Was bis vor einem Jahr in gut 100 Umzugskartons im Keller eines Wuppertaler Reihenhauses passte, entfaltet sich gerade erstmals in voller Pracht im Schlesischen Museum zu Görlitz.
Schlesisches Porzellan aus dem 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Hülle und Fülle: Etwa 1.000 Vasen, Zierteller, Gedecke, Service, insgesamt fast 7.000 Einzelteile, sind in der neuen Sonderausstellung "Porzellanland Schlesien" im Schönhof zu sehen.
Sie zeugen davon, wie schlesische Unternehmen um 1850 den großen Bedarf an hochwertigem Porzellan erkannten, dessen industrielle Herstellung als neuen Wirtschaftszweig in Schlesien etablierten, zu großem Erfolg brachten und damit Tausende Familien ernährten.
Große Schenkung: Glücksfall für das Schlesische Museum
Dass Schlesien überhaupt – ähnlich wie Thüringen oder die Oberpfalz – als "Porzellanland" gelten kann, wurde vor allem durch die Forschungen und Sammlungstätigkeit eines Mannes bekannt: Gerhard Schmidt-Stein, der als Jugendlicher aus Niederschlesien vertrieben und später im Westen Deutschlands Lehrer wurde. In seiner Freizeit sammelte er in den vergangenen 50 Jahren gemeinsam mit seiner Frau Margret Porzellan aus seiner Heimat von vor 1945 und fand so viel darüber heraus, wie er nur konnte.
2021/22 schenkte er dem Schlesischen Museum seine Sammlung samt seinem akribisch geführten Forschungsarchiv. "Diese Schenkung ist für uns ein absoluter Glücksfall", sagt der Kunsthistoriker Martin Kügler, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Museum und zusammen mit Alexander Szalapski Kurator der Schau.
"Leider konnte Gerhard Schmidt-Stein seine Sammlung nie in dieser Fülle sehen, wie wir sie jetzt zeigen." Denn eine Woche vor Eröffnung der Ausstellung, die auf seiner Sammlung basiert, starb Schmidt-Stein im Alter von 93 Jahren.
Hinterlassen hat er der Nachwelt das einschlägige und bis heute an Gründlichkeit unerreichte Werk von 1996 "Schlesisches Porzellan vor 1945" sowie dem Museum seine gesamte Sammlung mit etwa 10.000 porzellanenen Einzelteilen. Zwei Drittel davon sind in der Ausstellung zu sehen, und zwar erstmalig. Bisher waren jeweils nur Teile dieser Sammlung in unterschiedlichen Zusammenhängen zu sehen, unter anderem früher schon einmal im Schlesischen Museum.
Kaufleute entdeckten Schlesien als Produktionsstandort
Wer in der neuen Sonderausstellung nach einer einzigartig schlesischen Formensprache sucht, wird nicht so einfach fündig. Die Dekore waren meist keine Neuerfindungen, sondern griffen den Geschmack der Zeit auf.
Denn die schlesischen Porzellanunternehmen, deren bedeutendste Krister, Tielsch, Ohme, Schlegelmilch und Königszelt hießen und vor allem in der Gegend um Waldenburg (Wałbrzych) produzierten, wurden in der Regel von Kaufleuten, nicht von Handwerkern gegründet. Sie setzten auf den hohen Bedarf des aufstrebenden Bürgertums an hochwertigen, aber preisgünstigen Gegenständen und auf die günstigen Herstellungsbedingungen in Schlesien.
Die Region Waldenburg mit ihren Kaolinvorkommen, der weißen Porzellanerde, bot sich dafür an. Die Brennöfen konnten mit der schlesischen Kohle beheizt werden. Und wegen der Krise der Textilindustrie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es günstige Arbeitskräfte. Auf den neuen, um 1850 verlegten Eisenbahnlinien konnten die Rohstoffe heran- und die Waren forttransportiert werden, sodass auch der Export eine immer größere Rolle spielte.
Firmen imitierten Logos bekannter Marken
Bis nach Nordamerika war das schlesische Porzellan gefragt. Auf den Weltausstellungen präsentierten sich die Unternehmen und machten den etablierten Porzellanherstellern Konkurrenz.
Anders als diese setzten die schlesischen Betriebe auf Masse, arbeiteten mit 400, teilweise 1.000 Angestellten, die in Arbeitsteilung Porzellan herstellten und verzierten. Dafür waren keine kunstfertigen Porzellanmaler mehr nötig, häufig wurden die Geschirrteile mit Abziehbildern beklebt oder nur noch teilweise per Hand bemalt.
Die Ausstellung zeigt auch, wie schlesische Firmen Markennamen imitierten oder bekannte Logos nur so leicht abwandelten, dass sie Verwechslungen mit anerkannten Herstellern geradezu provozierten. KPM mit dem preußischen Adler stand zum Beispiel für die Königliche Porzellan-Manufaktur Berlin, KPM mit dem schlesischen Adler für Krister Porzellan-Manufaktur Waldenburg.
Weitere Schenkung ab September zu sehen
Zu den Dekoren gehörten etwa das beliebte Strohblumenmuster Indisch Blau, asiatisch anmutende Motive, Darstellungen von Obst auf Tellern und Schalen. Geschirr im Stil des Neobarock und später des Art déco ist zu sehen, auch Sammeltassen verschiedener Stile, aus denen man sich je nach Geschmack seine Kaffeetafel zusammenstellen konnte.
Auf einem 14 Quadratmeter großen Tisch haben die Kuratoren die damals moderne Vielfalt zusammengestellt. Dazu kommen Vitrinen zu den einzelnen Firmen oder Kuriositäten wie Porzellan mit Militärmotiven, Besonderheiten wie Jubiläumsgeschirr oder silberüberzogenes Porzellan.
Und das ist noch nicht alles. Genau wie Gerhard Schmidt-Stein hat auch Adelheid Schmitz-Brodam ihre Sammlung dem Museum geschenkt. Diese enthält ausschließlich Porzellan der Firma Tielsch aus Altwasser (Stary Zdrój) bei Waldenburg, die lange Zeit die größte Porzellanfabrik Deutschlands war. Ab 9. September wird sie gezeigt. Beide Ausstellungen sind dann bis 26. Februar 2023 zu sehen.
Im Juli gibt es jeden Mittwoch und Freitag jeweils 10 und 14 Uhr ein gut einstündiges Ferienangebot für Kinder.