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Christian Thielemann wird General der Staatsoper Unter den Linden in Berlin

Der Chefdirigent der Dresdner Staatskapelle beerbt seinen Freund Daniel Barenboim und geht als Generaldirektor der Lindenoper nach Berlin. Damit schlägt er einige spannende Projekte aus.

Von Bernd Klempnow
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Noch ist Christian Thielemann Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle.
Noch ist Christian Thielemann Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle. © dpa

Dresden/Berlin. Der scheidende Dresdner Staatskapellen-Chef Christian Thielemann wird Generalmusikdirektor der Berliner Lindenoper. Er ist der Nachfolger von Daniel Barenboim, der das Amt zu Jahresbeginn aus gesundheitlichen Gründen niedergelegt hatte. Berlins neuer Kultursenator Joe Chialo stellte den neuen Musikchef am Mittwoch vor. Der beginnt seine Arbeit 2024.

Die Entscheidung verwundert nicht: Nachdem die Staatskapelle Dresden einseitig eine Vertragsverlängerung Thielemanns über den Sommer 2024 abgelehnt und Sachsens Kunstministerin Barbara Klepsch diese ausgesprochen hatte, orientierte sich der weltweit gefragte Maestro neu. Denn den Anforderungen an einen Klangerzieher für Spitzenorchester speziell im romantischen deutschen Fach entspricht Thielemann wie kaum ein zweiter Dirigent. Insofern verwunderte es nicht, dass der gebürtige Berliner, der in Potsdam lebt, kurzfristig bei der Berliner Staatskapelle eingesprungen war.

In der vergangenen Spielzeit übernahm er die Aufführung von Bruckners Siebter, nachdem sich Gastdirigent Herbert Blomstedt verletzt hatte. Danach folgte das Einspringen bei Wagners „Ring“, den Barenboim abgeben musste. Die Kritiken waren einhellig, kaum im Jubel steigerbar, ein einziger „musikalischer Triumph“. Dass der Gefeierte zuvor mehrfach phänomenale „Ring“-Aufführungen in der Semperoper geleitet hatte, war den überregionalen Kritikern – die Dresden wegen der mäßigen öffentlichen Anbindung meiden – offenbar verborgen geblieben.

Thielemann bekommt ein gutes Orchester und schlechtere Akustik

Und dann dirigierte Thielemann noch eine Asien-Tournee der Berliner Staatskapelle – obwohl er das Reisen nicht mag. Dabei musizierte er unter anderem die Sinfonien von Brahms. Das Orchester zeigte sich nach Expertenmeinung beeindruckt, wie gut Thielemann ohne große Probenvorläufe seine Vorstellungen der wichtigsten Werke der deutschen Romantik vermittelte. Die Musiker feierten den Maestro. 80 Prozent sollen für ihn gestimmt haben. Den 64-Jährigen wird nicht nur die Qualität des Orchesters überzeugt haben, auch wenn die Akustik in der LIndenoper längst nicht so gut ist, wie die in der Semperoper. Auch die kurze Anreise – theoretisch mit S-Bahn – von seiner Potsdamer Villa ins Berliner Zentrum dürfte ein Grund sein.

Zudem hat Thielemann mit Berlin noch eine Rechnung offen. Der Senat hatte vor gut 20 Jahren seine Forderung als Generalmusikdirektor der Deutschen Oper nach mehr Geld fürs Orchester abschlägig beschieden. 17 Spitzenmusiker wanderten daraufhin ab. Thielemann sah die Qualität des Ensembles gefährdet und verließ das Haus. Die Deutsche Oper sank – nicht zu Unrecht – im Ansehen von Fachleuten und beim Publikum. Viele Produktionen hatten nicht mehr die Güte wie zuvor.

Dazu sei erinnert: Seinerzeit kämpfte man in Ost- und Westberlin um die jeweilige Vorherrschaft der Häuser. Die Komische Oper punkte etwa mit fantastischen, überbordenden Inszenierungen etwa von Regisseuren wie Barrie Kosky. Die Lindenoper feierte mit großen deutschen und italienischen Produktionen unter Daniel Barenboim und Stars wie Anna Netrebko, René Pape und Harry Kupfer große Erfolge.

Die Nachbesetzung passt

Insofern passt es, dass Thielemann den 80-jährigen Barenboim, der das Haus seit 1992 leitet, beerbt. Beide verbindet eine lange künstlerische Freundschaft. So sagte Barenboim der Berliner Zeitung vor dem „Ring“ vergangenen Herbst: „Ich kenne Christian Thielemann seit knapp vierzig Jahren, als er mein Assistent an der Deutschen Oper war. Ich schätze ihn natürlich sehr, nicht nur, aber besonders auch als Wagner-Interpreten.“ Die Neue Zürcher Zeitung schrieb, die künstlerische Nähe der beiden komme nicht von ungefähr: „Thielemann wie Barenboim berufen sich auf die gleiche, von Furtwängler stammende Tradition eines musikalischen Denkens in großen, harmonisch fundierten Spannungsbögen.“

Laut Thielemann hat sein Vertrag eine Laufzeit von fünf Jahren. Darin seien nach Ablauf von Verträgen mit anderen Häusern etwa 20 Abende pro Jahr vorgesehen. Intendantin Sobotka kündigte unter Rücksicht auf dessen zuvor eingegangene Verpflichtungen für die kommende Saison lediglich eine Opernpremiere des Stars an. Dieser bekannte sich zur Pflege des musikalischen Kanons. „Man kann nur etwas Neues machen, wenn man mit beiden Beinen in der Tradition steht“, sagte er. Das Orchester soll „alles spielen, vom Weihnachtsoratorium bis zum Happening“.

Christian Thielemann - zurück in die Geburtsstadt

Christian Thielemann, Jahrgang 1959, ist Berlin geboren. Sein Vater war Geschäftsmann, seine Mutter stammt aus einer pommerischen Beamten- und Offiziersfamilie. Thielemann sollte eigentlich Pianist werden, war dann kurzzeitig von den Klangmöglichkeiten der Orgel fasziniert. Nach einem Besuch von Wagners „Tristan und Isolde“ in der Deutschen Oper entschloss er sich, Dirigent zu werden.

Über Stationen an der Deutschen Oper Berlin, in Gelsenkirchen, Karlsruhe, Hannover und Düsseldorf kam er 1988 als Generalmusikdirektor nach Nürnberg. 1997 kehrte der gebürtige Berliner in seine Heimatstadt als Generalmusikdirektor der Deutschen Oper zurück, bevor er das Chefamt von 2004 bis 2011 bei den Münchner Philharmonikern innehatte. Neben seiner Dresdner Chefposition von 2012 bis 2024 war er zehn Jahre Künstlerischer Leiter der Osterfestspiele Salzburg.

Eine enge Zusammenarbeit verbindet Thielemann mit den Berliner Philharmonikern und Wiener Philharmonikern, deren Neujahrskonzert er 2019 dirigierte und es auch Neujahr 2024 tun wird. Darüber hinaus folgte er Einladungen der großen Orchester in Europa, den Vereinigten Staaten, Israel und Asien.