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Kleingärtnerin: "Einfach keine Kraft mehr"

Madlen Schmidt hat das, was viele in Dresden suchen: einen Kleingarten. Nun will sie ihn abgeben. Doch so schnell wie gedacht, geht das nicht.

Von Nadja Laske
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Viele Jahre hat Madlen Schmidt zusammen mit ihrer Mutter und Schwester den Kleingarten in Dobritz bewirtschaftet. Jetzt ist die Luft raus.
Viele Jahre hat Madlen Schmidt zusammen mit ihrer Mutter und Schwester den Kleingarten in Dobritz bewirtschaftet. Jetzt ist die Luft raus. © Sven Ellger

Dresden. Sie blühen violett, rot und gelb. Aber für wen eigentlich? Wenn Madlen Schmidt durch ihren Kleingarten geht, kann sie sich über all die Blüten kaum noch freuen. Zu diesem verstummten Ort will so viel Lebendigkeit gar nicht passen. Überhaupt hat die 39-Jährige nur noch Augen fürs Unkraut. Von Tag zu Tag erobert es sich mehr Platz, sprießt aus den Beeten der 216 Quadratmeter großen Parzelle.

Seit mehr als einem Jahr ist Madlen Schmidt in Abschiedsstimmung. Im Frühjahr 2019 hat sie ihren Garten an eine junge Familie verkauft. Die schien den idealen Ort für sich und ihre drei kleinen Kinder gefunden zu haben - und Madlen Schmidt passende Nachfolger für ein Stückchen Erde, an dem ihr Herz und viele Erinnerungen hängen.

Doch dann wartete die Dresdnerin vergeblich auf die erste Rate. Insgesamt 650 Euro wollten die Neugärtner für das Häuschen mit Terrasse und Schuppen, für Werkzeuge, Grill, Feuerkorb und Rasenmäher bezahlen.

Bis zum Herbst bewies Madlen Schmidt viel Geduld. Doch als nach einer Zahlung von 100 Euro wieder kein Geld mehr bei ihr einging, übergab sie das Ärgernis einer Rechtsanwältin. Schließlich verschwand die Familie auf Nimmerwiedersehen, hinterließ Plastikspielzeug und Müll, und Madlen Schmidt hatte ihren Garten zurück, ob sie wollte oder nicht. "Ich habe den Vorstand unseres Kleingartenvereins informiert und begonnen, nach einem neuen Käufer zu suchen", erzählt sie. 

Dutzende Interessierte in kurzer Zeit

So einfach geht das jedoch nicht, denn Voraussetzung für einen Verkauf ist ein sogenanntes Wertermittlungsprotokoll. "Dafür haben wir unabhängige Gutachter, die zusammen mit dem scheidenden Pächter und dem Vorstand einschätzen, wie viel wert alle beweglichen Güter sind", erklärt Sandy Asser, Sprecherin des Stadtverbandes Dresdner Gartenfreunde. Die offizielle Schätzung soll Wucher verhindern. Im Zuge des missglückten Verkaufes hatte es auch für Madlen Schmidts Garten ein solches Schriftstück gegeben. Darin stand erklärt, dass besagte bewegliche Güter ihres Kleingartens 620 Euro wert sind.

Das Land selbst ist nicht verkäuflich. Es wird nur verpachtet, und das ist Aufgabe des Vereins. Darüber klärte der Vorstandsvorsitzende der Sparte "Am Abzweig nach Reick" Madlen Schmidt unmissverständlich auf. "Ich hatte den Kleingarten auf ebay angeboten und innerhalb weniger Stunden ein halbes Dutzend Interessenten gefunden", erzählt sie. Verboten ist es nicht, selbst zu inserieren, sagt Verbandssprecherin Sandy Asser. Trotzdem liege das Vorrecht beim Vorstand des jeweiligen Vereins.

Der bot an, Madlen Schmidt ein neues Wertgutachten zu erstellen und die Kosten dafür zu übernehmen. Für das vorangegangene hatte die Pächterin gut 60 Euro gezahlt. Nach einem Jahr jedoch verliert es seine Gültigkeit. Um den Kleingarten nun endlich in neue Hände zu geben, braucht es den aktuellen Schein. Schließlich können Gartenhaus und Ausstattung über die Zeit leiden und an Wert verlieren.

Der Garten als Erinnerung

Darüber ist sich Madlen Schmidt bewusst. Überhaupt ärgert sie der Zustand des Gartens, den sie vor einem Jahr gut aufgeräumt abgegeben hatte. Mit kritischem Blick schaut sie auf die Furchen, die einst Erdbeerbeete waren. Dort recken sich grüne Stängel ins Licht. "Eigentlich könnte ich hier schon wieder anfangen, Unkraut zu ziehen, aber ich habe einfach keine Kraft mehr."

Dieses kleine Stückchen Land zwischen Breitscheidstraße und Moränenende bedeutet ihr viel. Vor 17 Jahren hatte es ihr Vater gepachtet. Er starb früh an einem Herzfehler und hinterließ den Kleingarten. "Meine Mutti, meine Schwester und ich haben es nicht über uns gebracht, ihn abzugeben", erzählt Madlen Schmidt. Also gärtnerten die Frauen weiter und holten mit der Zeit die Freude an den Ort zurück. Als der Uroma, die alle Tick-Tack-Oma nannten, der eigene Geburtstag für eine Feier nicht wichtig genug war, hat die Familie sie hier mit einer Party überrascht. Das wird Madlen Schmidt nie vergessen. 

Warten auf ein Gutachten

Doch über die Jahre sind Elan und Begeisterung geschwunden. "Meine Mutti schafft es nicht mehr, den Garten zu pflegen und meine Schwester hat inzwischen ein anderes Wochenenddomiziel." Allein will auch Madlen Schmidt nicht mehr hier sein. Lieber macht sie es sich auf ihrem Balkon gemütlich. Nach ihren Schichten als Reinigungskraft ist sie zu müde, um den Spaten zu schwingen und Rasen zu mähen.

Doch jetzt fragt sie sich, wie es weitergehen soll. Der Vorstand ihres Kleingartenvereins hatte ihr im April einen Interessenten geschickt. "Aber der wollte nur maximal 150 Euro für alles bezahlen, damit war ich nicht einverstanden." Selbst einen neuen Pächter suchen darf sie nicht, das hat ihr der Vorstand geschrieben. "Deshalb habe ich alle Besichtigungen abgesagt und warte nun darauf, dass er das neue Wertgutachten auf den Weg bringt und meinen Garten auf der Internetseite des Kleingartenverbandes inseriert." 

Versprochen hat es der Vereinschef Madlen Schmidt vor gut zwei Wochen jedenfalls. Auch der SZ gegenüber kündigt er an, sich rasch zu kümmern. Auf der Website stehen derzeit 17 freie Gärten. Ihrer ist noch nicht dabei. Es wäre der Anfang vom Ende einer gefühlt unendlichen Geschichte - und für neue Gartenfreunde die Chance auf den Sommer im Grünen.

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