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Das Auto spaltet Stadt und Land - ein Kommentar

In der Debatte um umweltfreundlichere Mobilität wird viel zu oft mit der ideologischen Brille argumentiert. Dabei braucht es mehr Pragmatismus und den Blick auf die so verschiedenen Lebenswelten in Stadt und Land.

Von Anja Beutler
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Die Lebenswelten zwischen Stadt und Land unterscheiden sich heftig. Um die Spaltung nicht zu vergrößern, braucht es Pragmatismus, kommentiert Anja Beutler.
Die Lebenswelten zwischen Stadt und Land unterscheiden sich heftig. Um die Spaltung nicht zu vergrößern, braucht es Pragmatismus, kommentiert Anja Beutler. © Andreas Arnold/dpa

Deutlicher hätten die Zahlen es kaum zeigen können: Zwischen Stadt und Land existieren rund um das Thema Auto zwei gegensätzliche Welten. Im großen SZ-Mobilitätskompass geben ein Viertel der Teilnehmer aus Dresden an, überhaupt kein Auto zu besitzen. Eine Quote, an die in den Landkreisen Bautzen, Görlitz, Meißen, Mittelsachsen sowie Sächsische Schweiz-Osterzgebirge nicht im Traum zu denken ist: Zwischen vier und knapp acht Prozent liegt hier die Anzahl derer, die gänzlich ohne Auto auskommen.

Viele Haushalte besitzen hier nicht nur ein, sondern gleich mehrere Fahrzeuge. Und das wird absehbar so bleiben: In die Zukunft geblickt, können sich in Dresden mehr als 28 Prozent der Umfrageteilnehmer vorstellen, künftig grundsätzlich kein Auto mehr zu kaufen. Auf dem Land ist die Bereitschaft zum Verzicht deutlich niedriger – aller Bemühungen um eine grüne Verkehrswende, steigender Benzinpreise und eines generell wachsenden Umweltbewusstseins zum Trotz.

Umfrage zum Mobilitätskompass: Auto bedeutet Freiheit

Dass die Ergebnisse so unterschiedlich ausfallen, kann niemanden überraschen. Überraschend ist eher, dass in vielen politischen Debatten dieser Tage vergessen wird, warum das so ist: Der öffentliche Nahverkehr ist für die ländlichen Regionen nicht flexibel genug. Und er wird es – zumindest in seiner derzeitigen Form – wohl auch nie sein können.

  • Mehr als 9.000 Menschen aus Ost- und Mittelsachsen haben für den Mobilitätskompass Einblick in ihr Mobilitätsverhalten gegeben. Der Mobilitätskompass wurde unter wissenschaftlicher Begleitung der Evangelischen Hochschule Dresden und in Kooperation mit der Agentur "Die Mehrwertmacher" entwickelt und ausgewertet, die darauf geachtet haben, dass die Aussagen belastbar sind. Bis Anfang Dezember veröffentlicht Sächsische.de die regionalen und lokalen Ergebnisse. Alle erschienenen Beiträge finden Sie auch auf www.saechsische.de/mobilitaetskompass

Abseits der Großstädte ist das Leben um das Auto herum gebaut. Der Alltag, gerade mit Kindern, wäre für die meisten sonst kaum zu schaffen. Das spüren auch Familien, die aus Großstädten aufs Land ziehen und sich erst einmal einen fahrbaren Untersatz kaufen müssen. Denn ein Auto bedeutet hier vor allem eines: Freiheit.

Es ist die Freiheit, alles unter einen Hut zu bekommen: Die Arbeitswelt ist stark flexibilisiert, feste Zeiten, zu denen nahezu alle ins Büro oder die Firma strömen, gibt es längst nicht mehr. Selbst die Schulen starten am Morgen zu unterschiedlichen Zeiten. Überhaupt: Schule, Kita, Vereinsleben, Musikunterricht: Dieses Netz ist durch die demografischen Verwerfungen seit 1990 auf dem Land dünn geworden. Viele Dörfer haben nicht einmal mehr Bäcker oder Fleischer, geschweige denn einen Lebensmittelladen im Ort. Zum Einkaufen bleibt vielen damit nur der Weg in die nächstgrößere Stadt. Das Verkehrsmittel der Wahl ist da das Auto.

Die Freiheit, ein Auto zu besitzen, bedeutet für viele zudem ein größeres Gefühl von Sicherheit. Zu wissen, dass man im Notfall vom Fleck kommt, ist psychisch kaum zu unterschätzen. Vor allem, wenn es um die Gesundheit geht. Wer auf dem Land wohnt und zum Hausarzt, zum Kinderarzt oder gar zu einem Facharzt will, muss in vielen Fällen eine kleine Weltreise unternehmen. Mit einer Buslinie, die nur zwei-, dreimal am Tag den Wohnort tangiert, ist das – selbst bei gutem Willen – illusorisch.

Die Verteufelung des Autos ist gefährlich

In der Großstadt sind diese Dinge nachweislich einfacher. Aber auch hier gibt es eine Freiheit, die direkt mit dem Auto in Verbindung steht: die Freiheit, kein Auto besitzen zu müssen. Unter verstopften Straßen, Staus, der routinemäßigen Parkplatzpanik und unter Verkehrslärm leiden die Städter weitaus stärker. Ein Auto kann hier eher Last als Lust sein. Da nimmt es nicht Wunder, dass beim SZ-Mobilitätskompass mehr als 43 Prozent der Befragten aus Dresden sich mehr autofreie Bereiche in den Städten wünschen. Auch hier ist der Unterschied zu den Landkreisen - mit 20 Prozent Zustimmung - deutlich.

Und was heißt das jetzt für die angepeilte Verkehrswende und die Frage nach der Mobilität der Zukunft? Zunächst, dass die Verteufelung des Autos und des Individualverkehrs nicht der richtige Weg ist. Es ist sogar ein gefährlicher. Das Auto wird für viele unverzichtbar bleiben – selbst, wenn sich manche Wege dank Digitalisierung erübrigen werden. Wer das Aus des Verbrenners fordert, eine wirklich funktionierende Alternative aber nicht zu bieten hat, treibt alle, für die das Auto alltägliche Freiheit bedeutet, in die Arme der Populisten. Sie fühlen sich missverstanden und haben das Gefühl, man zöge ihnen eine Lebensgrundlage unter den Füßen weg.

Eine Verkehrswende muss also vor allem eines: überzeugende und erschwingliche Alternativen für alle bieten. Die Krux dabei ist, dass es die eine einfache und allumfassende Lösung nicht gibt. Das E-Auto ist – auch das zeigt der SZ-Mobilitätskompass – für viele zu teuer, das Ladenetz zu luftig und die Reichweite zu gering. Diese E-Auto-Skepsis ist übrigens bei den Befragten in der Stadt Dresden genauso ausgeprägt wie auf dem Land. Sie hat aber, genauso wenig wie die fehlende Offenheit für den öffentlichen Nahverkehr, absolut nichts mit fehlender Offenheit für Neues zu tun.

Mail an Anja Beutler