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Wie groß ist der Ansturm auf die Kitas?

Sachsen hat den Anspruch auf Notbetreuung erweitert. Teilweise schnellen die Kinderzahlen in die Höhe und die Träger kommen an Grenzen.

Von Anja Beutler
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Erzieherin Maja Watte in der Awo-Krippe Südzwerge mit Mädchen und Jungen, die die Notbetreuung besuchen.
Erzieherin Maja Watte in der Awo-Krippe Südzwerge mit Mädchen und Jungen, die die Notbetreuung besuchen. © Matthias Weber/photoweber.de

Die quirlige Zweijährige büxt ihrer Mama aus und rennt zurück auf das Kita-Gelände. Sie würde wohl gern noch ein bisschen hier bleiben, in ihrer Awo-Krippe "Südzwerge" in Löbau. Vielleicht kann sie das auch ab Dienstag wieder: "Ich habe gerade einen Antrag ausgefüllt", erklärt die junge Löbauerin, die ab kommender Woche wieder als Friseurin arbeiten gehen kann. So ganz sicher, ob es wirklich klappt mit der Notbetreuung für ihren kleinen Wirbelwind, ist sie nicht. "Aber die Kita-Leitung hat mir auch nicht gesagt, dass es schlecht aussieht", sagt sie. Sechs Wochen ohne Kita - das mache sich bei ihrer Tochter bemerkbar, sie brauche wieder ihre festen Strukturen und andere Kinder. "Zu Hause ist ja doch manches anders", sagt ihre Mutter schmunzelnd und läuft gleich wieder los, um die Kleine einzufangen.

Nachfragen und Anmeldungen wie diese sind momentan Alltag in allen Kitas. In manchen Einrichtungen geben sich die Eltern quasi die Klinke in die Hand. Die jüngste Öffnung der Notbetreuung für weitere Berufsgruppen wie Rechtsanwälte, Steuerberater, Gerichtsvollzieher sowie Mitarbeiter im Einzelhandel hat sich die Zahl derer, die ein Recht auf Notbetreuung haben, sprunghaft erhöht. Ein Balanceakt unter diesen besonderen Bedingungen - denn nie wissen die Leiter der Einrichtungen so ganz genau, wie viele Kinder an einem Tag wirklich kommen. Oft stehen Eltern auch spontan vor der Tür, ohne vorherige Anmeldung.

Hoher Bedarf in Nähe von Kliniken

Als Fachbereichsleiterin Kindertagesstätten bei der Arbeiterwohlfahrt (Awo) kennt Kessrin Schulze die aktuellen Tücken. 18 Kindergärten und Krippen hat sie im Blick - rund um und in Löbau ebenso wie im Oberland, im Zittauer Gebirge und in und um Görlitz. "Seit der jüngsten Änderung vor einer Woche haben wir in einigen Einrichtungen wieder um die 30 Prozent der Kinder bei uns", sagt sie. Der Freistaat rechnet im Schnitt mit etwa 20 Prozent pro Einrichtung. Warum also stellenweise so viele? "Besonders auffällig ist der Anstieg in Kitas, die in der Nähe von medizinischen Einrichtungen liegen", sagt Frau Schulze - wie in Großschweidnitz oder im Oberland, vor allem in Neugersdorf.

Ein starker Anstieg bei der Kinderzahl bringt vor allem kleinere Kitas an die Grenzen: "Wir haben uns bei der Awo darauf geeinigt, aus Infektionsschutzgründen maximal fünf Kinder pro Gruppe zu betreuen", erklärt Geschäftsführer Dirk Reinke. Festgelegt ist der Wert nicht, fünf bis neun Kinder pro Gruppe wird derzeit empfohlen. Das heißt also: Je mehr Kinder es werden, desto mehr Gruppenräume und Erzieher sind nötig. Da liegt der kritische Punkt. So holt die Awo zwar gegebenenfalls Erzieher aus anderen, weniger stark frequentierten Einrichtungen zur Betreuung. "Wir dürfen aber nicht Kinder in einer anderen unserer Einrichtungen unterbringen, wo mehr Platz ist", erklärt Reinke die Regeln.

Mundschutz kaum praktikabel

Solche Probleme kennen die Kitas derzeit überall - auch in Zittau, wo die Zahl der zu betreuenden Kinder ebenfalls täglich steigt: "Wir sind jetzt bei einer Notbetreuung von zehn bis 25 Prozent und die Anmeldungen für nächste Woche erhöhen sich weiter", schildert Jacqueline Hertrampf-Bier, Betriebsleiterin der Zittauer Kindertagesstätten gGmbH, auf Nachfrage. Ähnlich sieht es in Löbau aus: Dort besuchen in der Kita Dreikäsehoch inzwischen wieder knapp 34 Prozent der Kinder die Einrichtung, in der Kita Stadtzwerge sind es mit 23 Prozent etwas mehr und beim Kinderhaus "Am Löbauer Berg" mit knapp neun Prozent deutlich weniger Auslastung bei den Krippen- und Kindergartenplätzen.

Um das Risiko von Vernachlässigung bei Kindern zu minimieren, nehmen die Einrichtungen übrigens nicht nur Kinder von Eltern mit systemrelevanten Berufen auf: "Wir haben von den derzeit 336 Notbetreuungsplätzen 15 auch für Kinder aus benachteiligten Familien reserviert", erklärt Frau Schulze von der Awo. Hier arbeiten die Kitas eng mit der Familienhilfe des Kreises zusammen.

Wie aber bei dem Aufwand Hygieneregeln einhalten? Jacqueline Hertrampf-Bier sieht das generell kritisch - und spricht damit ihrer Awo-Kollegin aus dem Herzen: "Gerade im frühkindlichen Bereich sind die Maßnahmen zum Schutz vor Corona schwer umzusetzen", sagt sie. Die Kinder auf Abstand halten oder mit Mundschutz betreuen, sei schlecht möglich, denn gerade die Kleinsten brauchen neben der Sprache auch Mimik und Gestik für die Kommunikation.

Jeder Tag ein Überraschungs-Ei

Auch Kessrin Schulze sieht das so und betont, dass die meisten Erzieher deshalb auf die Masken verzichten, sich aber dadurch natürlich Risiken aussetzen, schließlich kommen die Kinder aus Familien mit ganz unterschiedlichen Risikofaktoren. Grundlegende Dinge wie größere Abstände beim Essen an den Tischen und mit den Schlafmatten, häufiges Händewaschen und viel Spielen an der frischen Luft, lassen sich zwar einhalten, ohne Körperkontakt geht es aber gerade in der Krippe nicht.

Dass Nachrichten wie aus Niesky, wo in einer Kita sechs Infektionsfälle bekannt wurden, den Erziehern nahe gehen, ist keine Frage. Selbst entscheiden, ob sie zum Dienst kommen, können die Erzieher aber nicht - da braucht es ein ärztliches Attest, erklärt Frau Schulze. Wenn sie sich etwas wünschen könnte, dann wäre das - neben Gesundheit für alle - vor allem ein bisschen mehr Zeit, um auf neue Regelungen zu reagieren. Die jüngsten Änderungen kamen immer übers Wochenende oder von einem Tag auf den anderen - ohne Vorlaufzeit. Ein anstrengendes Überraschungs-Ei für Eltern und Kita-Personal.

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