SZ + Pirna
Merken

Wohnen in der Garage der Todesbusse? Jetzt sprechen Pirnaer Denkmalschützer

In Pirna-Sonnenstein sollen auf besonders sensiblem Gebiet Wohnungen entstehen. Das Kuratorium Altstadt Pirna hat Bedenken.

Von Mareike Huisinga
 3 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Die ehemalige Garage der sogenannten grauen Busse auf dem Gelände der Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein soll zu Wohnungen umgebaut werden. Das Projekt stößt auf Widerstand.
Die ehemalige Garage der sogenannten grauen Busse auf dem Gelände der Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein soll zu Wohnungen umgebaut werden. Das Projekt stößt auf Widerstand. © Karl-Ludwig Oberthür

Ein Bauprojekt in Pirna-Sonnenstein bewegt viele in der Stadt mit Blick auf die Nazi-Zeit. Die Mitglieder des Kuratoriums Altstadt Pirna e.V. haben eine eindeutige Meinung zum Umbau der Garage der Todesbusse zu Wohnraum.

"Mit äußerstem Befremden und Entsetzen haben wir zur Kenntnis genommen, dass die historisch bedeutsame ehemalige Anstaltsscheune der Pflege- und Heilanstalt Pirna-Sonnenstein und spätere Busgarage der Tötungsanstalt, zu Wohnzwecken umgebaut werden soll und mittlerweile davon nur noch die Umfassungsmauern stehen", heißt es in einem offenen Brief des Kuratoriums.

Hier wurden Menschen mit einer Behinderung ermordet

Zuvor hatte bereits die Leitung der Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein erhebliche Bedenken geäußert. Der Standort für das Bauprojekt ist besonders sensibel. Es handelt sich um eine frühere Scheune, die 1940 zur Garage der berüchtigten grauen Busse umgebaut wurde. Die grauen Busse waren die Todestransporte im Zuge der "Euthanasie-Aktion" der Nationalsozialisten. In der Geheimaktion "T4" wurden behinderte und kranke Menschen in sechs Tötungsanstalten vergast oder anders ermordet. Allein in Pirna-Sonnenstein wurden rund 14.000 Menschen umgebracht, so auch mindestens 51 Personen aus Pirna.

Kuratorium Altstadt fordert Baustopp

Das Kuratorium Altstadt Pirna kritisiert das Projekt heftig. "Es zeugt von Respekt- und Instinktlosigkeit, dass dieses Gebäude in eine nicht geeignete Wohnnutzung überführt werden soll", heißt es in dem Schreiben.

Das Gebäude sei die einzige noch in ihrer Grundstruktur erhaltene Busgarage der zentralen Krankenmorde und daher für die Erinnerung an die „Euthanasie“ als ersten industriellen Massenmord des Nationalsozialismus von außerordentlicher Bedeutung. Das Kuratorium bezweifelt, dass dieses historische Gebäude mit einer Wohnnutzung erhalten werde. "Abgesehen vom moralischen Aspekt erfordert die vorgesehene Nutzung gravierende Veränderungen, sodass am Ende vom Original nichts mehr bleibt" steht in dem offenen Brief. Deshalb fordert der Verein einen sofortigen Baustopp und das Überdenken der Nutzungspläne sowie den Erhalt des historisch bedeutsamen Gebäudes.

Baugenehmigung für Wohnen in Ex-Busgarage

Indes liegt eine Baugenehmigung für das Projekt vor. Das bestätigt Pirnas Stadtsprecher Thomas Gockel. "Die Genehmigung wurde nach Zuarbeit des Landesamtes für Denkmalpflege Sachsen von der Stadt erteilt", so der Rathaussprecher.

Das Landesamt für Denkmalpflege prüfe jedoch nach Kenntnis der Stadt derzeit die vorgebrachten Hinweise und werde dazu abschließend eine Stellungnahme abgeben. "Ob sich daraus für uns als Bauaufsichtsbehörde Handlungsbedarf ergibt, kann im Moment noch nicht abgeschätzt werden", sagt Stadtsprecher Thomas Gockel auf Nachfrage. Der Bauherr selber, ein Unternehmen aus der Region Dresden, wollte sich zu dem Thema nicht äußern.

Zur Geschichte der Garage der grauen Busse:

  • Das denkmalgeschützte Gebäude der Busgarage stammt aus dem 19. Jahrhundert und wurde in der Heil- und Pflegeanstalt Pirna-Sonnenstein ursprünglich als Scheune genutzt.
  • 1940 wurde die Scheune umgebaut und diente als Garage für das Transportkommando der nationalsozialistischen Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein. Es bot Raum für drei Busse mit jeweils etwa 35 Plätzen. In mehr als 100 Transporten kamen 1940/41 fast 14.000 Menschen mit diesen Bussen zur Vernichtung dorthin.
  • Adolf Hitler selbst hatte die planmäßige Ermordung behinderter und kranker Menschen angeordnet. Dazu wurde eine Sonderbehörde geschaffen, Sitz Berlin, Tiergartenstraße 4 - daher der Name der "Aktion T4". Die Befugnisse von Ärzten wurden so erweitert, "dass nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischster Begutachtung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kann", wie es im zynischen NS-Jargon hieß. Tatsächlich wurden sie in Tötungsanstalten vergast oder mit einer Giftspritze ermordet, die Leichname eingeäschert.