilfe seines Fördervereins eine großformatige Zeichnung von Christoph Nathe (1753-1806) zurück, Schatzmeisterin Cornelia Herbst mit Kai Wenzel. © Nikolai Schmidt

Unter diesen Auslagerungen waren sowohl die bedeutendsten Schätze der Stadt Görlitz, die teilweise aus dem Mittelalter stammten und Zeugen der ruhmreichen Geschichte der einstigen Handelsstadt waren, als auch 7.000 bis 8.000 Objekte und Konvolute des Städtischen Museums.

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Durch die Teilung der Stadt, der neuen Lage einiger Auslagerungsorte in Polen und der Beschlagnahmung der Schlösser auf deutscher Seite konnten die Görlitzer ihre Schätze nicht zurückholen, zumal sie 1945 ganz andere Sorgen hatten. Durch Plünderungen, Einquartierung von Flüchtlingen, durch die Verteilung der östlich der Neiße lagernden Kunstwerke auf die Museen Polens und weitere Umstände wurden die Görlitzer Schätze in alle Winde verstreut.

Verluste von 1945 wurden nie ausgeglichen

Inzwischen sind nur noch wenige Käufer jener Kunst am Leben, die nach den Wirren von Krieg, Verfolgung und Vertreibung zu günstigen Preisen auf den Markt kam. Haben die Nachfahren keinen Bezug zu diesen Werken, tauchen sie häufig im Kunsthandel auf. "Dass sie zu uns zurückfinden, geschieht dennoch selten", sagt Kai Wenzel. Zwar seien dank der vollständig erhaltenen Inventarlisten alle Kriegsverluste des Museums in der weltweit verfügbaren Datenbank Lost Art zu finden, doch systematisch danach suchen könne man nicht.

"Bis heute hat sich nie jemand systematisch mit den alten Inventarlisten und den Verlusten beschäftigen können", sagt Kai Wenzel, "in der DDR war das ja auch politisch nicht gewollt." Der Großteil der damaligen Sammlung war 1945 verloren, also legte man neue Listen an und sammelte weiter. Heute verfügt das Museum zwar über etwa eine halbe Million Objekte. "Aber das meiste davon kam erst nach 1945 dazu."

Darunter ganze Sammlungen wie etwa die der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften. "Es ist nie gelungen, die schweren Verluste von 1945 wieder auszugleichen", sagt Wenzel. Auch sei das Görlitzer Museum dasjenige, das am schwersten von der Grenzziehung an Oder und Neiße betroffen wurde, ein Sonderfall.

Polnische Museen interessiert an Geschichte ihrer Bestände

Inzwischen ändere sich jedoch auch viel in polnischen Museen. "Sie möchten selbst gern mehr über die Geschichte ihrer Objekte erfahren", sagt Kai Wenzel. "Häufig haben sie keine Ahnung, woher sie stammen." Die neue Generation von Museumsleitungen sei nicht mehr ängstlich, dass sie Kunst aus ehemals deutschen Museen zurückgeben müsse. Deshalb sei hier Potenzial für zukünftige Forschungen, mehr über den Verbleib der Görlitzer Bestände zu erfahren.

2018 konnte das Museum nach mehreren Jahren das verlorene Ölbild "Südlicher Hafen bei Tag" von Johann Alexander Thiele (1685-1752) erwerben. Auch hier half die Landesstelle für Museumswesen.
2018 konnte das Museum nach mehreren Jahren das verlorene Ölbild "Südlicher Hafen bei Tag" von Johann Alexander Thiele (1685-1752) erwerben. Auch hier half die Landesstelle für Museumswesen. © Nikolai Schmidt

Zum anderen seien Auktionshäuser und Kunsthändler heute dafür sensibilisiert, auf die Herkunftsgeschichte der Werke zu achten, bevor sie verkaufen oder vermitteln. Begonnen hat diese Entwicklung 1998 mit der "Washingtoner Erklärung". Darin beschlossen 44 Länder der Welt, Kunst jüdischer Eigentümer, die zwischen 1933 und 1945 durch Diebstahl, Enteignung, Beschlagnahmung oder Raub in unrechtmäßigen Besitz gelangte, an die Erben zurückzugeben.

Glas erzählt in Australien von Görlitzer NS-Raubkunst

In dieser Hinsicht hat das Görlitzer Museum seine Bestände mit der Hilfe zweier externer Wissenschaftlerinnen ab 2016 genau untersucht. Diese fanden heraus, dass unter den rund 1.500 Neuzugängen während der NS-Zeit etwa 120 Raubkunstobjekte waren. "Zehn Prozent aller Erwerbungen sind relativ viel", sagt Kai Wenzel. Der damalige Museumsleiter Siegfried Asche und auch andere Museen in Schlesien hätten wenig Skrupel gehabt und alles daran gesetzt, ihre Sammlungen zu vervollkommnen.

Der Großteil dieser 120 Objekte wurden 1945 ebenfalls ausgelagert. Alle anderen, ein gutes Dutzend, wurden entweder zurückgegeben oder den rechtmäßigen Eigentümern zum aktuellen Marktpreis abgekauft. Ein Glas, das Siegfried Asche unrechtmäßig in die Sammlung aufnahm, erzählt heute im jüdischen Museum Sydney von der düsteren Geschichte um NS-Raubkunst, aber auch von deren Rückführung aus Görlitz an die Nachkommen.

Siegfried Asche ergänzte die Sammlung jedoch nicht nur, er trennte sich auch von Werken bestimmter Künstler, um die Finanzen des Museums aufzubessern, ohne es in den Inventarlisten zu vermerken. Deshalb tauchen manchmal Bilder im Kunsthandel auf, die in Görlitz lange als Kriegsverlust galten, aber für die es doch einen Kaufvertrag gibt, unterzeichnet von Siegfried Asche.

Ein Beispiel dafür ist eine Ölstudie des Impressionisten Max Liebermann, der Jude war und dessen Kunst als "entartet" galt, aber dessen Bilder auf dem internationalen Kunstmarkt auch in der NS-Zeit hohe Preise erzielten. Der Rückkaufversuch des Museums scheiterte aber.