"Jugendliche Straftäter müssen wissen, dass sie in Dresden verfolgt werden"
Regelmäßig überfallen Jugendliche Gleichaltrige in Dresden. Sie sammeln sich an markanten Punkten und ziehen dann los. Was Polizei und Stadt dagegen unternehmen.
Dresden. Jugendliche überfallen andere Jugendliche, bedrohen sie und fordern von ihnen Handys, andere Wertsachen und Geld. Fast täglich sind solche Meldungen in den Dresdner Polizeiberichten zu finden. Erst am 14. Juli hat ein 16-Jähriger, der mit anderen Jugendlichen auf dem Volksfestgelände an der Pieschener Allee unterwegs war, zwei 14 Jahre alten Jungen Schläge angedroht und erpresste so die
Herausgabe von fünf Euro. Der Tatverdächtige konnte gestellt werden. Gegen ihn wird nun wegen räuberischer
Erpressung ermittelt.
Wie die Polizei Jugendliche ermittelt und was die Stadt unternimmt, um straffällig gewordene Jugendliche aus kriminellen Umfeldern herauszuholen, darüber hat Sächsische.de mit dem Dresdner Polizeipräsidenten Lutz Rodig und dem Dresdner Bildungsbürgermeister Jan Donhauser (CDU) gesprochen.
Seit September 2022 häufen sich Raubdelikte von Jugendlichen auf Gleichaltrige in der Stadt. Hält die Steigerung an?
Rodig: Tatsächlich sind die Zahlen im vergangenen Vierteljahr nicht weiter angestiegen. Heute verzeichnen wir 13 bis 18 Delikte pro Monat, begangen von Jugendlichem im Alter zwischen 13 und 18 Jahren. Das ist immer noch eine hohe Zahl, aber der Trend nach oben ist gestoppt.
Im Vorjahr mussten wir 113 Fälle verzeichnen, vor allem zum Jahresende gab es einen steilen Anstieg. Zum Vergleich: 2021 gab es nur 38 dieser Taten. Sie haben zum Beginn meiner Amtszeit keine große Rolle gespielt.
Im Dezember 2022 haben Sie die Sonderkommission Iuventus ins Leben gerufen, um die Jugendkriminalität gezielt zu bekämpfen. Wie erfolgreich arbeitet die?
Die Aufklärungsrate von Iuventus ist mit 80 Prozent sehr hoch, bei
den anderen Straßenraubdelikten liegt sie lediglich bei 60 Prozent. Die 17 Kollegen in der Soko, die aus den Bereichen Raub, Bandenkriminalität, Gewalt- und Jugendkriminalität darin zusammenarbeiten, konnten bisher 158 Tatverdächtige ermitteln, davon 26 Mehrfach-Intensivtäter, die mehr als fünf Straftaten begangen haben. Nur sechs der 158 Tatverdächtigen sind weiblich.
Dass die Soko so erfolgreich ermittelt, liegt vor allem an der Täterorientierung. Wir haben inzwischen eine große Personenkenntnis und verfügen über Lichtbildvorlagen. Erhalten wir eine Personenbeschreibung mit typischen Merkmalen, können wir den Opfern Fotos vorlegen und erzielen so auch immer wieder Treffer.
In welchen Bereichen der Stadt sind Überfälle von Jugendlichen besonders häufig?
Ein Schwerpunkt ist aktuell der Schillerplatz, an dem Gruppen von Jugendlichen zum Teil in Busse und Bahnen einsteigen und darin bereits ein Opfer aussuchen. Das wird dann nach dem Aussteigen verfolgt und beraubt. Weitere Plätze, an denen sich solche Taten häufen, sind die Elbwiesen, das Umfeld der Centrumgalerie und des Rundkinos sowie der Bereich Postplatz/Wallstraße.
Im Westen haben wir vor allem im und am Elbepark einen Schwerpunkt sowie am Merianplatz und auf dem Omsewitzer Ring in Gorbitz, auch auf dem Volksfestgelände Pieschener Allee. Der Alaunpark und der Alaunplatz sind Häufungsstellen im Dresdner Norden, auch das Umfeld des Simmelmarktes. Weniger oft kommen Raubdelikte von Jugendlichen im Süden vor. Sie gab es an der Leubener Kiesgrube.
Gibt es spezielle Zeiten, an denen die Taten verübt werden?
Freitag und Samstag sind prädestinierte Tage, zeitliche Schwerpunkte sind die Nachmittagsstunden ab 16 Uhr, es dauert bis etwa 22 Uhr an.
Wenn das bekannt ist, können die Ermittler doch ganz gezielt in den Zeiten zu den Schwerpunktbereich aktiv sein.
Man braucht Glück, um Täter auf frischer Tat zu stellen. Aber natürlich sind unsere Ermittler, gemeinsam mit den Kollegen der Bereitschaftspolizei, vordergründig an den Schwerpunkten im Einsatz, wo sie solche Personengruppen auch durch ihre Anwesenheit verdrängen und zum Teil Personalien von Jugendlichen aufnehmen. Für eine Kontrolle brauchen wir aber einen Anlass. Wenn es zum Beispiel Hinweise gibt, dass dort Straftaten verabredet werden oder es Überfälle in zeitlicher Nähe gegeben hat. Dann kommen auch die Kollegen von der Bereitschaftspolizei zum Einsatz wie bei unseren Einsätzen am Wiener Platz. Mit den Kontrollen erhöht sich für uns die Personenkenntnis, die bei der Aufklärung sehr hilfreich ist.
Sind die Jugendlichen immer in festen Gruppen unterwegs?
In Gruppen ja, aber die sind sehr inhomogen. Wir wissen, dass es meist einen festen Kern gibt, zu dem dann andere Personen dazukommen, die aber ständig wechseln. Das ist ein Unterschied zum Beispiel zu Halle, wo feste Gruppen agieren.
Wenn Sie Halle ansprechen, sind diese Überfälle von Jugendliche auf Gleichaltrige nicht nur ein Dresdner Problem?
Nein, das ist kein Dresdner Phänomen. Solche Delikte gibt es auch in anderen Großstädten. Ich weiß es aus bundesweiten Treffen der Leiter der Kriminalpolizei, dass ähnliche Probleme verstärkt seit dem zweiten Halbjahr 2022 auch in vielen anderen deutschen Großstädten registriert werden.
Was ist inzwischen über die Motivation der jugendlichen Täter bekannt?
Rodig: In erster Linie geht es darum, Macht zu demonstrieren und das Ansehen in der Gruppe zu steigern. Die Beute ist dabei oft nur zweitrangig.
Donhauser: Vor allem junge Männer, und das ist ja die Haupttätergruppe, sind sehr risikofreudig. Darunter sind auch viele Tatverdächtige, die aus ihrer bisherigen Biografie offenbar Werte und Regeln nicht ausreichend aus dem Elternhaus vermittelt bekommen haben. Gemeinsam machen wir als Polizei und Stadt deutlich, dass wir so ein
Verhalten nicht dulden und es keinerlei Toleranz dafür gibt. Das habe ich
auch im Jugendhilfeausschuss gesagt.
Wir greifen bei den betreffenden Jugendlichen hart durch, um auch den
Gleichaltrigen zu zeigen, dass wir bei solchen Taten nicht wegsehen.
Was genau heißt "hart durchgreifen"?
Donhauser: Zum einen, dass jugendliche Straftäter wissen, dass sie in Dresden verfolgt werden. Zum anderen, dass Jugendhilfeeinrichtungen kein Versteck
vor Strafverfolgung sind. Wenn die Polizei entsprechende Tatverdächtige
ermittelt, müssen wir sensibel, aber dennoch konsequent diese
Einrichtungen einbeziehen.
Neben der Repression braucht es aber auch
Begleitung. Die Jugendlichen haben noch ihr ganzes Leben vor sich. Dafür
haben wir die Jugendgerichtshilfe , auch wenn sie verurteilt sind, denn
danach muss es ja weitergehen für die jungen Leute. Im Jugendstrafrecht sind Haftstrafen relativ selten. Wir sitzen daher
gemeinsam mit dem Jugendamt, der Schule, der Polizei, der
Staatsanwaltschaft und der Ausländerbehörde an einem Tisch, um nach
individuellen Lösungen für die Betreffenden zu suchen. Das kann auch ein
Antiaggressionstraining sein oder eine psychologische Betreuung, damit
Jugendliche begreifen, was sie mit ihren Taten verursachen.
Wir hatten den Fall eines Intensivtäters, den wir aus seinem gewohnten
Umfeld in Dresden herauslösen mussten, aber in Deutschland keine
geeignete Unterbringung gefunden haben. Er ist jetzt in Griechenland. Solchen Maßnahmen müssen die Eltern zustimmen und es braucht auch einen Familienrichter, der entsprechende Beschlüsse fasst.
Rodig: Das Hauptziel ist das Herauslösen von Mehrfachintensivtätern aus ihren gewohnten Gruppen.
Wie hoch ist der Anteil nichtdeutscher Jugendlicher an den Tätern?
Rodig: Von den 158 Tatverdächtigen sind 70 Deutsche und 88 Nichtdeutsche. Anders sieht es bei den 26 Intensivtätern aus, von denen 20 nicht aus Deutschland stammen. Mit denen beschäftigen wir und die Stadt uns sehr intensiv. Das Credo ist: Welche Behörde kann welchen Beitrag leisten.
Donhauser: Wir führen Elterngespräche, bei denen oft herauskam, dass die Eltern gar nicht wussten, dass ihr Kind kriminell ist. Bei nichtdeutschen
Tatverdächtigen wird dann auch schon mal eine Arabisch sprechende
Mitarbeiterin der Ausländerbehörde hinzugezogen. Die Eltern erfahren so
oft erst einmal, was ihre Kinder da eigentlich machen und sollen dann
selbst erzieherische Verantwortung übernehmen. Wir verweisen auch
auf individuelle Hilfsangebote. Dabei werden aber auch Konsequenzen
aufgezeigt, wenn das kriminelle Verhalten weitergeht. Nämlich, dass der
Jugendliche bei Erreichen der Volljährigkeit abgeschoben werden kann.
Welche Möglichkeiten nutzen Sie, damit Überfälle gar nicht erst stattfinden?
Rodig: Wir haben aktuell 20 Dresdner Schulen ausgewählt, an denen Täter oder Opfer lernen, um dort in Elternabenden und Lehrerfortbildungen aufzuklären.
Donhauser: Ich stelle fest, dass im Kontext der Jugendkriminalität in den
städtischen Ämtern zunehmend sensibler und bereiter reagiert wird, wenn
es um das Thema Sicherheit geht und wie man damit umgeht. Dass die
Stadtplaner zum Beispiel auch aus dieser Perspektive verstärkt auf die
Innenstadt schauen, dass es für die Verwaltungsspitze ein gemeinsames
Anliegen ist, die Taten einzudämmen.
Wir wollen im Zuge dessen auch den Kriminalpräventiven Rat
weiterentwickeln, um die Probleme viel mehr sachorientiert und weniger
politisch motiviert zu bearbeiten. Beispielsweise mit einer jährlichen
Sicherheitskonferenz, bei denen wir uns die Kriminalitätsstatistik ganz
genau anschauen und mit Experten überlegen, was können wir da als Stadt
gemeinsam mit der Polizei oder der Jugendhilfe machen. Und einem
regelmäßigen Austausch zur Kriminalitätslage zwischen dem
Polizeipräsidenten, meinen Kollegen Jähnigen und Kühn und mir.
Wenn es rund die Centrumgalerie viele Vorfälle gibt, wird auch mit deren Chef gesprochen?
Donhauser: Wir sind mit dem Manager der Centrumgalerie, dem Citymanagement und den zuständigen Ämtern in Gesprächen, um
möglicherweise im Umfeld etwas baulich zu verändern. Der Handel
wünscht sich auch einen intensiveren Austausch mit dem Streetwork.
Rodig: Im Gespräch ist derzeit, die Citystreife mit privaten
Sicherheitsleuten wieder einzuführen. Das wäre eine Ergänzung zu den
Aktivitäten von Stadt und Polizei und würde zusätzliche Präsenz im
öffentlichen Raum zeigen.
Generell möchte ich aber noch einmal sagen, dass Dresden auch bei der
Analyse der Straftaten 2022 von deutschen Städten mit über 500.000
Einwohnern unverändert die Viertsicherste ist.