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Gewinn vs. Nachhaltigkeit: Ein Zertifikat will das zusammenbringen

5.000 Unternehmen wollen nachhaltiger werden, darunter börsennotierte wie Danone oder Nespresso. Was das bedeutet, erklärt ein Leipziger Unternehmen.

Von Luisa Zenker
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Die Mission des Leipziger Unternehmers Iven Kurz ist es, die Finanzwelt nachhaltig zu verändern.
Die Mission des Leipziger Unternehmers Iven Kurz ist es, die Finanzwelt nachhaltig zu verändern. © Evergreen

Noch immer steht Gewinn für einige Unternehmen an erster Stelle, auf Kosten von Mensch und Natur, sei das Umweltverschmutzung, ungleiche Löhne oder schlechter Arbeitsschutz. Seit diesem Frühjahr fordern deshalb mehr als dreißig deutsche Unternehmen in einem offenen Brief, Gewinn nicht mehr über das Wohl von Mensch und Natur zu stellen. Darunter befinden sich auch börsennotierte Unternehmen wie Danone.

Um das zu erreichen, haben sie sich einem Nachhaltigkeitssiegel angeschlossen: dem B-Corp-Zertifikat. Es ist eine Art Fairtrade-Siegel für eine ganze Firma. Dahinter steht die unabhängige Non-Profit-Organisation B-Lab, die sich zum Ziel gesetzt hat, ein Netzwerk an Unternehmen aufzubauen, die die strengen Sozial- und Umweltstandards erfüllen.

Patagonia, Weleda, Danone, Ben and Jerrys wollen Nachhaltigkeit

Seit der Gründung im Jahr 2006 haben sich mittlerweile in mehr als 70 Ländern über 5.000 Unternehmen zertifizieren lassen, darunter der Kaffeekapselhersteller Nespresso, das Modeunternehmen Patagonia, die Drogeriemarke Weleda oder der Eiscreme-Betreiber Ben and Jerrys. Mit einem 200 Kriterien umfassenden Fragebogen wird jedes Unternehmen genaustens geprüft. Wer mehr als 80 Punkte erhält, kann das Siegel erhalten. Doch das kann dauern, weiß das in Leipzig sitzende Unternehmen Evergreen.

Der digitale Finanzdienstleister hat sich vor fünf Jahren in Sachsen gegründet, und berät Kunden, Gelder grün anzulegen. Dafür haben sie eigene nachhaltige Investmentprodukte, sogenannte Fonds, aufgelegt. Für 10.900 Kunden und Kundinnen verwalten die zehn Mitarbeitenden mehr als 60 Millionen Euro. Doch auch innerhalb des Unternehmens wollte der Geschäftsführer Iven Kurz nachhaltig handeln. Dass es mit der Mülltrennung im Büro nicht getan ist, merkte er schnell, als er die Fragen von B-Corp beantwortete:

Wie kommen die Mitarbeitenden zur Arbeit? Woraus besteht der eigene Fuhrpark? Wie hoch ist der Energieverbrauch des eigenen Unternehmens? Jede Antwort musste genau nachgeprüft werden. Dass Nachhaltigkeit nicht nur mit Umweltschutz zu tun hatte, lernte der Geschäftsführer schnell: „Mir war nicht klar, dass das lokale Engagement so eine Rolle spielt. Gerade, wenn man ein international operierendes Unternehmen ist.“ Evergreen hat deshalb soziale Tage eingeführt, und hilft seitdem bei der Tafel in Leipzig aus. Auch die Verträge mit den Mitarbeitern mussten einheitlich gestaltet, das Lohngefälle zwischen den Geschlechtern gegenüber den Zertifikatsprüfern transparent gemacht werden. „ Alle Unternehmen müssen belegen, dass sie ihre Zielquoten bei den Geschlechtern anpassen. Und es geht um das Wohlbefinden der Mitarbeitenden selbst.“

Ein Jahr lang hat der Zertifizierungsprozess gedauert, auch um die Satzung anzupassen, und Nachhaltigkeit zum Geschäftszweck zu erklären. Zudem musste der CO2-Ausstoß der emissionsstarken Software-Architektur reduziert werden. „Wir haben jetzt 110.1 Punkte erreicht, das durchschnittliche Unternehmen erreicht nur 50,9 Punkte.“

Bei anderen größeren Unternehmen wie Danone dehnte sich der Prozess auf mehr als drei Jahre aus. Der Konzern steht seit Jahren im Verruf, mit abgefülltem Wasser Millionen zu verdienen, während der Bevölkerung das Trinkwasser langsam ausgeht. Für die Zertifizierung mussten sie aufzeigen, das Grundwasser in den Gemeinden nachhaltig zurückzuhalten. „Ein anderes Beispiel ist Nespresso. Dort gab es immense Kritik, weil sie Kaffee-Kapseln produzieren, das ist ja nicht nachhaltig. Und sie stellen jetzt nach und nach auf recycelbare Kapseln aus Papier um“, erklärt Geschäftsführer Iven Kurz.

Für 10.000 Euro ein Nachhaltigkeitssiegel kaufen

Eine Kraftanstrengung, die sich andere sparen: „Klar, man könnte auch für 10.000 € im Jahr ein Nachhaltigkeitssiegel kaufen und auf die Homepage kleben“, gibt der Geschäftsführer zu, der hier etliche Beispiele kennt. „Fast jede Bank hat irgendein Zertifikat. Aber bei B-Corp muss man wirklich Belege einreichen, das Zertifikat kostet 200 Dollar für uns im Jahr. Das ist nicht viel, das zeigt, dass dahinter gar kein Geschäftsmodell stehen kann.“ Warum dann solch einen Aufwand anstellen, der Unternehmen immens viel kostet?

„Mit dem Zertifikat wird es gegenüber den Kunden einfacher zu erklären, warum man ein nachhaltiges Unternehmen ist. Außerdem bringt es einen Wettbewerbsvorteil mit sich, gerade wenn es um das Thema Fachkräfte geht.“ Auch Studien zeigen, dass nachhaltig arbeitende Unternehmen deutlich resilienter gegenüber Krisensituationen sind.

Doch als der Konzern Danone dann endlich das Siegel erhielt, stieg ein anderes Unternehmen aus, die deutsche Kondommarke Einhorn. Der Grund: Sie wollen nicht mit börsennotierten Unternehmen wie Danone in einem Nachhaltigkeitstopf landen. "Große Konzern-Strukturen sehen wir dahingehend, auch in Bezug auf gesellschaftliche Machtverhältnisse, kritisch", hieß es in einer Erklärung. „Niemand ist perfekt. Aber Danone hat sich ganz klar dazu verpflichtet, diesen strengen Prozess zu gehen“, versucht der Geschäftsführer Iven Kurz zu rechtfertigen, der daran glaubt, den Spagat zwischen Gewinn, Gemeinwohl und Nachhaltigkeit zu schaffen. „Gewinnorientierung macht Prozesse effizienter: Heute schreibt man E-Mails, die viel schneller um die Welt gehen, als früher Briefe. Und das ist nachhaltiger.“

Für ihn könne jedes Unternehmen den steinigen Weg zu mehr Nachhaltigkeit schaffen. Eine Verpflichtung würde er aber nicht einführen: „Unternehmen müssen grundsätzlich diesen Anspruch an sich haben, modern, nachhaltig, gesellschaftlich relevant zu sein, sie sollten sich freiwillig umstellen Mit Zwang sollte man immer nur dann agieren, wenn es darum geht, konkret Schaden von irgendetwas abzuwenden. Also zum Beispiel über den CO2-Zertifikate-Handel, wo die Wirtschaft gezwungen wird, den Emissionsausstoß zu reduzieren.“