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Plötzlich vor Gericht: Verdacht auf Corona-Betrug

Mit Corona-Hilfen wurde betrogen. Doch ein Verfahren gegen eine Görlitzerin zeigt auch, wie schnell Geschäftsleute durch Unklarheiten in Verdacht geraten können.

Von Susanne Sodan
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Der Zeichner Kostas Koufogiorgos machte sich diesen Reim auf die Corona-Hilfen.
Der Zeichner Kostas Koufogiorgos machte sich diesen Reim auf die Corona-Hilfen. © Kostas Koufogiorgos

Die Anklage hört sich hart an: Subventionsbetrug. Eine Görlitzer Geschäftsfrau habe im April 2020 bei der SAB Corona-Soforthilfe für ihr Gewerbe beantragt, 6.000 Euro für drei Monate. In ihrem Antrag habe sie einen Liquiditätsengpass wegen fehlender Einnahmen prognostiziert. Doch, so die Staatsanwaltschaft, der Frau sei zu der Zeit klar gewesen, dass für ihr Geschäft - ein kleineres Ladengeschäft in der Görlitzer Innenstadt - in drei Monaten keine Betriebskosten in Höhe von 6.000 Euro anlaufen würden. Sondern weniger. Doch korrigiert habe die Frau ihre Angaben gegenüber der SAB nicht. Sie erhielt das Geld im Juli.

Kurze Verhandlung zeigt viele Unsicherheiten

Das Verfahren lief am Amtsgericht Görlitz. Wo deutlich wurde, wie komplex diese Fälle sein können - besonders geht es um die ersten Corona-Hilfen. Verteidigerin der Frau war die Görlitzer Anwältin Silke Jennewein. Sie schilderte: Ihre Mandantin habe nicht betrogen. Sie habe einen gesunden Betrieb geführt, so sei ihr damals sogar geraten worden, doch eher 9.000 Euro zu beantragen. Bei ihrem Antrag habe sie sich auf ihre Betriebskosten, darunter den Wareneingang, aus 2019 bezogen und sei so auf jeden Fall auf die beantragte Summe gekommen.

Doch der Wareneingang, so warf Richter Alexander Kühnhold ein, sei bei der Berechnung der Betriebskosten für die Soforthilfe gar nicht zu berücksichtigen gewesen. Miete für Geschäftsräume, Wasser, Strom, zum Beispiel auch Leasingverträge - nicht aber Wareneingänge. "Sie wissen selbst, wie es damals war", hielt Silke Jennewein dagegen. Nämlich nicht klar. Sie habe sich die Bedingungen der Soforthilfe vom April 2020 noch einmal herausgesucht. Relativ schnell sei damals klar geworden, dass Kosten für den privaten Unterhalt nicht reinfallen. Doch was zählte zu Betriebskosten? Gehörte Wareneingang - für das Geschäft ihrer Mandantin ein besonders wichtiger Posten - dazu? Nach damaligen Bedingungen ja, so die Verteidigung.

Verfahren eingestellt - mehr Geld für Ukraine-Hilfe

Es wurde eine kurze Verhandlung. Auch, weil die Beschuldigte bereits über einen Steuerberater mit der SAB in Verbindung steht, um die Sache zu klären. Gegen die Zahlung von 1.400 Euro wurde das Verfahren vorläufig eingestellt. 1.400 Euro für einen guten Zweck? Bislang hatte sich die Beschuldigte kaum geäußert. Die Nervosität sah man ihr an. Bis zu dieser Frage. Die Verhandlung fand wenige Tage nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine statt. Mit einer kleinen Schleife in blau-gelb war die Frau, eine gebürtige Polin, zur Verhandlung erschienen. An die Ukraine-Hilfe der Caritas soll das Geld gehen.

Seit Beginn der Corona-Pandemie hatten Bund und Land rund 30 Hilfsprogramme aufgelegt, die in Sachsen durch die Aufbaubank SAB bearbeitet wurden. Vor wenigen Tagen zog die SAB Bilanz: Es gab Hilfe für rund 165.000 Unternehmer, Künstler und Veranstalter. In Sachsen wurden über 1,9 Milliarden Euro an Zuschüssen und rund 800 Millionen Euro für Hilfskredite bewilligt.

"Natürlich hat das auch Betrüger angezogen", sagt Silke Jennewein. Viel zu hoch angesetzte Kosten, erfundene Unternehmen oder reine Briefkastenfirmen, Anträge für Unternehmen, die überhaupt nicht unter der Pandemie litten - bis hin zu bandenmäßigem Subventionsbetrug. Bundesweit laufen laut Handelsblatt rund 26.800 Verfahren gegen Verdächtige.

Verwirrung statt Betrug

Die andere Seite: Verwirrung statt Betrug. Das Problem sprach auch die SAB in ihrem Fazit an. Die verschiedenen Hilfsprogramme seien teils zu unübersichtlich, überschnitten sich auch gelegentlich. Ein Beispiel: Rund 4.200 Selbstständige wie Friseure, Taxifahrer und Fahrlehrer sollen wohl bald eine Rückforderung erhalten. Die Betroffenen hatten Geld aus einem Programm für Betriebe beantragt, die im November und Dezember 2020 schließen mussten. Doch Betriebe, die zu der Zeit nur "indirekt" von Schließungen betroffen waren, hätten ein anderes Programm, die Überbrückungshilfe beantragen müssen.

Mutmaßlich dürfte in solchen Fällen selten Absicht dahinter stehen, bei anderen womöglich schon: In 327 Fällen in Sachsen hat die SAB einen erhärteten Verdacht auf Subventionsbetrug.

Plötzlich im Verdacht

Mehrere Fälle hat auch Silke Jennewein als Verteidigerin auf dem Tisch. Bei wie vielen es sich wirklich um einen vorsätzlichen Betrug handelt, kann sie nicht abschätzen. "Ein gewisser Prozentsatz wird dabei sein." Aber besonders die Fälle aus der Anfangszeit der Corona-Hilfen seien schwierig zu bewerten. "Es herrschte im Frühjahr 2020 eine riesige Unsicherheit." Wie lange würde der erste Lockdown dauern, wie darauf reagieren? "Es war eine völlig neue Situation." Auch Hilfsprogramme in dieser Form hatte es noch nie gegeben, diese wurden von Grund auf neu erstellt.

Die Unsicherheit zu Beginn, sie hat Folgen bis heute. Etwa für die Görlitzer Geschäftsfrau, die Silke Jennewein verteidigte. "Sie ist nicht vorbestraft, auch nie irgendwie auffällig geworden. Und plötzlich gerät man in Verdacht Subventionsbetrug begangen zu haben", schildert Jennewein. "Das ist nicht ohne, da wird einem erst mal anders."

Auch Steuerberater waren unsicher

Ein Problem auch für Steuerberater. Sie kenne einige in diesem Bereich, "die damals schon Sorgen hatten und sagten: Da gehe ich nicht ran." Auch wegen zu vieler Unsicherheiten und Auslegungsfragen. "Steuerberater haben den Status des prüfenden Dritten", erklärt die Anwältin, können im Fall der Fälle ebenfalls belangt werden. "Da haben sich einige lieber zurückgehalten." (mit SZ/moe)