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Chefarzt in Kamenz: "Keiner hat jemals so etwas erlebt"

Im Kamenzer Krankenhaus spitzt sich die Corona-Situation wieder zu. Kein leichter Start für Dr. Christoph Büttner, den neuen Chefarzt der Intensivstation.

Von Reiner Hanke
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Dr. Christoph Büttner ist der neue Chefarzt der Intensivstation des Kamenzer Malteser Krankenhauses. Den Mund-Nasen-Schutz hat er nur fürs Foto kurz abgenommen. Angesicht der Corona-Lage blickt er mit Sorge auf die nächsten Wochen.
Dr. Christoph Büttner ist der neue Chefarzt der Intensivstation des Kamenzer Malteser Krankenhauses. Den Mund-Nasen-Schutz hat er nur fürs Foto kurz abgenommen. Angesicht der Corona-Lage blickt er mit Sorge auf die nächsten Wochen. © Matthias Schumann

Kamenz. Gerade hat Chefarzt Dr. Büttner wieder zwei neue Patienten auf der Intensiv-Station (ITS) im Kamenzer Malteser Krankenhaus St. Johannes aufgenommen. Die stößt inzwischen an ihre Grenze. Genau jetzt hat es dort einen Wechsel an der Spitze gegeben. Dr. Christoph Büttner hat die Intensivmedizin und die Anästhesie als neuer Chefarzt übernommen – in schwierigen Zeiten. Die Corona-Pandemie steuert dem nächsten Höhepunkt entgegen.

Er habe sich den Schritt vom Oberarzt zum Chefarzt gut überlegt, sagt der 40-Jährige, der in Nebelschütz lebt. Gerade in dieser epidemischen Lage sei es wichtig, Verantwortung für Patienten und Mitarbeiter zu übernehmen. Die Lage lasse nicht viel Zeit zum Einarbeiten, aber er kenne das Team seit fünf Jahren. „Wir haben hier hervorragend ausgebildetes Personal.“ Ihm stehe ein 20-köpfiges Team mit Ärzten, Schwestern und Pflegern zur Seite, das versiert und eingespielt sei, auf das er sich verlassen könne.

Der Arztberuf liegt bei Büttner in der Familie. Der Vater, Dr. Blasius Büttner, ist Chirurg am Kamenzer Krankenhaus, der Bruder ist ebenfalls Arzt. Bei ihm habe sich der Berufswunsch während des Zivildienstes im Krankenhaus gefestigt, sagt Christoph Büttner. Er kam 2016 nach fast drei Jahren an der Dresdner Uni-Klinik zurück ans Kamenzer Krankenhaus. Diese Zeit habe er vor allem zur Weiterbildung in den Bereichen Anästhesie und Intensivmedizin genutzt. Das zahle sich in der jetzigen Corona-Lage aus.

Die spitzt sich gerade wieder zu: Die ITS mit ihren sechs Betten sei voll belegt, ein Bett stehe noch für Notfälle in der Aufwachstation zur Verfügung. Wobei nicht alle Intensivpatienten an Covid-19 erkrankt seien.

Eine wochenlange Ausnahmesituation

Es gebe ja noch andere Patienten mit Organversagen und mit schweren Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Oder frisch Operierte. Momentan seien meist bis zu vier Betten mit Covid-Patienten belegt. Während der bisher schlimmsten Pandemiezeit kurz vor Weihnachten im vorigen Jahr habe das Krankenhaus nur noch Corona-Patienten auf der ITS gehabt.

Die Aufnahmekapazität sei erschöpft, das Personal am Limit und darüber hinaus gewesen. Er ziehe den Hut vor den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Denn es sei schwer wegzustecken, wenn man alles gegeben hat, und der Patient überlebt nicht: „Unser Ziel sind ja genesene Patienten.“ So habe die Klinikmannschaft traurige Schicksale von Menschen erlebt, die ohne diese Pandemie nicht hätten sterben müssen.

„Es war über Wochen eine Ausnahmesituation, aber die Versorgung immer gewährleistet“, betont der Chefarzt. Keiner habe jemals so etwas erlebt, eine solche Vielzahl schwerer Lungenerkrankungen. Patienten seien auf ganz Sachsen verteilt worden – je nachdem, wo gerade ein Bett frei war.

40 Patienten auf den Isolierstationen

Jetzt bewege sich die Klinik erneut an der Kapazitätsgrenze, es drohe dieselbe Situation wie im Vorjahr. Christoph Büttner blickt mit großer Sorge auf die kommenden Wochen. Denn auch die beiden Corona-Isolierstationen seien voll belegt mit insgesamt 40 Patienten, teilweise sogar überbelegt.

Klinik-Geschäftsführer Sven Heise schätzt ein, dass die Situation bereits so ist wie im Vorjahr kurz vor Weihnachten: „Wir haben jetzt die Patienten, die sich vor 14 Tagen angesteckt haben. Inzwischen ist die Inzidenz in der Region aber weit über 1.000 gestiegen. Wir müssen also mit noch einem Drittel mehr an Erkrankten in zwei Wochen rechnen.“ Die Klinikleitung bittet daher eindringlich, Kontakte zu reduzieren und die AHA- Regeln zu beachten, um das Virus zu bremsen.

Etwa 25 Prozent Geimpfte auf der Intensivstation

Andere Bereiche der medizinischen Versorgung habe man bereits stark eingeschränkt. Dazu gehören Operationen: „Menschen leiden darunter, dass man die Pandemie nicht in den Griff bekommt. Erklären Sie mal einem Krebspatienten, dass seine OP verschoben werden muss.“ Gerade solche dringend notwendigen Operationen werde man aber, wann immer möglich, trotzdem durchführen, sagt der Chefarzt. Um gegenzusteuern, versuche die Klinik auch, Patienten frühestmöglich zu entlassen.

Eine Triage, also zu entscheiden, wer eine bestimmte Behandlung bekommt und wer aus Kapazitätsgründen nicht, sei am Kamenzer Krankenhaus bisher nicht erforderlich gewesen: "Wir hoffen, dass das auch so bleibt", sagt der Chefarzt.

Der Anteil der Geimpften unter den Patienten auf der Intensivstation liege bei etwa 25 Prozent. Büttner fügt ein Aber an: Es seien durch die Bank sehr alte Patienten mit schwachem Immunsystem, die eigentlich schon mit der Booster-Impfung dran wären und durchweg sehr schwere Vorerkrankungen haben.

Ungeimpfte auf der ITS: Menschen ab 40 betroffen

In der Regel würden aber auch alte Menschen mit Immunisierung weniger schwer erkranken oder hätten ohne Impfung sehr wahrscheinlich nicht überlebt. Die Wirksamkeit der Impfung stehe außer Zweifel.

Bei den Ungeimpften, die auf der ITS liegen, treffe es vielfach auch an sich Gesunde. Dort sei die Altersgruppe ab 40 Jahren aufwärts betroffen.

Verschärft werde die aktuelle Situation am Krankenhaus durch Personalengpässe. Etwa 30 Prozent würden fehlen: Weil Mitarbeiter als Kontaktperson Infizierter in Quarantäne seien, weil sie selbst Corona haben oder Kinder betreuen müssen. Oder auch durch andere Krankheiten.

Klinik-Geschäftsführer Heise betont: „Wir brauchen die Booster-Impfung, um die Ansteckungswelle zu bremsen. Und mehr Solidarität beim Impfen.“ Nicht der Impfstoff, sondern das Virus sei der Feind.

Wer erlebt habe, wie Menschen um Luft und ihr Leben ringen, unterschätzt das Virus nicht mehr, sagt Dr. Büttner. Bei einer deutlich höheren Impfquote wäre die Lage besser.