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Lausitz-Kirchentag: Es macht Spaß, einmal nett zu sein

15.000 Besucher, 2.500 Mitwirkende: Der erste Lausitz Kirchentag war in Görlitz ein großes Fest mit viel Zuversicht. Sie muss sich nun im Alltag bewähren.

Von Sebastian Beutler & Ines Eifler
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Dieses Bild postete die Band "Alte Bekannte" nach ihrem Auftritt beim Lausitz Kirchentag und schrieb darüber: "Das hat großen Spaß gemacht."
Dieses Bild postete die Band "Alte Bekannte" nach ihrem Auftritt beim Lausitz Kirchentag und schrieb darüber: "Das hat großen Spaß gemacht." © Sebastian Beutler

Am Schluss des langen Kirchentags-Sonnabends versammeln sich nochmals 800 Zuhörer auf dem Görlitzer Obermarkt. Sie wollen die A-cappella-Gruppe „Alte Bekannte“ hören, die aus der Band „Wise Guys“ hervorgegangen ist. Die kannten viele, wie sie bei der Nachfrage von der Bühne durch Handzeichen erkennen lassen.

Doch auch die neuen Songs singen viele mit, amüsieren sich über die Texte beispielsweise über ein Sägewerk in Bad Segeberg, wo niemand mehr Klavier spielt. Es liegt eine Unbeschwertheit über dem Platz, eine Lebensfreude, die lange nicht mehr hier zu Hause war. Da passt dann einer der Refrains auch besonders schön: „Wie schön ist das Leben? Ganz schön schön“. Und Hunderte stimmen mit ein.

Von Abkehr von Religion und Kirche, von Zweifel an der Botschaft des Christentums war beim Lausitz Kirchentag am Wochenende in Görlitz nur wenig zu spüren. Tausende Gäste kamen dafür in die Altstadt, genossen das friedliche Flair zwischen Marienplatz und Altstadtbrücke, ließen sich von der Kraft der Kirchenlieder in der Gemeinschaft von 300 Bläsern und 200 Sängern mitreißen und nahmen die Hoffnung auf eine gute Zukunft der Lausitz mit.

Der Berliner evangelische Bischof Christian Stäblein bei seiner Predigt.
Der Berliner evangelische Bischof Christian Stäblein bei seiner Predigt. © Nikolai Schmidt
Ein sorbischer Chor gehörte genauso zu diesem Kirchentag.
Ein sorbischer Chor gehörte genauso zu diesem Kirchentag. © Nikolai Schmidt
Musiker aus vielen Gemeinden der Evangelischen Kirchen musizierten auf dem Platz
Musiker aus vielen Gemeinden der Evangelischen Kirchen musizierten auf dem Platz © Nikolai Schmidt
Auch der Festchor war aus verschiedenen Gemeinden gebildet worden.
Auch der Festchor war aus verschiedenen Gemeinden gebildet worden. © Nikolai Schmidt
Gastgeber und Gäste (v. l.): Kathrin Schneider, Chefin der Staatskanzlei in Potsdam, Michael Kretschmer, sächsischer Ministerpräsident, die Löbauer Superintendentin Antje Pech und Bischof Christian Stäblein.
Gastgeber und Gäste (v. l.): Kathrin Schneider, Chefin der Staatskanzlei in Potsdam, Michael Kretschmer, sächsischer Ministerpräsident, die Löbauer Superintendentin Antje Pech und Bischof Christian Stäblein. © Nikolai Schmidt
Musik gehört zu Kirchentagen einfach dazu.
Musik gehört zu Kirchentagen einfach dazu. © Nikolai Schmidt
Der Görlitzer OB Octavian Ursu feierte ebenso den Eröffnungsgottesdienst mit.
Der Görlitzer OB Octavian Ursu feierte ebenso den Eröffnungsgottesdienst mit. © Nikolai Schmidt
Die Görlitzer Generalsuperintendentin Theresa Rinecker war mit der Löbauer Superintendentin Antje Pech die Initiatorin für den Lausitz Kirchentag.
Die Görlitzer Generalsuperintendentin Theresa Rinecker war mit der Löbauer Superintendentin Antje Pech die Initiatorin für den Lausitz Kirchentag. © Nikolai Schmidt

Die beiden Theologinnen Theresa Rinecker aus Görlitz und Antje Pech aus Löbau hatten die Idee für einen solchen Kirchentag vor drei Jahren ins Spiel gebracht. Er sollte auch den Widerstand gegen das Vergessen einer Region am Rande Deutschlands deutlich machen, wie Frau Pech am Sonntag sagt.

Das alte Lied von der abgehängten Region sollte dem neuen weichen: „Hier kennen sich die Leute aus mit dem Gestalten guter Wege in der Nachbarschaft. Hier sind sie Expertinnen für ‚Randlage‘ mit Herz“, sagt Theresa Rinecker. 15.000 Besucher wurden an den verschiedenen Veranstaltungen gezählt, knapp 5.000 Gäste waren dauerhaft in der Stadt.

70 Prozent der Deutschen sagen Christentum gehört zu uns

Die Idee, dass Kirche in die Gesellschaft geht, sich offen zeigt und damit Menschen unabhängig von ihrem Glauben anspricht, ging allerdings nur bedingt auf. Vor allem evangelische Christen waren in Görlitz zu Gast, auch einige Katholiken besuchten den Lausitz Kirchentag.

Nicht-Christen kamen jedoch, wenn überhaupt, nur gezielt zu bestimmten Veranstaltungen, mitunter mit der Bemerkung: „Mich interessiert nur diese Diskussion, mit Kirche habe ich nichts am Hut.“ Das ist auch nicht verwunderlich. Nur noch gut jeder zweite Deutsche ist Mitglied einer Kirche – im Osten Deutschlands weit weniger.

Laut einer Umfrage des Allenbach-Instituts aus dem Jahr 2021 hat ein Drittel davon schon einmal über einen Kirchenaustritt nachgedacht, die Zahl der Gottesdienstbesucher sinkt stetig. Für nur 44 Prozent aller Deutschen haben christliche Werte noch eine Bedeutung für ihr Leben. Aber: 70 Prozent sagen, das Christentum gehört zu Deutschland.

Kirchentage haben viele Aufgaben. Vor allem sind sie ein Fest für die Kirchenmitglieder, um neuen Schwung zu finden, raus aus dem Alltag, raus aus den Spardebatten und vielleicht den einen oder anderen auch zurückzugewinnen. „Ich kann mir ein Leben ohne christlichen Glauben gar nicht vorstellen“, sagt zum Beispiel die Görlitzerin Christine Diener, die zum evangelisch organisierten Kirchentag kam, obwohl sie katholisch ist.

„Ökumene zu leben wird ja immer wichtiger, wir sind alle Kinder Gottes.“ Das Vertrauen, die Erfüllung im Innern, die sie an 24 Stunden jedes Tages durch die lebendige Anwesenheit Gottes spüre, sei für sie ein Geschenk, das sie durchs Leben trage. Andere kamen von weither angereist.

Gewinnt Glauben in Zeiten von Kriegen an Bedeutung?

Werner Moelders aus Dänemark begleitete seinen in Görlitz gebürtigen Freund in die Heimat. Besonders seit Beginn des Ukrainekrieges habe er wieder mehr zum Glauben gefunden, sagt er, sein Bedürfnis nach Halt sei gerade groß. Sandra Erdmann kam mit ihrer kleinen Tochter aus Cottbus.

„Ich fahre gern zu Kirchentagen“, sagt sie, „weil man viele andere Christen treffen kann und sich der großen Gemeinschaft bewusst wird, die wir immer noch sind.“ Darin empfinde sie Geborgenheit, Liebe und Vertrauen.

Es war durchaus heiß auf dem Görlitzer Obermarkt.
Es war durchaus heiß auf dem Görlitzer Obermarkt. © Nikolai Schmidt
Zu den großen Festgottesdiensten auf dem Görlitzer Obermarkt versammelten sich jeweils 1.500 Mitwirkende und Besucher.
Zu den großen Festgottesdiensten auf dem Görlitzer Obermarkt versammelten sich jeweils 1.500 Mitwirkende und Besucher. © Nikolai Schmidt

Dass man seinen Glauben auch von der Institution Kirche trennen könne, empfindet die Görlitzerin Miriam Viertel. „Mit vielem, was Kirche tut, bin ich nicht einverstanden“, sagt sie, „aber dennoch möchte ich nicht darauf verzichten.“ Besonders in unerklärlichen Zeiten von Kriegen und Krisen sehne sie sich nach Gott und dem Glauben daran, dass er wisse, was er tue. Die Stille der Kirchengebäude, das Miteinander mit anderen Christen und inspirierende Predigten brauche sie, um ihren Glauben leben zu können.

Auf dem „Roten Sofa“ am Untermarkt werden den ganzen Tag über prominente Gäste aus Politik, Kirche und Kultur zum Talk eingeladen. Einer von ihnen: Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, der den ganzen Tag in Görlitz verlebt. Er erzählt, wie er über den christlichen Glauben zu seinem politischen Engagement kam.

1975 in Görlitz geboren, war er im Jahr 1989 konfirmiert worden, war Teil der Jungen Gemeinde, nahm an den Friedensgebeten in der Frauenkirche teil. Begeistert von diesem Aufbruch kam er schließlich zur Jungen Union und war bald neben mehreren katholischen einer der wenigen evangelischen CDU-Politiker in Görlitz.

Familien und Kinder fanden im Stadtpark viele Attraktionen.
Familien und Kinder fanden im Stadtpark viele Attraktionen. © Ines Eifler

Heute, als Ministerpräsident, wolle er religiöses Leben bewusst fördern. Er sei überzeugt, dass dessen Geist und die Werte sich auch auf Nicht-Christen positiv auswirken, besonders in Zeiten, da es so viele unterschiedliche Haltungen in der Gesellschaft gebe. „Ich kenne Atheisten, die ihre Kinder in kirchlichen Kitas betreuen lassen, weil sie die christliche Haltung schätzen.“

Dass Kirche sich in vielem wandeln müsse, damit sich ihr wieder mehr Menschen zuwenden, sei aber auch klar. Er wünsche sich eine Evangelische Kirche, sagt er im Eröffnungsgottesdienst, die modern ist, die sich verändert und doch auch zu traditionellen Werten steht.

Wolf, Kohleausstieg, Pflege: Gestritten wurde auch

Kirchentage sind aber auch Podien, wo wichtige Fragen der Gesellschaft verhandelt werden. Kontrovers, streitbar, auch wenn sie nicht gelöst werden. Strukturwandel beispielsweise. Die Gewerkschafterin Ute Liebsch fragt in der Alten Synagoge etwas abseits vom Trubel nach der Zukunft für die Bergleute – jemand aus dem Publikum sagt, das betreffe nur ein Prozent der Lausitzer.

Thomas Pilz von den „Lausitzer Perspektiven“ in Mittelherwigsdorf, der als Grüner auch im Görlitzer Kreistag sitzt, bezeichnet die Schaffung von Arbeitsplätzen nicht als das drängendste Thema in der Lausitz, sondern die Gewinnung von Personal und Nachwuchs in nahezu allen Bereichen.