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Keller voll Gold: Hier hütet ein Hohnsteiner Biobauer seinen Käseschatz

Reifung in der Sandsteingrotte macht Käse zum Genuss, vorausgesetzt er bekommt regelmäßig Streicheleinheiten mit der Waschbürste.

Von Jörg Stock
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Sandstein voller Käse: Dieses historische Kellergewölbe des Bauernhofs Steinert bei Hohnstein ist der Arbeitsplatz von Käsepfleger Steve Fritsche.
Sandstein voller Käse: Dieses historische Kellergewölbe des Bauernhofs Steinert bei Hohnstein ist der Arbeitsplatz von Käsepfleger Steve Fritsche. © Marko Förster

Ein ganzer Keller Käse und keine einzige Mausefalle? Steve Fritsche grient. Die Mausefallen laufen draußen herum, in Gestalt etlicher Katzen. Hier drin hat er noch nie einen Nager gesehen. Die reale Gefahr sind die Fliegen. Wenn sie könnten, wie sie wollten, würden sie die Käselaibe als Brutstätten benutzten. Können sie aber nicht. Der "Insekt-o-Kill" lockt sie mit UV-Licht ins Verderben. "Kleine Lampe, große Wirkung."

In den Keller gehen die meisten Leute nur ausnahmsweise. Für Steve Fritsche - schmale Statur, Gummistiefel, Schürze, Karokappe - ist der Aufenthalt im Tiefgeschoss der Normalzustand. Hier bringt er vier, fünf Stunden am Stück zu, im Sommer auch mal ganze Arbeitstage. Bei diesem Job darf man den Faden nicht verlieren, sagt er, muss durchziehen, "am Käse dran bleiben".

"Geschmack fängt auf der Wiese an." Biobauer Bernhard Steinert verfüttert sonnengetrocknetes Heu an seine Milchproduzenten.
"Geschmack fängt auf der Wiese an." Biobauer Bernhard Steinert verfüttert sonnengetrocknetes Heu an seine Milchproduzenten. © Marko Förster

Der Bauernhof Steinert im Hohnsteiner Örtchen Cunnersdorf ist seit 30 Jahren dran am Käse. 1993 kaufte der studierte Landwirt Bernhard Steinert hier die ersten Teile seiner Hofstelle. Heute gehören zum Betrieb 150 Hektar Land, davon 70 Hektar Wiesen und Weiden, die seinen 50 Fleckviechern Futter und Auslauf bieten.

Käse als Konzentrat der Landschaft

Milch ist die Hauptsache bei Steinerts. Etwa 150.000 Liter liefert die Herde im Jahr. Rund die Hälfte davon wird zu Käse. Dass nur naturbelassene Milch in den Käsekessel kommt, ist bei Bernhard Steinert Gesetz. Natur bringt Geschmack. Es ist ein bisschen wie auf der Alm, sagt er. "Rohmilchkäse ist das Konzentrat dessen, was die Kühe in der Landschaft zusammengetragen haben."

Ina Tischendorf am Käsekessel. Pro Jahr stellt der Bauernhof Steinert etwa 7,5 Tonnen Rohmilchkäse her.
Ina Tischendorf am Käsekessel. Pro Jahr stellt der Bauernhof Steinert etwa 7,5 Tonnen Rohmilchkäse her. © Marko Förster

Konzentrate brauchen Zeit und Zuwendung. Deshalb gibt es den Käsekeller und Steve Fritsche. Mindestens zweimal die Woche steigt der 35-Jährige im Wohnstallhaus die Stiege hinab, die in die Tiefe unter der Wohnküche führt und klappt die altertümliche Pforte auf, hinter der die Grotte aus Standstein und ihr goldgelber Inhalt ruhen.

Mit der Ruhe ist es allerdings vorbei, wenn Steve hier auftaucht. Als Käsepfleger oder, dezenter ausgedrückt, Affineur wird er jeden einzelnen Laib aus dem Regal ziehen, ihn drehen und wenden und dabei feucht abbürsten. Der Käse macht auch was. Je nach Reifegrad saugt er die Feuchtigkeit in sich ein. "Der Käse arbeitet mit."

Steve Fritsche beim Schmieren der Käselaibe. Die Behandlung mit Salzlake bewirkt, dass sich die schützende Rinde gleichmäßig ausbildet.
Steve Fritsche beim Schmieren der Käselaibe. Die Behandlung mit Salzlake bewirkt, dass sich die schützende Rinde gleichmäßig ausbildet. © Marko Förster

Sinn der Prozedur ist die Förderung der Käsereife. Während im Inneren des Käses Bakterienkulturen zugange sind und Eiweiß, Fett und Zucker in Aromen umwandeln, bildet sich außen herum die Rinde. Durch das Schmieren wird ihr gleichmäßiger Wuchs bewirkt. "Wir versuchen, eine Rüstung zu erstellen", sagt Steve, "die den Käse vor äußeren Einflüssen schützt, die negative Folgen hätten."

Die Sandsteintonne ist der ideale Ort dafür. Gemeinsam mit dem Haus vor rund 170 Jahren erbaut, zeigt der Raum, der etwa die Größe einer Pkw-Garage hat, keinerlei Anzeichen von Altersschwäche. Steinerts haben ihn lediglich mal sandgestrahlt und neu verfugt. Früher lagerten hier wohl Fleischwaren, wie die Haken an der Decke nahelegen. Die Nische in der Ecke barg wahrscheinlich den Buttervorrat.

Klima unter Kontrolle: Hohe Luftfeuchte und eine konstant moderate Wärme sind für die Käsereifung entscheidend.
Klima unter Kontrolle: Hohe Luftfeuchte und eine konstant moderate Wärme sind für die Käsereifung entscheidend. © Marko Förster

Um reif zu werden, braucht Käse stabiles Klima. In alter Zeit nutzte man Höhlen. Diese Sandsteintonne funktioniert ähnlich. Das Messgerät zeigt 90 Prozent Luftfeuchte. Es kann gern noch mehr sein, sagt Steve Fritsche. Feuchte verhindert Trocknungsrisse im Käse, durch die Schimmel und Bakterien eindringen und ihn verderben können.

Im Frühling kommt die Milchschwemme

Auch die Temperatur muss stimmen. Sie muss hoch genug sein, dass die guten Mikroben anständig in Fahrt bleiben. Und: Je wärmer die Luft, desto mehr Feuchtigkeit kann sie aufnehmen. 13 Grad haben wir jetzt. Noch läuft die Heizung ein bisschen mit. Doch es geht definitiv aufwärts, sagt der Käsepfleger. "Es wird Frühling."

Rechts taufrisch, links mit stabiler Rinde: Diese beiden Exemplare der Sorte Polenztaler trennen sechs Monate Reifezeit.
Rechts taufrisch, links mit stabiler Rinde: Diese beiden Exemplare der Sorte Polenztaler trennen sechs Monate Reifezeit. © Marko Förster

Wenn es so weit ist, wird er hier unten deutlich mehr zu tun haben. Kommt das Fleckvieh wieder auf die Weide, setzt die "Milchschwemme" ein und es wird zeitweise fast täglich gekäst. Dann wird das Gewölbe an die 300 Käselaibe enthalten. Jetzt sind es etwa 200.

Die goldgelben Scheiben lagern mehrstöckig auf Fichtenholzbrettern. Die einen haben Ausmaße eines Wagenrads. Das sind die Polenztaler, Hartkäse, im Schnitt zwölf Kilogramm schwer. Die anderen, das Stück zu drei Kilogramm, sind kaum größer als eine kleine Pizza. Sie heißen Cunnersdorfer, ein cremiger Schnittkäse mit Kräuterzusätzen, von Bockshornklee bis Zwiebel.

Ausnahmeerscheinung: Dieser Hartkäse reift ein ganzes Jahr und wird erst kurz vor Silvester verkauft. Die Liebhaber schätzen die gewisse Schärfe.
Ausnahmeerscheinung: Dieser Hartkäse reift ein ganzes Jahr und wird erst kurz vor Silvester verkauft. Die Liebhaber schätzen die gewisse Schärfe. © Marko Förster

An der Käseproduktion ist Steve Fritsche nicht direkt beteiligt. Seine Arbeit beginnt, wenn die "Neutralkäse" am Folgetag in seiner Unterwelt ankommen. Dann badet er sie zuerst ein bis zwei Tage in einem Bottich Salzlake. Das konserviert und lässt den Käselaib bereits die erste Schicht Rinde bilden.

Musik stört die Konzentration

Danach nimmt der Käsepfleger die Neulinge in seine Routine auf. Sie ist bei jeder Schmierung gleich: Die runde Bürste taucht er in einen Salzwassereimer, befeuchtet die Oberseite, moderat, denn sie wird nachher die Unterseite sein und soll nicht ankleben, dann die Flanken des Käses, dann die künftige Oberseite. Ab ins Regal, nächster Käse.

Qualitätskontrolle: Bevor der Käse in den Verkauf geht, wird mit diesem Bohrer eine Kostprobe aus dem Laib geschnitten.
Qualitätskontrolle: Bevor der Käse in den Verkauf geht, wird mit diesem Bohrer eine Kostprobe aus dem Laib geschnitten. © Marko Förster

Anfangs schluckt der Laib das Salzwasser schnell, sagt Steve. Bald aber nimmt der Käse es nur noch dort auf, wo er es braucht, bis die Wasseraufnahme kaum noch wahrnehmbar ist. Aufgabe des Käsepflegers ist es, auf Schäden und weiche Stellen in der Rinde zu achten und sie möglichst auszubügeln.

Steve Fritsche arbeitet nach System. Die kleinen Cunnersdorfer schmiert er entgegen dem Uhrzeiger, vom ältesten zum jüngsten, sodass die Bürste Reifekulturen an die Neulinge übertragen kann. Beim Polenztaler macht er es andersherum. Diese Sorte reift sehr lange, vier bis sechs Monate. Da steigt das Risiko, sagt er, dass auf den älteren Exemplaren etwas entstanden ist, das man auf den jüngeren nicht haben will, Stichwort Käsemilbe.

Susanne Draws-Macher vom Hofladen präsentiert ihr Käseangebot: Cunnersdorfer, Polenztaler, Kleine Frischlinge (vorn) und Mozzarella im Glas.
Susanne Draws-Macher vom Hofladen präsentiert ihr Käseangebot: Cunnersdorfer, Polenztaler, Kleine Frischlinge (vorn) und Mozzarella im Glas. © Marko Förster

Stück um Stück, Stunde um Stunde vollführt der Käsepfleger die immer gleichen Handgriffe. Fehlt da nicht Abwechslung? Handy gucken fällt aus. Der Keller ist ein Funkloch. Er hat es mal mit Musik versucht, sagt der 35-Jährige. Das war ganz gut für den Schmier-Rhythmus. "Aber nicht unbedingt für die Konzentration."

Konzentrieren muss er sich, muss schauen, fühlen, riechen, seine Sinne anstrengen. Sinne, die ein Roboter in der Käsefabrik nicht besitzt. Für Steve Fritsche passt Handarbeit am besten zum lebenden Produkt. Mag sein, sagt er, dass das eine Glaubensfrage ist. "Ich glaube, dass es einen Effekt hat."