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Zum Tod von Gunther Emmerlich: Der Unermüdliche

Er hatte viel erlebt – und hatte noch viel vor. Nun ist Gunther Emmerlich in seinem Haus in Dresden gestorben: das Herz. Erinnerungen an einen vielseitigen, charakterstarken Künstler.

Von Bernd Klempnow
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Gunther Emmerlich im März 1990 als Sänger und Moderator der Kultshow „Showkolade“.
Gunther Emmerlich im März 1990 als Sänger und Moderator der Kultshow „Showkolade“. © Archivfoto/DDR-Fernsehen

Auf Gunther Emmerlich war immer Verlass. Obwohl er sich aufgrund einer Heizungshavarie in seinem Dresdner Haus erkältet hatte, sagte er bis zuletzt kein Konzert, keinen Termin ab. „Kommen Sie rein“, empfing er am vergangenen Mittwoch in der Villa Maria in Oberloschwitz bei Kaffee und Stollen. Er schniefte, die Stimme war rauh und belegt. Dennoch nahm er sich Zeit für ein Interview der Sächsischen Zeitung über die Lieder der Weihnacht. Anlass war die alljährliche Weihnachtslieder-Sendung, die er im MDR präsentierte, stets ungemein gut gelaunt und mit prominenten Gästen – dieses Mal plauderte er unter anderem mit dem Kabarettisten Harald Schmidt über Erinnerungen und Begegnungen in der Zeit des hohen Festes.

Über eine Stunde ging das Gespräch. Man kannte sich ja seit Jahren gut, da reichten Stichworte aus, damit der 79-jährige Fernseh- und Bühnenstar präzise, originell und gern doppelbödig seinen Faden spinnen konnte. „Hören Sie, die Stimme findet langsam zurück“, meinte er am Ende. „Das muss auch sein, ich habe noch ausverkaufte Konzerte zu absolvieren.“

Wie es denn sei, den ganzen Advent viele Konzerte zu geben und ob er bei dieser Dauerbescherung überhaupt in Feststimmung komme, war eine der letzten Fragen. Emmerlich überlegte nicht lange: „Möglicherweise kann sich niemand, der es nicht selbst getan hat, vorstellen, wie schön es ist, im Altarraum zu stehen und in die erwartungsfrohen Gesichter zu schauen. Die Kirchen sind brechend voll. Es herrscht eine friedliche Grundstimmung, und klar, da schaukelt sich auch was hoch.“ Und dann: „Bis wann muss ich das Interview freigeben? Passt! Sie finden doch allein raus.“

Als Grundschüler im thüringischen Eisenberg. Nach der Lehre als Betonbauer sowie Ingenieur- und Gesangsstudium kam er 1972 zur Dresdner Staatsoper.
Als Grundschüler im thüringischen Eisenberg. Nach der Lehre als Betonbauer sowie Ingenieur- und Gesangsstudium kam er 1972 zur Dresdner Staatsoper. © privat

Am Mittwoch dann kam die Nachricht, dass Gunther Emmerlich tags zuvor in seinem Haus gestorben ist: das Herz. Noch am Montag hatte er am Telefon beiläufig gesagt, dass er froh sei, alle Konzerte absolviert zu haben, aber er sei nur äußerlich wieder hergestellt. „Wie es innen aussieht, weiß ja keiner, und das ist gut so!“ Es war der letzte Kontakt. „Er hat sich nicht ernst genug genommen, vor allem in gesundheitlichen Dingen“, sagt sein Weggefährte und Bühnenpartner, der Trompeter Ludwig Güttler.

Tatsächlich war der Sänger, Moderator, Buchautor und Showmaster seit langem bei Spezialisten in Behandlung. Das hielt ihn nicht von einem enormen Arbeitspensum ab. Sein Motto: „Ich höre doch auf meinen Kardiologen, der nach einer Herz-OP das Kürzertreten empfohlen hat. Arbeit hat er mir nicht verboten. Ja, bei Wanderungen trete ich kürzer, mache kleinere Schritte!“ Emmerlich hinterlässt eine große Familie mit vielen Enkeln und den ersten Urenkeln. „Ich bin so glücklich mit ihnen“, betonte er immer.

Im Gedenken an den großen Künstler wird die SZ das letzte Interview mit ihm zu den Weihnachtsliedern an diesem Sonnabend veröffentlichen. Er erzählt darin von den schönsten, den unterschätzten und den nervigsten Liedern, was sie mit uns machen und warum es ein absolutes Tabu gibt: „Ich finde ,Stille Nacht, Heilige Nacht’ sollte nur am Heiligabend erklingen. Da bin ich konservativ. Es ist das Lied für diesen Abend. Das kann man nicht schon Ende November singen. Wird aber gemacht.“

19.11.1989 auf dem Dresdner Theaterplatz: Künstler und Kulturschaffende demonstrieren mit Bürgerinnen und Bürgern. Einer der Redner: Gunther Emmerlich.
19.11.1989 auf dem Dresdner Theaterplatz: Künstler und Kulturschaffende demonstrieren mit Bürgerinnen und Bürgern. Einer der Redner: Gunther Emmerlich. © Foto: SZ/Waltraut Kossack

Gunther Emmerlich war gebürtiger Thüringer. Darauf legte er auch immer Wert und pflegte eine große Verbundenheit zu seiner Heimat. Dennoch war er für viele der Dresdner Sänger, weil er eben zu DDR-Zeiten einer der wichtigen Bässe der Dresdner Staatsoper war. Er interpretierte so gut wie alle Rollen seines Faches, etwa den Osmin in Mozarts „Entführung aus dem Serail. Im Jahr 1985 war er zudem Mitbegründer der überwiegend aus Musikern der Staatskapelle Dresden bestehenden Semper-House-Band, die unter anderem Dixieland-Jazz spielte, den liebte der Künstler sehr.

Großes soziales Engagement

Emmerlich wurde schon in der DDR zum TV-Star. Ab 1987 sah man ihn als Sänger und Moderator im Fernsehen, unter anderem in der „Nacht der Prominenten“ oder „Ein Kessel Buntes“. Außerdem war er Gastgeber in der beliebten Samstagabend-Unterhaltungssendung „Die Showkolade“, die bis 1990 insgesamt 13 Mal ausgestrahlt wurde und in der DDR Kultstatus erreichte. Viele seiner Dresdner Kollegen von Tom Pauls bis Wolfgang Stumph lud er in die „Showkolade“ ein.

Und auch als er nach der Wende freiberuflich auf vielen Bühnen etwa als Milchmann Tevje im Musical „Anatevka“, als Oberst Ollendorf in „Der Bettelstudent“ und als Gutenberg im gleichnamigen Musical unterwegs war, und vor allem als Moderator vieler Musiksendungen einem gesamtdeutschen Publikum vertraut wurde, bewahrte er sich seine Eigenheiten und Vorlieben. Und dazu gehörte, sich intensiv sozial für Kinder, Projekte, Denkmale und die Natur zu engagieren: „Er half ganz stark mit Benefizkonzerten und Spenden beim Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche“, sagt Ludwig Güttler, der als Motor dieses Vorhabens gilt. „Gunther wird uns nun bei der traditionellen Vesper vor dem Gotteshaus am 23. Dezember fehlen.“

Viele Jahre moderierte Gunther Emmerlich – hier als Monarch August – souverän und gut wie keiner seiner Nachfolger den Semperopernball.
Viele Jahre moderierte Gunther Emmerlich – hier als Monarch August – souverän und gut wie keiner seiner Nachfolger den Semperopernball. © SZ/Jürgen Lösel

Ebenso typisch war der spezielle Ost-West-Blick, den sich Emmerlich stets bewahrte. Und, dass „ich mir auch politisch immer meine eigene Meinung erlaubt habe“. Er tat das, ohne zu verklären oder sich anzubiedern in Talkshow, seinen Büchern und Gesprächen.

Ein Beispiel: Dass manche Menschen in ihrer Unzufriedenheit zu DDR-Vergleichen greifen und den Ministerpräsidenten als Despoten bezeichnen, nannte Emmerlich im Podcast von saechsische.de „unanständig“. „Wenn ich zu DDR-Zeiten der Meinung war, dass die da oben an allem schuld sind, dann hatte man in einer echten Diktatur natürlich recht“. Aber wer das eins zu eins übernehme und auf die Demokratie übertrage, „macht einen grundsätzlichen Fehler“, so der Dresdner Sänger. „Ich habe dafür absolut kein Verständnis.“

Klare Worte zu Pandemie-Zeiten

Ein weiteres Beispiel: Obwohl Emmerlich während der Pandemie wegen fehlender Auftritte erhebliche Einbußen hatte, meckerte er nicht, auch wenn er wie in einem „ersten Stubenarrest seit 60 Jahren“ gefühlt habe. „Kunst ist zwar nicht systemrelevant, gehört aber zu den wenigen Merkmalen, die uns vom Affen unterscheiden. Trotzdem kann ich die Wehklagen vor allem der gestandenen Kollegen nicht mehr hören. Um Stars wie die Geigerin Anne-Sophie Mutter müssen wir uns doch wirklich keine Sorgen machen. Um mich selbst auch nicht. Gedaken mache ich mir um die vielen hoffnungsfrohen Anfänger, die Privattheater, die Gaukler und Kabarettisten, die Träumer und fantasievollen Spinner.“

Ein Hit im Tom-Pauls-Theater Pirna. In „Gipfeltreffen“ machten sich Pauls, Emmerlich und Güttler über Ulbricht, Honecker und Bananen lustig.
Ein Hit im Tom-Pauls-Theater Pirna. In „Gipfeltreffen“ machten sich Pauls, Emmerlich und Güttler über Ulbricht, Honecker und Bananen lustig. © Matthias Creutziger

Er nutzte die Corona-Zeit auch, um seiner neuen Leidenschaft zu frönen, die ihm zusätzliche Fans bescherte: Er avancierte zum erfolgreichen Buchautor, obwohl er wusste, dass sein doppeldeutiger Humor als gesprochenes Wort funktionierte, aber nicht immer als gelesenes. „Ich denke manchmal: Wenn ich früher mit dem Schreiben begonnen hätte, wäre ich wohl gar nicht zum Singen gekommen. Singen beseelt, im Idealfall die Zuhörer und den Sänger. Schreiben entlastet die Seele und man ist gezwungen – zumindest manches – bis zum Ende zu denken. Immer wieder werde ich nach dem Stand der deutschen Einheit gefragt und ziehe meine persönliche Bilanz. Ich komme normalerweise tatsächlich quer durchs Land. Da beobachte ich und sammle Gegenargumente fürs Schönreden und fürs Miesmachen. Mein Motto und der Untertitel des Buches ,Fortgeschritten’ sind: Man muss den Tatsachen ins Auge sehen, auch wenn sie noch so erfreulich sind.“

Ein weiteres, das fünfte Buch war gerade im Entstehen. Bühnenprojekte, unter anderem ein Abend mit Harald Schmidt und Thomas Thieme auf dem Dresdner Theaterkahn im Februar, waren geplant. Die Wiederaufnahme seines launigen DDR-Abends mit Tom Pauls und Ludwig Güttler als Imitatoren von Honecker & Co. wäre schön gewesen.

Gunther Emmerlich brauchte die Bühnen jeder Art zum Leben. Er wird fehlen: als Entertainer und streitbarer Geist.