Meißen
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Wo die Fahrt mit dem Schulbus jeden Tag ein Abenteuer ist

Eine Bushaltestelle im Vierseithof und Engstellen, die nur nach einem Telefonat passiert werden können: Der Schülerverkehr in der Lommatzscher Pflege ist ein Abenteuer - das aber Regeln folgt.

Von Ines Mallek-Klein
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Die Haltestellen für den Schulbus in der Lommatzscher Pflege sind teilweise auf dem freien Feld – ohne Unterstellmöglichkeit  und Straßenlampe.
Die Haltestellen für den Schulbus in der Lommatzscher Pflege sind teilweise auf dem freien Feld – ohne Unterstellmöglichkeit und Straßenlampe. © Claudia Hübschmann

Meißen. Es ist ein kühler Septembermorgen. Das Thermometer zeigt kurz nach 6 Uhr kaum mehr als zehn Grad an, als Vivien Rose um ihren weiß-grünen Linienbus läuft. "Zur Abfahrtskontrolle", wie sie erklärt. Die junge Frau arbeitet seit zehn Jahren bei der Verkehrsgesellschaft Meißen (VGM). Sie ist Mechatronikerin. Doch an diesem Tag übernimmt sie die Schulbustour durch die Lommatzscher Pflege. Zwölf Stationen bis zur Endhaltestelle in Lommatzsch an der Meißner Straße. Dann wird es 7.35 Uhr sein und die Oberschüler schaffen es pünktlich zu ihrer ersten Stunde.

Die Sichtkontrolle bleibt ohne auffällige Befunde. Der Reifendruck stimmt und die Spiegel sind auch noch alle dran. Punkt 6.27 Uhr rollt die Busfahrerin vom Hof ​​der VGM in Richtung Schletta. Dort, am Wendeplatz, ist der erste Halt. Lena wartet schon. Sie besucht die zehnte Klasse und ist eine erfahrene Schulbusfahrerin. Um 6.45 Uhr klingelt an normalen Schultagen ihr Wecker. Manchmal ist die Zeit zu knapp für ein Frühstück, meist reicht sie. Verpasst habe sie den Bus noch nie, auch weil die Fahrer so nett sind zu warten, wenn man mal spät dran ist.

Vivien Rose arbeitet seit zehn Jahren bei der Verkehrsgesellschaft Meißen. Als Mechatronikerin wartet sie eigentlich die Busse. Doch gelegentlich setzt sie sich auch selbst ans Steuer, um auf der morgendlichen Schulbusrunde die Kinder an die Lommatzscher
Vivien Rose arbeitet seit zehn Jahren bei der Verkehrsgesellschaft Meißen. Als Mechatronikerin wartet sie eigentlich die Busse. Doch gelegentlich setzt sie sich auch selbst ans Steuer, um auf der morgendlichen Schulbusrunde die Kinder an die Lommatzscher © Claudia Hübschmann

Allerdings, auch das sagt Lena, funktioniert das Schulbusangebot nur, wenn der Unterricht zur ersten Stunde beginnt. „Wenn früh Stunden ausfallen, ist man dumm dran, denn da kommt kein Bus mehr“, so Lena. Die Eltern müssten dann einspringen. Ein Problem, das auch Luca kennt. Auch er wohnte in Schletta, wird dieses Jahr seinen Zehnteklasseabschluss machen. Seine Zeit mit dem Schulbus geht zu Ende. Zur Berufsausbildung will er dann nicht mehr mit den Öffis fahren, sondern mit dem Moped, zumindest von Frühling bis Herbst.

Duligs Herzensprojekt

Vivien Rose lenkt ihren 18-Tonner weiter entlang der Felder, auf denen der Mais reift. Die Straße ist an manchen Stellen kaum breiter als der Bus. Bei Gegenverkehr ist Geduld und Rücksichtnahme gefragt. Es geht über Niederjahna nach Neumohlis/Abzweig Seebschütz. Kein Bushäuschen, keine befestigte Fahrbahn. Der Bus rollte auf einen unbefestigten Schotterplatz, nur das gelb-weiße Schild verrät, dass hier eine Haltestelle ist. Das gehört zu uns, sagt Ramona Raden, die für die Meißner Verkehrsgesellschaft spricht. Die Haltestelle selbst sei Sache der Kommunen.

Die sechs Schüler, die gerade einsteigen, stört der Minimalismus an der Straße nicht. Alle haben einen kleinen Ausweis in der Hand. Das Bildungsticket für 15 Euro im Monatsabo. Eingeführt im August 2021 wird es mittlerweile von nahezu jedem zweiten Schüler und Auszubildenden in Sachsen genutzt. Stand Juni 2023 gab es laut Wirtschaftsministerium sachsenweit 205.200 Besitzer von Bildungstickets. Seit diesem Jahr können es auch all jene nutzen, die ihren Bundesfreiwilligendienst leisten.

Das Bildungsticket war das Herzensprojekt von Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD). Beantragt wird es beim jeweiligen Verkehrsverbund, man benötigt aber einen Nachweis der Schule bzw. des Ausbildungsbetriebes. Das empfinden nicht wenige Eltern als umständlich. Die Handhabung selbst ist allerdings einfach. Die Schüler halten ihre Plastikkarten an den Scanner, er piept kurz und sie können sich einen freien Platz suchen.

Den Bus übersehen

Geplant wird der Schülerverkehr von den Landkreisen und kreisfreien Städten. Im Kreis Meißen wird er größtenteils über den normalen Linienverkehr abgewickelt. Laut Landratsamt gibt es insgesamt 94 Buslinien, darunter 59 Regionalbusverbindungen und elf Stadtverkehre, aber nur 24 Linien, die im reinen Schülerverkehr unterwegs sind, so wie der Bus von Vivien Rose. Er taucht auf keinem der ausgehängten Fahrpläne auf, kann nur im Internet gefunden werden.

Eine zentrale Rolle für den Schülerverkehr spielt auch die Straßenbahnlinie 4, die Radebeul, Coswig und Weinböhla bedient. Die VGM zählte zuletzt rund elf Millionen Fahrgäste pro Jahr, wobei zwei von drei Passagieren Schüler und Auszubildende mit Monatsabos waren. Immerhin 500 Schüler nutzen landkreisweit den Schülerspezialverkehr, entweder mangels Busanbindung und wegen persönlicher Einschränkungen. Die jährlichen Kosten dafür belaufen sich auf 2,8 Millionen Euro. Weitere 14,5 Millionen Euro gibt der Landkreis für den Regionalverkehr inklusive der Schulbusse aus. Tendenz steigend.

Der Bus füllt sich weiter. Doch geredet wird kaum. Viele haben ihr Handy in der Hand, manche noch dazu die Kopfhörer im Ohr. Die Blicke wandern über die überwiegend frisch gepflügten Felder. Eine Gefahrenbremsung reißt die Schüler aus ihren Gedanken. Der Pkw im Gegenverkehr hat den Bus übersehen, trotz Lichthupe, wie Vivien Rose später erzählen wird. Kein Wunder, die Sonne steht so kurz vor sieben Uhr noch sehr tief.

Endstation Lommatzsch

Der nächste Halt ist auf dem freien Feld. Im Stroischen gibt es kein Wartehäuschen, keine Bank, noch nicht mal eine Straßenlampe. Die Busfahrerin fährt weiter und blinkt. Sie fährt rechts unter einer Allee aus Lindenbäumen und alten Pflastersteinen. Da steht weit offen das neue grüne Tor, dahinter ein schön sanierter Vierseithof in Planitz. Gekonnt wendet Vivien Rose ihr Gefährt im Innenhof. An der Häuserecke prangt ein großes Schulbusschild, darunter drei Schulkinder. „Diese Haltestelle wird nur vom Schulbus angefahren, zweimal am Tag“ erklärt Ramona Raden und der Hof ist mit großer Wahrscheinlichkeit die einzige Wendemöglichkeit in dem kleinen Ort, der zur Gemeinde Käbschütztal gehört. Busse dürfen nicht rückwärts fahren, es sei denn, sie werden von einem fachkundigen Fahrer eingewiesen.

Vivien Rose hat die Uhr immer im Blick, sie kennt ihre Route und ihre Abfahrtszeiten. „Aber die Sicherheit geht vor“, sagt sie. Das ist an manchen Tagen einfacher gesagt als getan. An einem Januartag hatte Eisregen eingesetzt. Die Straßen waren spiegelglatt, jede Kurve wurde zum Abenteuer.

Die Busfahrerin kam trotzdem unfallfrei an ihr Ziel und wieder zurück ins Depot. Da ist auch Teamarbeit gefragt. Beim Bau der Ortsumgehung Lommatzsch führte ihre Tour über einen Weg, der schon von einem Bus schwer zu passieren ist. "Ich habe immer mit dem Kollegen telefoniert, der die gegenläufige Tour fährt, wollte wissen, wo er gerade ist und wir haben dann abgesprochen, wer als Erstes fährt", so die Busfahrerin.

Lommatzsch, Meißner Straße. Endstation. Die Schüler greifen nach ihren Rucksäcken und verlassen den Bus, es gibt weder Gerempel noch Müllreste auf den plüschigen Sitzen, die zurückbleiben. Aber auch kaum noch Schulaufgaben, die im Bus erledigt werden. "Das war zu meiner Zeit anders und die Schrift, die lag immer am Busfahrer", sagt Vivien Rose lächelnd.

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