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Der Mann, der in Sachsen Häuser für 500 Euro anbietet

Karl-Leo Spettmann saß im Gefängnis, weil er mit Schlüsseldiensten Kunden abgezockt hat. Jetzt ist er wieder frei und kauft in Sachsen marode Gebäude.

Von Ulrich Wolf & Ingo Kramer
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Daheim am Niederrhein hat sich Karl-Leo Spettmann ein Rückzugareal geschaffen. In Sachsen ersteigert er marode Häuser.
Daheim am Niederrhein hat sich Karl-Leo Spettmann ein Rückzugareal geschaffen. In Sachsen ersteigert er marode Häuser. © Rheinische Post/Archiv

Tief im Westen Deutschlands endet die Spurensuche. In Geldern, einer Kleinstadt, nur ein paar Kilometer von Holland entfernt. Dort, an der Bundesstraße 58 in Richtung Wesel, liegt ein weitläufiges Grundstück. Versteckt, von viel Grün umgeben.

Auf der unbefestigten Zufahrt stehen Pfützen. Ein Klingeln, nichts regt sich. Am anderen Ende des Terrains versperrt ein Metalltor die Sicht. Links und rechts davon stehen zwei von Efeu umrankte Heiligenhäuschen aus Backstein; sie sind typisch für den katholisch geprägten Niederrhein.

Von Grün umgeben und vor neugierigen Blicken geschützt lebt Karl-Leo Spettmann am Stadtrand von Geldern am Niederrhein. Der 60-Jährige saß wegen Betrugs und Wuchers im Gefängnis. Offenbar ist aber noch genügend Geld übrig, um in Sachsen Häuser zu kaufen.
Von Grün umgeben und vor neugierigen Blicken geschützt lebt Karl-Leo Spettmann am Stadtrand von Geldern am Niederrhein. Der 60-Jährige saß wegen Betrugs und Wuchers im Gefängnis. Offenbar ist aber noch genügend Geld übrig, um in Sachsen Häuser zu kaufen. © Ulrich Wolf

Der Bewohner des Areals hat schon beengter gewohnt. Karl-Leo Spettmann, 60 Jahre, gelernter Schlosser, ist einschlägig vorbestraft. 2004 musste er erstmals ins Gefängnis. Wegen Betrügereien mit Schlüsseldiensten. Kaum war er raus, machte er weiter. 2016 saß er erneut ein. Wieder wegen Betrugs, wegen Steuerhinterziehung und Wucher.

Er habe, urteilten die Richter, mit irreführenden Einträgen in Telefonbüchern und im Internet potenziellen Kunden vorgegaukelt, regionale Schlüsseldienste zu betreiben. Tatsächlich aber existierte nur ein Callcenter in Geldern, das auf ganz Deutschland verteilte Monteure losschickte, die nach ihren Einsätzen überteuerte Rechnungen stellten.

"Petrucci? Kennen wir nicht."

Seit Januar ist Spettmann, der im Freundes- und Bekanntenkreis wegen seiner Vorliebe für Porsche nur „Speedy“ genannt wird, wieder auf freiem Fuß.

Montag, 15. März, weit im Osten, 710 Kilometer von Geldern entfernt: Im Saal 119 des Görlitzer Amtsgerichts sitzen 19 Leute, darunter Vater und Sohn Spettmann. Eine Zwangsversteigerung steht an. Es geht um ein Haus mit Jugendstilfassade in der Görlitzer Bismarckstraße. Es steht seit langem leer. Der bisherige Eigentümer hat Grundsteuern und Sicherungskosten nicht bezahlt, jetzt will die Stadt das Objekt loswerden. Startgebot: knapp 4.000 Euro.

Das Haus in der Bismarckstraße 18 ist schon seit Jahren baufällig. Spettmanns Sohn ersteigerte es für rund 70.000 Euro, angeblich für einen römischen Geschäftsmann.
Das Haus in der Bismarckstraße 18 ist schon seit Jahren baufällig. Spettmanns Sohn ersteigerte es für rund 70.000 Euro, angeblich für einen römischen Geschäftsmann. © Nikolai Schmidt

Der Hammer fällt bei genau 70.101 Euro, zahlbar bis Ende Juni. Erwerber ist der junge Spettmann. Der 29-Jährige hat nicht für sich geboten und auch nicht für seinen Vater, sondern für einen Römer namens Roberto Petrucci. „Wir haben einen Pool an Leuten, die denkmalgeschützte Häuser kaufen und sanieren“, sagt er. Einer davon sei Petrucci.

Zurück nach Geldern, eine kleine Straße hinter dem Friedhof. Dort war vor der Zerschlagung die von Spettmann im Hintergrund gelenkte Deutsche Schlüsseldienstzentrale GmbH beheimatet. Callcenter, Schulungsräume und Buchhaltung lagen im Erdgeschoss, die Büros der Chefs eine Etage höher.

Auf dem Hof parkt ein schwarzer Porsche, er hat im Kennzeichen die Buchstaben SP wie Spettmann und die Ziffer 1. Auf der Tür, neben der eingebauten Klingel, stehen vier Namen, darunter auch „Petrucci“. Auch hier öffnet niemand. Nachbarn sagen, da wohne niemand. Einen Herrn Petrucci kenne man nicht.

Die Vollmacht eines Phantoms

Ganz im Süden, Rom, Via Tuscolana 346. Diese Adresse steht auf jener Vollmacht, mit der die Spettmanns in diesem Jahr bislang drei marode Häuser in Görlitz ersteigerten. Die Urkunde hat ein Notar ausgestellt, der mittlerweile im Ruhestand ist. Diesem Dokument zufolge ist Karl-Leo Spettmann seit dem August 2012 bevollmächtigt, für Petrucci „beliebigen Grundbesitz im In- und Ausland zu erwerben“. Spettmann sagt in Görlitz, der Römer werde selbst nach Sachsen kommen, um zu bezahlen.

Hier, in der Via Tuscolana 346 in Rom, soll Roberto Petrucci, der vermeintliche Käufer von zuletzt drei Immobilien in Görlitz, zu Hause sein. Doch weder Hausverwaltung noch Nachbarn kennen ihn.
Hier, in der Via Tuscolana 346 in Rom, soll Roberto Petrucci, der vermeintliche Käufer von zuletzt drei Immobilien in Görlitz, zu Hause sein. Doch weder Hausverwaltung noch Nachbarn kennen ihn. © Google Street View/Screenshot

Doch von wo? Wie in Geldern, so ist der laut Vollmacht 48 Jahre alte Italiener an der angegebenen römischen Adresse ebenfalls nicht bekannt. Das ergaben Recherchen von Sächsische.de und MDR. Eine Reporterin überprüfte Briefkästen und Klingelschilder an dem schmucklosen achtgeschossigen Eckhaus, sie erkundigte sich bei der zuständigen Hausverwaltung, befragte den benachbarten Barbesitzer: Niemand kennt Petrucci.

Ein einschlägig vorbestrafter Mann erwirbt also mit der Vollmacht eines mutmaßlichen Phantoms Immobilien in Sachsen. Und das nicht nur in Görlitz. Und nicht erst seit diesem Jahr. Bereits Anfang 2015 bot Spettmann die denkmalgeschützte ehemalige Schuhfabrik in Rochlitz zum Kauf an. Er handle im Auftrag eines Geschäftsmanns aus Rom, sagte er damals. Nun wolle er es abstoßen, da der Römer keine Verwendung mehr dafür habe.

Der Name Spettmann taucht fast 70 Mal auf

Auch der Junior mag kaputte Immobilien. Nur kurz nach seinem 20. Geburtstag kauft er Ende 2011 den Bahnhof im mittelsächsischen Waldheim: für nicht einmal 5.000 Euro. Später bietet er das Gebäude der Kommune für 160.000 Euro an. Ansonsten könne er auch an einen interessierten Verein afrikanischer Islamisten verkaufen. Die Stadt lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und erwirbt die Immobilie bei einer neuen Zwangsversteigerung Ende 2012.

Aufgegebene Bahnhöfe sind begehrt bei den Spettmanns. In Sachsen haben sie bei mindestens 13 dieser Objekte zugeschlagen. Danach wurde so gut wie nichts investiert. Einige stehen derzeit wieder zum Verkauf oder zur Vermietung: der Bahnhof Kodersdorf im Landkreis Görlitz etwa oder der Bahnhof Weißig im Landkreis Meißen. Insgesamt taucht der Name Spettmann im Zusammenhang mit meist heruntergekommen Immobilien im Freistaat seit 2015 fast 70-Mal auf.

"Sie suchen das Besondere mit Ausbaureserve? Dann sind Sie im Bahnhof Kodersdorf genau richtig!" So bewirbt Karl-Leo Spettmann diese Immobilie. Angeboten wird sie für 99.999 Euro.
"Sie suchen das Besondere mit Ausbaureserve? Dann sind Sie im Bahnhof Kodersdorf genau richtig!" So bewirbt Karl-Leo Spettmann diese Immobilie. Angeboten wird sie für 99.999 Euro. © www.loesel-photographie.de
Zum "Investieren in den Bahnhof von Weißig" fordert Karl-Leo Spettmann die Nutzer eines Immobilieninternetportals auf. Kaufpreis: 44.900 Euro.
Zum "Investieren in den Bahnhof von Weißig" fordert Karl-Leo Spettmann die Nutzer eines Immobilieninternetportals auf. Kaufpreis: 44.900 Euro. © www.loesel-photographie.de
Auch der Bahnhof Hähnichen bei Niesky im Landkreis Görlitz wanderte durch Spettmanns Hände.
Auch der Bahnhof Hähnichen bei Niesky im Landkreis Görlitz wanderte durch Spettmanns Hände. © www.loesel-photographie.de

Die Weiterverkäufe eines Großteils dieser Objekte lief über Auktionen unter dem Motto: „Miete zu hoch? Dann kauf doch das ganze Haus für 500 Euro!“ Ein Versteigerungsunternehmen in Berlin organisierte das Ganze. Dessen Chef sagt, man habe das 2015 zweimal gemacht. Danach habe man getrennt. „Das Geschäftsgebaren der Familie Spettmann war nicht so, wie wir uns das vorgestellt haben.“ Was genau ihn gestört hat, will er nicht sagen.

Buddha-Figuren und Sportwagen

Schon damals mischte außer Vater und Sohn auch Tochter Spettmann mit. Die heute 30-Jährige arbeitet hauptberuflich als Serviceassistentin in einem Autohaus in Krefeld. Sie wohnt ebenfalls in Geldern. Auch bei ihr verhallt das Klingeln ungehört. Mails bleiben unbeantwortet, am Telefon will sie sich nicht äußern.

Ihr gehört, gemeinsam mit ihrem Bruder, ein Immobilienunternehmen mit Sitz an der vornehmen Königsallee in Düsseldorf. Es heißt Gelago und hat laut Jahresabschluss 2019 Gewinnvorträge von 500.000 Euro in den Büchern stehen. An der Adresse in Düsseldorf sind vier weitere Firmen der Spettmann-Geschwister gemeldet, allesamt gegründet während der Haftzeit des Vaters: Es geht um die Verwaltung eigenen Vermögens, um den Handel mit Immobilien und Buddha-Figuren sowie um Sportwagen.

Kaum aus dem Gefängnis entlassen, beginnt der frühere Schlüsseldienst-Betrüger Karl-Leo Spettmann mit der Wiederbelebung seiner 500-Euro-Haus-Idee wie hier in Glauchau.
Kaum aus dem Gefängnis entlassen, beginnt der frühere Schlüsseldienst-Betrüger Karl-Leo Spettmann mit der Wiederbelebung seiner 500-Euro-Haus-Idee wie hier in Glauchau. © www.loesel-photographie.de

Wieder im Osten, wieder Görlitz, Anfang Mai. Tochter Spettmann und ihre Gelago kündigen auf einem Internetportal für Immobilen an, man werde Mitte des Monats ein Gebäude in der Görlitzer Bahnhofstraße versteigern.

Der angegebene Kaufpreis in Höhe von 500 Euro diene lediglich als Orientierungshilfe, heißt es in der Anzeige. Fotos zeigen eine dreigeschossige Villa mit viel Fassadendekor. Alle Fenster sind mit Spanplatten vernagelt. Auch dieses Haus hat Spettmann Junior für den Herrn Petrucci aus Rom gekauft.