SZ + Pirna
Merken

Pirna Sonnenstein: Auf ehemaligem Tötungsgelände sollen Wohnungen entstehen

Die einstige Busgarage der Tötungsanstalt auf dem Sonnenstein wurde entkernt und soll ausgebaut werden. Das Projekt stößt auf massive Kritik.

Von Mareike Huisinga
 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Die ehemalige Garage der sogenannten grauen Busse auf dem Gelände der Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein soll zu Wohnungen umgebaut werden.
Die ehemalige Garage der sogenannten grauen Busse auf dem Gelände der Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein soll zu Wohnungen umgebaut werden. © Karl-Ludwig Oberthür

Auf dem Pirnaer Sonnenstein wird geplant und entkernt. Das ist nichts Neues. Die Lage für neue Wohnungen ist durchaus attraktiv. Allerdings ist der aktuelle Standort besonders sensibel. Es handelt sich um eine frühere Scheune, die 1940 zur Garage der berüchtigten grauen Busse umgebaut wurde, gleich neben der Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein.

Der Ort ist besetzt. Diese grauen Busse waren die Todestransporte im Zuge der sogenannten "Euthanasie-Aktion" der Nationalsozialisten. In der Geheimaktion "T4" wurden behinderte und kranke Menschen in sechs Tötungsanstalten vergast beziehungsweise ermordet. Allein in Pirna-Sonnenstein wurden rund 14.000 umgebracht, so auch mindestens 51 Personen aus Pirna.

Dieses Bild zeigt einen Bus der Reichspost, der in der Tötungsanstalt Hartheim zum Transport der Opfer eingesetzt wurde. Ähnliche sogenannte graue Busse brachten Menschen während der NS-Zeit auch in die Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein.
Dieses Bild zeigt einen Bus der Reichspost, der in der Tötungsanstalt Hartheim zum Transport der Opfer eingesetzt wurde. Ähnliche sogenannte graue Busse brachten Menschen während der NS-Zeit auch in die Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein. © Dokumentationsstelle Hartheim

Leitung der Gedenkstätte ist besorgt

Die frühere Busgarage befindet sich gleich neben der Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein. Das Gebäude wurde bereits komplett entkernt. Es soll nach Informationen von Sächsische.de zu Wohnungen ausgebaut werden. Eine Baugenehmigung für das Projekt liegt vor. Das bestätigt Pirnas Stadtsprecher Thomas Gockel. "Die Genehmigung wurde nach Zuarbeit des Landesamtes für Denkmalpflege Sachsen von der Stadt erteilt", so der Rathaussprecher.

Kritik kommt indes von der Leitung der Gedenkstätte. "Aufgrund der historischen Bedeutung beobachten wir den Umgang mit den Überresten eines der wichtigsten baulichen Zeugnisse der Krankenmorde mit großer Sorge", sagt Boris Böhm, Leiter der Gedenkstätte. Besonders bedenklich sei die bereits erfolgte Entfernung der beiden Innenwände sowie des Bodenbereiches. Die räumliche Struktur der ehemaligen Busgarage sei damit dauerhaft zerstört und nicht mehr nachvollziehbar.

Auch die Garagentüren wurden entfernt, berichtet Böhm weiter. Ihre weitere Erhaltung sowie die Frage, ob die Toreinfahrten weiterhin sichtbar sein werden, seien bislang ungeklärt. "Wir befürchten, dass die ehemalige Busgarage künftig nicht mehr erkennbar und damit als Erinnerungsort verloren sein wird", gibt Böhm zu bedenken. Man erhoffe sich von allen beteiligten Akteuren eine offene Kommunikation und einen sensiblen Umgang mit diesem Zeugnis der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik in Pirna.

So sah die Anstaltsscheune auf dem Sonnenstein um 1900 aus. 1940 wurde das Gebäude zu einer Garage für die grauen Busse umgebaut.
So sah die Anstaltsscheune auf dem Sonnenstein um 1900 aus. 1940 wurde das Gebäude zu einer Garage für die grauen Busse umgebaut. © Archiv Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein

Nicht nur die Leitung der Gedenkstätte auf dem Sonnenstein sieht die aktuelle Entwicklung am Standort skeptisch. Scharfe Kritik kommt auch aus Berlin. "Bereits im November 2023 appellierten wir an die Verantwortlichen, somit auch an das Landesamt für Denkmalpflege Sachsen, die weitere Zerstörung der ehemaligen Busgarage der T4-Krankenmordanstalt in Pirna-Sonnenstein zu stoppen und für eine Nutzungsform Sorge zu tragen, die ihrem Stellenwert als Zeugnis für dieses Menschheitsverbrechen gerecht wird", sagt Architektin Barbara Schulz. Zusammen mit Kunsthistoriker Axel Drieschner betreibt sie in Berlin ein Büro für Zeitgeschichte und Denkmalpflege.

Aus ihrer Sicht bleiben allenfalls die äußeren Umfassungswände des Scheunenbaus erhalten, während die von der T4 geschaffene innere Struktur für die Busgarage mit ihren spurentragenden Wänden, Böden und Einbauten nahezu vollständig zerstört wurde.

Vor allem aber wäre es erforderlich gewesen, vor Abrissbeginn eine Untersuchung und Bestandsdokumentation des Gebäudes zu beauflagen. "Wir bekräftigen unsere Aufforderung, die jetzt noch erhaltenen baulichen Spuren zu sichern, zu dokumentieren und eine Wiederherstellung des Bauwerks und den Erhalt seiner unmittelbaren Umgebung zu erwirken. Notwendig ist eine Nutzungsform, die unter anderem das äußere Erscheinungsbild bewahrt und die Torfront zusammenhängend und unverstellt sichtbar und für die Öffentlichkeit zugänglich belässt. Als Bestandteil einer Wohnanlage wird dies kaum gelingen", gibt die Expertin zu bedenken. Ihre Forderung ist unmissverständlich: "Wer sich dem Denkmal künftig nähern wird, muss es weiterhin als Zeugnis der T4-Morde verstehen können."

Denkmalbehörde weist Kritik von sich

Das zuständige Landesamt für Denkmalpflege Sachsen will diese Kritik so nicht stehen lassen. Vielmehr sei man sich der geschichtlichen Bedeutung der nationalsozialistischen Morde an Kranken und der daraus erwachsenden Verpflichtung zum Umgang mit den Zeugnissen bewusst, betont Sabine Webersinke von der Behörde.

"Die Identifizierung der Busgarage geschah vor zehn Jahren durch das Bauforschungsbüro Schulz + Drieschner GbR, Berlin. Unter Einbeziehung dieser Untersuchungsergebnisse wurde daraufhin die Denkmalbewertung ergänzt und erweitert", erklärt die Sprecherin. Die Busgarage hätte sich aufgrund des Leerstandes im Laufe der letzten fast 35 Jahre rasant zu einer weitgehenden Ruine entwickelt. Abbruchanträge haben die Denkmalbehörden abwenden können, beteuert Webersinke.

Vielmehr sei die künftige Nutzung des Gebäudes eine Chance. "Der gegenwärtige Eigentümer stellte einen Antrag auf Umbau zur Wohnnutzung. Das ist eine Möglichkeit der Bewahrung der Substanz dieses Baudenkmals. Ein Abbruch des Objektes, wie gegenwärtig mehrfach behauptet, findet gerade nicht statt", unterstreicht die Pressesprecherin. Die bislang vorgenommenen Eingriffe seien dem schlechten Bauzustand geschuldet und nicht etwa leichtfertig von den Denkmalbehörden „durchgewunken“ worden, so Webersinke. Das Amt werde weiterhin gemeinsam mit dem Eigentümer das Projekt begleiten. Ziel sei es, eine denkmalverträgliche und wirtschaftlich zumutbare Lösung zur Erhaltung des Kulturdenkmals zu finden.

Stadt Pirna hält sich zunächst zurück

Auch die Stadt Pirna ist involviert. "Das Landesamt für Denkmalpflege prüft nach unserer Kenntnis derzeit die vorgebrachten Hinweise und wird dazu abschließend eine Stellungnahme abgeben. Ob sich daraus für uns als Bauaufsichtsbehörde Handlungsbedarf ergibt, kann im Moment noch nicht abgeschätzt werden", sagt Stadtsprecher Thomas Gockel auf Nachfrage.

Zur Geschichte:

  • Das denkmalgeschützte Gebäude stammt aus dem 19. Jahrhundert und wurde in der Heil- und Pflegeanstalt Pirna-Sonnenstein ursprünglich als Scheune genutzt.
  • 1940 wurde die Scheune umgebaut und diente als Garage für das Transportkommando der nationalsozialistischen Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein. Es bot Raum für drei Busse mit jeweils etwa 35 Plätzen. In mehr als 100 Transporten kamen 1940/41 fast 14.000 Menschen mit diesen Bussen zur Vernichtung dorthin.
  • Adolf Hitler selbst hatte die planmäßige Ermordung behinderter und kranker Menschen angeordnet. Dazu wurde eine Sonderbehörde geschaffen, Sitz Berlin, Tiergartenstraße 4 - daher der Name der "Aktion T4". Die Befugnisse von Ärzten wurde so erweitert, "dass nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischster Begutachtung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kann", wie es im zynischen NS-Jargon hieß. Tatsächlich wurden sie in Tötungsanstalten vergast oder mit einer Giftspritze ermordet, die Leichname eingeäschert.