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Hanau: Ungereimtheiten zum Tatverlauf

Der Todesschütze von Hanau war wohl psychisch schwer krank. Für Innenminister Seehofer ist trotzdem klar, dass es ein Terroranschlag war.

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Blumen und Kerzen liegen in der Nähe des Gebäudes, in dessen Erdgeschoss sich eine der beiden Shisha-Bars befindet, die in der Nacht zum Mittwoch zum Tatort wurde.
Blumen und Kerzen liegen in der Nähe des Gebäudes, in dessen Erdgeschoss sich eine der beiden Shisha-Bars befindet, die in der Nacht zum Mittwoch zum Tatort wurde. © Nicolas Armer/dpa

Hanau/Berlin. Nach dem Anschlag in Hanau hat Bundesinnenminister Horst Seehofer eine stärkere Polizeipräsenz in ganz Deutschland angekündigt. Gesetze sollen aber nicht verschärft werden. Moscheen und andere "sensible Einrichtungen" werden verstärkt überwacht, wie der CSU-Politiker am Freitag in Berlin sagte. Die Bundespolizei werde an Bahnhöfen, Flughäfen und an den Grenzen präsent sein.

Seehofer nannte die Bluttat einen rassistisch motivierten Terroranschlag. Ermittler gaben weitere Details zum mutmaßlichen Täter Tobias R. bekannt. Sie gehen davon aus, dass er psychisch krank war - betonen aber auch seine rassistische Gesinnung.

In der Nacht zum Donnerstag hatte der 43 Jahre alte Deutsche neun Menschen mit ausländischen Wurzeln erschossen. Nach Angaben des Landeskriminalamts hatten drei eine deutsche Staatsangehörigkeit und zwei eine türkische. Je eines der Opfer hatte eine bulgarische, eine rumänische und eine bosnisch-herzegowinische Staatsangehörigkeit, ein weiteres sowohl eine deutsche als auch eine afghanische.

Zudem soll der Sportschütze seine 72 Jahre alte Mutter und sich selbst getötet haben. Wann die Mutter erschossen wurde, ist noch unklar. Tobias R. soll während seiner Fahrt durch Hanau zwei der Opfer in ihren Autos erschossen haben. Das sagten Behördenvertreter in einer Telefonkonferenz Mitgliedern des Innenausschusses des Bundestages, wie Teilnehmer berichteten.

Das Brüder Grimm Denkmal in Hanau
Das Brüder Grimm Denkmal in Hanau © Nicolas Armer/dpa

Tobias R. hatte im Internet wirre Gedanken und abstruse Verschwörungstheorien sowie rassistische Ansichten geäußert. Die Tat sei dennoch "eindeutig ein rassistisch motivierter Terroranschlag", bilanzierte Seehofer.

In Hanau gedachten Menschen erneut der Opfer des Anschlags. Etwa 200 Teilnehmer versammelten sich nach Veranstalter-Angaben auf dem Marktplatz vor dem Rathaus, fassten sich an den Händen und bildeten eine kreisrunde Menschenkette. Auf Schildern war zu lesen: "Respekt. Kein Platz für Rassismus." Oder: "Rassismus ist krass. Liebe ist krasser."

Am Samstag will ein Bündnis gegen Hetze und Menschenverachtung in Hanau demonstrieren. Am Nachmittag ist auf dem Marktplatz eine weitere Kundgebung geplant.

In Halle an der Saale wird das Friedensgebet am Montag im Zeichen des Anschlags von Hanau stehen. "Kaum sind die Kerzen der Trauer um die beiden Opfer des Anschlages von Halle am 9. Oktober 2019 erloschen, löst eine erneute Gewalttat im ganzen Land Entsetzen und Trauer aus", teilte der Evangelische Kirchenkreis Halle-Saalkreis mit. In Halle hatte ein schwer bewaffneter Rechtsextremist einen Anschlag auf die jüdische Synagoge versucht, scheiterte aber an einer Tür. Er erschoß schließlich außerhalb der Moschee zwei Menschen.

Peter Frank (l-r), Generalbundesanwalt, Holger Münch, BKA-Präsident, Christine Lambrecht (SPD), Bundesjustizministerin, und Horst Seehofer (CSU), Bundesinnenminister am Freitag in Berlin.
Peter Frank (l-r), Generalbundesanwalt, Holger Münch, BKA-Präsident, Christine Lambrecht (SPD), Bundesjustizministerin, und Horst Seehofer (CSU), Bundesinnenminister am Freitag in Berlin. © dpa

Minister Seehofer nannte die Gefährdungslage durch Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus "in Deutschland sehr hoch". Nach dem Mordfall Lübcke und dem Anschlag von Halle sei dies der "dritte rechtsterroristische Anschlag in wenigen Monaten".

In den vergangenen Tagen seien weitere Anschläge verhindert worden, Ermittler hätten Sprengstoff und Handgranaten in großer Zahl sowie automatische Waffen sichergestellt, sagt der Minister. Mit Nachahmungstätern müsse man nach einer so schrecklichen Tat immer rechnen. Den Rechtsextremismus bezeichnete Seehofer als höchste Sicherheitsbedrohung für Deutschland. Er fordere nun "nicht mehr Personal und auch nicht mehr Paragrafen", sagte er. Die neu geschaffenen Möglichkeiten müssten genutzt werden. Auch Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) verwies auf jüngst beschlossene Gesetze, etwa gegen Hetze im Internet.

Der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch, sprach auf Grundlage erster Einschätzungen von einer offensichtlich "schweren psychotischen Krankheit" des Todesschützen. Seehofer betonte jedoch, "der rassistische Hintergrund dieser Tat ist aus meiner Sicht vollkommen unbestritten und kann durch nichts relativiert werden." AfD-Fraktionschef Alexander Gauland hatte zuvor Vorwürfe einer Mitverantwortung seiner Partei zurückgewiesen und von einem "offensichtlich völlig geistig verwirrten Täter" gesprochen.

Bundesanwaltschaft hatte Kontakt mit Attentäter

Die Ermittler durchleuchten im Zuge der Aufklärung des Anschlages nun Handy- und Computerdaten des Täters. Abgeklärt werde, mit wem im Inland und Ausland er Kontakt gehabt und wo er sich aufgehalten habe, sagte Generalbundesanwalt Peter Frank. Mittlerweile seien 40 Zeugen angehört worden, um den genauen Tathergang abzuklären. Noch habe man keine Hinweise auf Mitwisser oder Unterstützer.

Frank bestätigte, dass die Bundesanwaltschaft schon im vergangenen November Kontakt mit dem Attentäter hatte. Dieser habe Strafanzeige gegen eine unbekannte geheimdienstliche Organisation gestellt und darin zum Ausdruck gebracht, dass es eine übergreifende große Organisation gebe, die vieles beherrsche, "sich in die Gehirne der Menschen einklinkt und dort bestimmte Dinge dann abgreift, um dann das Weltgeschehen zu steuern". Man habe aufgrund dieses Schreibens kein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Auch der Vater war den Behörden bereits aufgefallen, etwa durch Beschwerdeschreiben. Er sei in der Tatnacht in der Wohnung bei Tobias R. angetroffen worden, sei aber kein Beschuldigter, sondern ein Zeuge, sagte Frank.

Der Attentäter war Mitglied in diesem Schützenverein.
Der Attentäter war Mitglied in diesem Schützenverein. © Andreas Arnold/dpa

Ruf nach schärferen Waffengesetzen

Diskutiert wird auch weiter über politische Konsequenzen. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Linken im Bundestag, Jan Korte, forderte ein Demokratiefördergesetz, das Finanzmittel für Initiativen gegen Rechts "auf hohem Niveau" verstetigt würden.

Justizministerin Lambrecht kündigte an, zu prüfen, ob die gerade erst verschärften Regelungen im Waffenrecht auch konsequent umgesetzt werden. Demnach müssen die Behörden immer beim Verfassungsschutz nachfragen, bevor sie Waffenerlaubnisse vergeben. Es müsse geprüft werden, ob die Behörden, die über die Zuverlässigkeit entscheiden, die nötigen Informationen bekommen.

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil und Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner forderten, die AfD vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen. "Der von der AfD gesäte Hass ist der ideologische Wegbereiter des rechten Terrors", sagte Kellner dem Nachrichtenportal "t-online.de". Seehofer sagte, das sei "weniger eine politische Frage, sondern eine des Verfassungsschutzes". 

Der Opferbeauftragte der Bundesregierung, Edgar Franke, hat den Angehörigen der Opfer von Hanau schnelle finanzielle Hilfe zugesagt. "Aus dem Fonds für Härteleistungen können innerhalb von zwei Wochen Soforthilfen ausgezahlt werden. Für Ehepartner, Kinder und Eltern von Getöteten sind das 30.000 Euro, für Geschwister 15.000 Euro", sagte Franke dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Samstag). Das könne das schreckliche Leid des Verlusts der eigenen Eltern oder Kinder nicht lindern. "Aber zumindest ist es eine Hilfe für die nötigsten Dinge, die in diesem Moment wichtig sind", fügte er hinzu. (dpa)