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„Es geht mir gut mit meiner Entscheidung, nicht mehr Bürgermeister zu sein“

Bis vor anderthalb Jahren war Michael Wieler Bürgermeister in Görlitz. Jetzt kümmert er sich um Pferde und ein paar wenige Menschen, bleibt aber politisch aktiv. Am Dienstag wird er 60.

Von Ingo Kramer
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Voll in seinem Element: Der ehemalige Görlitzer Bürgermeister Michael Wieler einen Tag vor seinem 60. Geburtstag zusammen mit einem Pferd auf seinem Hof in Kunnersdorf bei Görlitz.
Voll in seinem Element: Der ehemalige Görlitzer Bürgermeister Michael Wieler einen Tag vor seinem 60. Geburtstag zusammen mit einem Pferd auf seinem Hof in Kunnersdorf bei Görlitz. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Am Tag der großen Bauernproteste steht Michael Wieler auf seinem Hof in Kunnersdorf bei Görlitz und füttert die Pferde. „Die Bauern sind sehr heterogen in ihrer Motivation“, sagt der frühere Görlitzer Bürgermeister: „Ich habe versucht, mich darüber zu informieren.“ Einerseits, so hat er herausgefunden, haben die Bauern heute mehr Gewinn als früher. Andererseits aber auch stärkere Belastungen.

Er hat es sich nicht leicht gemacht mit dem Thema. Vielen Menschen sei gar nicht bewusst, dass ihre Lebensmittel subventioniert sind. Wieler würde es gut finden, wenn das nicht mehr nötig wäre: „Die Bauern sollten ihren Diesel bezahlen wie jeder andere auch, aber sie sollten am Ende auch genug Geld für ihre Produkte bekommen, um den Diesel refinanzieren zu können.“

OB Octavian Ursu, Wielers Nachfolger Benedikt Hummel und Michael Wieler (von links) bei Wielers Ausscheiden und dem Amtsantritt von Hummel als Bürgermeister von Görlitz im August 2022.
OB Octavian Ursu, Wielers Nachfolger Benedikt Hummel und Michael Wieler (von links) bei Wielers Ausscheiden und dem Amtsantritt von Hummel als Bürgermeister von Görlitz im August 2022. © Stadt Görlitz

An diesem Dienstag wird Wieler 60 Jahre alt. Über faire Bedingungen für die Bauern entscheiden kann er freilich nicht. Das konnte er auch nicht, als er noch Bürgermeister in Görlitz war – von einigen Menschen hochgeschätzt für seine fachliche Kompetenz, von anderen als Intellektueller und als „Wessi“ verachtet. Fast anderthalb Jahre ist das jetzt her: Im August 2022 schied er nach 14 Jahren aus dem Amt, weil er nicht für eine dritte Legislaturperiode kandidieren wollte. „Es geht mir gut mit meiner Entscheidung, nicht mehr Bürgermeister zu sein“, sagt er heute. Allerdings habe er ein gutes Jahr gebraucht, um auch im Kopf weg zu sein von dem Job: „Erst dann konnte ich tagsüber mal in Ruhe eine Tasse Kaffee trinken, ohne mich getrieben zu fühlen.“

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Wieler verbringt seine Tage zum Großteil auf seinem Hof. Seine Frau und er hatten schon vor drei Jahren besprochen, dass sie den Reitbetrieb weiterführen und ausbauen wollen, wenn er nicht mehr Bürgermeister ist. „2021 haben wir auf unserem Hof eine Reithalle gebaut“, sagt Wieler. Später errichtete er neue Futterplätze und versuchte, vieles zu optimieren, um bei der täglichen Arbeit Zeit zu sparen. Das sei gelungen: „Was früher sieben Stunden Arbeit pro Tag verursacht hat, lässt sich jetzt in viereinhalb Stunden schaffen.“

Wieler und seine Frau gehen seit 40 Jahren mit Pferden um, haben seit 30 Jahren eigene Pferde und sind seit 20 Jahren Eigentümer des Hofes in Kunnersdorf. Dort haben sie heute 20 Pferde und über 100 Reitschüler, darunter viele Kinder und Jugendliche. Hinzu kommen noch zahlreiche Pensionspferde. Und das Ehepaar züchtet auch Pferde selbst, hat eine Deckstation mit zwei Hengsten: „Das alles spricht sich enorm herum, ganz ohne Werbung.“

Wieler ist jetzt „Mädchen für alles“

Und es sei enorm, was seine Frau in all den Jahren gestemmt habe: „Das merke ich erst jetzt.“ Er ist jetzt „Mädchen für alles“: Er baut, mistet Ställe aus, repariert Zäune, gibt Reitunterricht, kümmert sich um Buchführung und Steuererklärung. Doch seine Arbeit hat auch noch einen anderen Aspekt: „Ich möchte mir Zeit nehmen für einige Menschen, die Unterstützung für ihr Leben benötigen.“ Das passiere nicht ausschließlich, aber doch zum größten Teil auf dem Reiterhof. Sechs Menschen arbeiten dort – seine Frau und er mitgezählt.

Doch nebenher bleibt Wieler politisch aktiv: Er ist Vorsitzender der Wählervereinigung Bürger für Görlitz (BfG), sitzt für die BfG auch im Kreistag und als „sachkundiger Bürger“ im Aufsichtsrat des Theaters. All diese Posten werden dieses Jahr neu gewählt, der BfG-Vereinsvorsitz vermutlich zuletzt. „Wenn ich gewählt werde, würde ich alles gern weitermachen“, sagt er.

Schulsanierungen – hier in der Oberschule Rauschwalde – gehörten zum Aufgabengebiet von Bürgermeister Michael Wieler.
Schulsanierungen – hier in der Oberschule Rauschwalde – gehörten zum Aufgabengebiet von Bürgermeister Michael Wieler. ©  Archivfoto: Nikolai Schmidt

Doch auch wenn er beim Jahresempfang seiner Wählervereinigung die Auseinandersetzung mit der AfD zum Kern seiner politischen Arbeit erklärt hatte, so sagt er jetzt: „Es geht weniger um die AfD als mehr um das gesellschaftliche Syndrom, das dahinter steckt.“ Vielen Menschen sei die Welt zu kompliziert geworden. Und für viele Probleme, das bestätigt auch Wieler, gebe es tatsächlich keine einfachen Lösungen. Die AfD sei der Nutznießer der aktuellen Situation: „Sie fordert einfache Dinge, die die Leute hören wollen, obwohl sie selbst weiß, dass es gar nicht umsetzbar ist.“ Hinzu komme die Dynamik der sozialen Medien im Internet: „Da gerät etwas ins Rutschen.“ Das habe mittlerweile eine Dimension angenommen, „die das Potenzial hat, die Demokratie zu gefährden.“

Es sei heute auch schwerer geworden, Menschen zu finden, die sich politisch engagieren wollen. Die sozialen Medien, in denen politisch Engagierte schnell zur Zielscheibe werden, spielen da eine große Rolle – ganz anders als noch vor zehn oder fünf Jahren: „Da überlegt es sich manch einer, ob er wirklich kandidieren will.“ Doch nichtsdestotrotz hätten die BfG auch sehr gute neue Kandidaten für den Stadtrat gefunden. Namen will Wieler derzeit noch nicht nennen, aber er ist zuversichtlich, dass diese beim Wähler ankommen. Die aktuelle BfG-Fraktion im Stadtrat hat acht Mitglieder: „Wir würden uns freuen, diese Größe zu halten.“ Auch ihre beiden Sitze im Kreistag würden die BfG gern halten.

Komplexe Dinge in zumutbarer Weise vermitteln

Das soll nicht nur über die Kandidaten gelingen, sondern auch über das Politikverständnis: „Wir wollen die Aufgeregtheit von uns fern halten.“ Das sei heutzutage eine Herausforderung, wenn man Ergebnisse erzielen wolle. Wichtig sei, politisch in der Mitte zu agieren und einen klaren Kopf zu behalten: „Wir wollen glaubwürdige Kandidaten aufstellen und komplexe Dinge in zumutbarer Weise vermitteln.“

Wird Wieler noch einmal einen festen Job jenseits des Reiterhofes annehmen? Aktuell sei das nicht geplant. Zuletzt habe er zwei Anfragen erhalten, als Kommunalberater tätig zu werden: „Zwei Bürgermeister haben mich angesprochen, ob ich sie in ihrer Gemeindearbeit unterstützen kann.“ Er habe das bisher nur ein bisschen freundschaftlich gemacht, aber nicht als Job: „Das wird momentan auch so bleiben, es sei denn, irgendwo ist Not am Mann.“ Aber die Arbeit auf dem Reiterhof und die dortige Hilfe für Menschen, die Unterstützung für ihr Leben benötigen, fordere ihn sehr.

Seinen Geburtstag will der Vater dreier Töchter nur mit seiner Familie feiern. „Mein Vater und mein Bruder sind am Sonntag aus Essen angereist“, sagt er: „Das wusste ich nicht, aber es freut mich sehr.“ Nach einer großen Feier habe er aber kein Bedürfnis. Zumal er ohnehin niemand sei, den ein rundes Jubiläum zum Nachdenken und Innehalten veranlasst: „Dafür gibt es andere Anlässe, die spontan kommen.“