Dresden. Der neue Rekordsieger aus Kenia ist längst im Hotel nebenan und das Wetter herbstlich ungemütlich geworden, als vier Läuferinnen mit kleinen Schweden-Fähnchen zusammen und glücklich ins Ziel laufen. „Ich glaube, wir sind auf dem letzten Platz, aber das ist egal. Es hat trotzdem total Spaß gemacht“, sagt Susanne Neubert und lacht herzlich dabei. Tatsächlich kommt ihre Frauen-Staffel über 42,195 Kilometer nach vier Stunden und 39 Minuten ins Ziel – fast zweieinhalb Stunden später als Ezekiel Koech, der den 21. Dresden-Marathon in Streckenbestzeit von 2:10:02 Stunden gewinnt.
„Wahnsinn, unvorstellbar“, sagt Neubert, die sich einen Marathon im Alleingang überhaupt nicht vorstellen kann. Für Freizeitläufer wie sie haben die Organisatoren in diesem Jahr erstmals eine Staffel über die klassische Distanz mit ins Programm aufgenommen. Die Schwedin teilte sich die Strecke mit zwei Freundinnen aus der Heimat – und einer Unbekannten. Anja Schmidt hatten sie das erste Mal am Sonntagmorgen vor dem Start getroffen. „Wir brauchten noch eine vierte Frau. Und meine Großcousine Hertha aus Dorfhain ist 80 und wollte nicht einspringen“, erzählt Neubert und grinst. Doch die rüstige Rentnerin half bei der Suche nach Ersatz und war zum Anfeuern mit vor Ort.
Es ist ein besonderes Treffen in Dresden. Susanne Neubert hat ihre Wurzeln in Sachsen, die Oma stammte aus Tharandt, bevor sie in den Fünfzigerjahren nach Schweden auswanderte, weil der Mann einen Job in einer Mützenfabrik fand. Der Kontakt zu den Verwandten brach aber nie ab. „Wir haben die Familie schon zu DDR-Zeiten hier besucht, Dresden kenne ich noch gar nicht aus der modernen Zeit“, erzählt Neubert in sehr gutem Deutsch.
Die schönsten Bilder von unterwegs
„Sylvia Challenge 2“, heißt die Staffel und ist nicht etwa in Anlehnung an die schwedische Königin, die mit „i“ geschrieben wird, kreiert worden, sondern eine besondere Herausforderung. Susannes Cousine Sylvia Fatke wohnt auch in Schweden, ist passionierte Marathonläuferin, und startet in diesem Jahr allein in Dresden. Als Team wollten sie eher im Ziel sein als ihre ambitionierte Landsfrau. „Doch Sylvia war fast eine Stunde schneller.“
Beim München-Marathon, bei dem es ebenfalls eine Staffel gibt, hatten Neubert & Co. noch die Cousine im internen Wettstreit um drei Sekunden besiegt. Aber erstens war es diesmal eine andere Besetzung und zweitens die Streckenlänge von fünf bis 16 Kilometer unterschiedlich. Doch das Erlebnis sei sowieso für alle wichtiger als Zeiten und Platzierungen. Ihre eingekaufte Läuferin Anja („Wir haben natürlich das Startgeld für sie übernommen“) übernahm den zweiten Streckenabschnitt, weil der „landschaftlich und touristisch am wenigsten attraktiv“ ist, um den internationalen Gästen die schönsten Abschnitte zu lassen. Susanne Neubert entschied sich für die Schlussetappe, die kürzeste Distanz.
Als Ezekiel Koech vor den jubelnden Zuschauern am Maritim-Hotel ins Ziel stürmt und noch so viel Energie hat, dass er fast die Fotografen dabei umrennt, hat das schwedische Team nicht mal die erste 21-Kilometer-Runde absolviert. Aber genau das Leistungsspektrum an Läufern – vom Gelegenheits-Jogger bis zum Profi – wollen die Dresdner Organisatoren mit ihren verschiedenen Angeboten ansprechen. Die Premiere der Staffel kam mit 72 Anmeldungen schon überraschend gut an. Der Sieg ging an ein Leipziger Team mit Nic Ihlow, der den Leipzig-Marathon im Frühjahr gewonnen hatte. Doch selbst die schnellen Jungs kamen in 2:20:11 Stunden erst zehn Minuten nach dem Kenianer ins Ziel.
Viele kämpften mit dem stürmischen Herbstwind, der gegen Mittag immer stärker wurde – für den Sieger ist das kein Problem. „Es lief gut. Der Rekord war mein Ziel“, meint der 35-Jährige, der bei seinem ersten Marathon in Deutschland gleich den drei Jahre alten Streckenrekord um 19 Sekunden unterbot – die Top-Leistung des Tages. Nur in Berlin, Hamburg, Hannover und am Sonntag in Frankfurt gab es in diesem Jahr auf deutschen Straßen schnellere Siegerzzeiten.
Der Sieger und seine Mit-Läufer
Die Rekordhatz ist das eine, die vielen persönlichen Geschichten, die jeder Marathon schreibt und seine heimlichen Sieger hervorbringt, macht die Massenbewegung Laufen erst aus. „Gute Stimmung, und alle Helfer waren supernett“, meint Schwedens Schlussläuferin. Susanne Neubert genoss die Sightseeingtour rennend durch die Stadt besonders. „Meine Erinnerungen an Dresden sind grau. Damals gab es hier auch nicht so viel Leute und Geschäfte. Alles ist neu gemacht und sehr sauber.“
Bevor es am Montag mit dem Flugzeug von Berlin über Stockholm zurück in die Heimat Fagersta geht, stand am Sonntag noch der Besuch bei den Verwandten in Dorfhain an. „Vielleicht gibt es ja ein Stück Eierschecke.“ Die Dresdner Spezialität kennt die Schwedin natürlich. Mindestens ein Stück Kuchen hatten sich am Sonntag alle der fast 8. 000 Läufer verdient.