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Abwasserbetriebe in Sorge: Wie kaputt sind die Rohre im Landkreis Meißen?

Sie sollten 60 Jahre halten und schaffen vielfach nicht einmal die Hälfte. Das Abwassersystem bröckelt. Betroffen sind sieben Zweckverbände und Kommunen im Kreis.

Von Ines Mallek-Klein
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Die Meißner Straße in Radebeul ist seit Ende vorigen Jahres eine Großbaustelle. Abschnittsweise wird hier neben den Straßenbahnschienen auch der Kanal erneuert.
Die Meißner Straße in Radebeul ist seit Ende vorigen Jahres eine Großbaustelle. Abschnittsweise wird hier neben den Straßenbahnschienen auch der Kanal erneuert. © Arvid Müller

Meißen. Es war der 4. Februar 2023, als im Dippoldiswalder Ortsteil Seifersdorf ein Abwasserrohr brach und die braune Brühe sich ihren Weg suchte. Bis Feuerwehr und Technisches Hilfswerk Absperrungen errichtet hatten, floss ein Teil des Dreckwassers auch in die Talsperre Malter. Eine Havarie, und sie kann jederzeit wieder passieren, auch an anderen Orten des Freistaates.

Denn hier sind im Abwassersystem großflächig duktile Gussrohre verbaut worden, deren Lebenszeit weniger lang ist als angenommen. Die gusseisernen Rohre haben in ihrem Inneren eine Verkleidung aus Beton. Die sollte eigentlich vor Korrosion schützen. Doch wenn das Abwasser mit Sauerstoff in Kontakt kommt, beginnen die Bakterien zu arbeiten. Es entsteht Schwefelsäure, die erst den Betonschutz angreift und dann das Eisen regelrecht zerfrisst. Die Rohre, die nach der Havarie in Seifersdorf aus der Erde geholt wurden, erinnern stark an einen Schweizer Käse.

Eine Nachfrage bei der Landesdirektion Sachsen ergab, dass im gesamten Freistaat rund 230 Kilometer Kanäle mit diesen Gussrohren ausgestattet wurden. Betroffen sind 40 Kommunen beziehungsweise Abwasserzweckverbände. Sieben von ihnen sind im Landkreis Meißen zu Hause.

Meißner Rohre sind bis zu 100 Jahre alt

Wie es hier um die Situation des Abwassersystems im Landkreis steht, müsste eigentlich die Untere Wasserbehörde des Landratsamtes wissen. Tut sie aber nicht, zumindest noch nicht. Man wisse weder, wo diese porösen Rohre verlegt worden seien noch in welchem Ausmaß, heißt es aus dem Landratsamt. Da die Zustandserfassung gerade erst begonnen habe.

Fest seht indes, der Austausch der ummantelten gusseisernen Rohre wird nicht billig. Dippoldiswalde hat schon 2023 unmittelbar nach der Havarie reagiert, und einen seiner insgesamt betroffenen 4,3 Kilometer erneuert. Kostenpunkt: zwei Millionen Euro. Müssen schwierige Geländeprofile einkalkuliert werden, wird es noch teurer. Und Fördermittel gibt es keine mehr. Der Freistaat habe vor drei Jahren die Förderung von Sanierung, Ertüchtigung und Ersatzneubauten bestehender Abwasserkanäle eingestellt, heißt es aus dem Rathaus in Meißen. Diese Entscheidung gehe zwar an den Bedürfnissen der Kommunen vorbei und auch der Sächsische Städte- und Gemeindetag habe anders empfohlen. Nun aber müsse man mit den Gegebenheiten leben.

Für Meißen ist das eine besondere Herausforderung. Nachdem in den 1990er-Jahren das Ortsnetz von 92,5 auf nunmehr 152 Kilometer erweitert wurde, besteht weiterhin gewaltiger Investitionsbedarf. Viele der Rohre, die hier unter Pflaster und Asphaltdecken liegen, sind bis zu einhundert Jahre alt. Havarien sind hier also ebenfalls möglich. Zuletzt gab es Ende 2023 eine Notreparatur in der Lorenzgasse. Der grundhafte Rohrtausch wurde deshalb noch eilig in den Sanierungsplan für 2024 mit aufgenommen.

In Zukunft mehr Reinigungsaktionen

Insgesamt hat der Eigenbetrieb Abwasserentsorgung (EAW) in diesem Jahr 3,5 Millionen Euro zur Verfügung, um Sammler und Anschlussleitungen auf zwei Kilometern Länge zu sanieren und auszuwechseln. Betroffen sind unter anderem Bereiche in der Winzerstraße, der Wilsdruffer Straße und der Wolyniezstraße, in der Görnischen Gasse und der Bergstraße. 2025 und 2026 will der Eigenbetrieb dann sogar fünf Millionen Euro investieren. Ohne Fördermittel wird man für die Maßnahmen neu kalkulieren müssen, ist Dirk Herr als Leiter des Eigenbetriebs überzeugt. Die Auswirkungen für Verbraucher und Gebührenzahler seien noch nicht absehbar. Allerdings, es braucht wenig Fantasie um zu wissen, in welche Richtung sich die Abwassergebühren bewegen werden.

Für den Zustand der Abwasserleitungen sind die Betreiber zuständig. Sie, so heißt es auf Nachfrage aus der Landesdirektion, müsste auch haften, wenn es durch Risse oder Löcher zum Austritt von Abwässern komme. Es gibt Regeln für die Wartung, dazu zählen Sichtkontrollen und Inspektionen. Doch gerade im ländlichen Raum verfügen die Abwasserrohre oft nur über einen geringen Druckmesser. Zusätzlich wurden sie oft so verlegt, dass sie dem Geländeprofil folgen. Das macht heute übliche Kamerabefahrung nahezu unmöglich.

Die duktilen Gussrohre sollten eigentlich 60 Jahre halten. Jetzt zeigt sich, dass manche nicht einmal die Hälfte ihrer vorhergesagten Lebenszeit erreichen werden. Die Abwasserzweckverbände setzen nun auf neue, langlebigere Materialien und auf Reinigungsaktionen. Dazu kommt ein Molch zum Einsatz. Der Schwamm wird durch die Rohre gezogen. Dafür sind allerdings Zugänge über Schächte nötig, die bei den alten Leitungssystemen mehrheitlich fehlen.