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Kretschmer trifft sich mit Lifeline-Kapitän

Seenotretter Claus-Peter Reisch und Sachsens Ministerpräsident wollen über Mittelmeer-Flüchtlinge reden. Ein CDU-ler grätscht Kretschmer aber in die Parade.

Von Tobias Wolf
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Sachsens PM Michael Kretschmer (l) und Lifeline-Kapitän Claus-Peter Reisch wollen sich treffen
Sachsens PM Michael Kretschmer (l) und Lifeline-Kapitän Claus-Peter Reisch wollen sich treffen © dpa

Dresden. Claus-Peter Reisch ist seit der Odyssee des Lifeline-Schiffes fast schon ein Prominenter geworden. Nun nutzt er seine Popularität, um mit der Landesregierung zum Thema Seenotrettung aus Sachsen ins Gespräch zu kommen. Auf Twitter fragte er Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) am Wochenende an. „Ich denke, wir könnten gemeinsam viel für den humanistischen Standort Sachsen tun“ - und erhielt prompt eine Antwort: „Jederzeit“, schrieb Kretschmer zurück.

Claus-Peter Reisch ist jener Kapitän, der im Sommer 2018 tagelang mit der „Lifeline“, dem Schiff des gleichnamigen Dresdner Vereins mit aus Seenot geretteten Flüchtlingen durchs Mittelmeer gekreuzt war, weil sich die europäischen Anrainerstaaten weigerten, es in den Hafen zu lassen. Der Fall fand weltweite Beachtung, weil er die Unfähigkeit europäischer Regierungen bebilderte, eine adäquate Antwort auf die Flüchtlingsproblematik im Mittelmeer zu finden. Am Ende wurde die „Lifeline“ in Malta beschlagnahmt, die Geretteten konnten an Land gehen und Reisch musste nach einem Gerichtsurteil eine Geldstrafe bezahlen.

Wann und wo sich Kretschmer und Reisch treffen werden, steht noch nicht fest. Es müsse nur noch ein Termin vereinbart werden, teilte die Staatskanzlei auf SZ-Nachfrage mit. „Es ist wichtig, miteinander und nicht übereinander zu reden.“ Deshalb habe er dem Gesprächswunsch des Kapitäns zugestimmt. „Ich begrüße die Solidarität und Mitmenschlichkeit, die in Deutschland zum Glück sehr ausgeprägt sind“, sagte Kretschmer. „Wir brauchen einen vernünftigen Umgang mit dem Thema Seenotrettung. Menschen zu helfen, ist selbstverständlich.“ Gleichzeitig dürfe aber nicht das Geschäft der Schlepper befördert werden.

Die Staatsregierung sei an festen Bleibeperspektiven in den Herkunftsländern oder in Anrainerstaaten des Mittelmeers interessiert, was nicht so einfach umzusetzen sei, ließ Kretschmer weiter mitteilen. Es brauche die Zustimmung dieser Länder und die Gewissheit, dass die Menschen dort sicher sind. „Bei dem Ziel, unsere Grenzen zu sichern, dürfen wird natürlich nicht unsere Humanität und unsere Werte verlieren.“

Claus-Peter Reisch wünscht sich eine "Allianz der Willigen" beim Thema Seenotrettung, will Sachsen mit in das humanitäre Boot hineinziehen, wie er es nennt. „Sachsen ist ein tolles Bundesland, in dem genügend vernünftige Leute leben“, sagt der 58-Jährige ungeachtet der Anfeindungen durch Pegida oder AfD-Politiker. Bei einer Pegida-Demo waren vergangenen Sommer „Absaufen. Absaufen“-Chöre zu hören, als Pegida-Frontmann Siegfried Däbritz über die Lifeline redete.

Mit der "Lifeline" haben Claus-Peter Reisch und seine Crew im Mittelmeer in Seenot geratene Flüchtlinge gerettet.
Mit der "Lifeline" haben Claus-Peter Reisch und seine Crew im Mittelmeer in Seenot geratene Flüchtlinge gerettet. © Axel Steier/Mission Lifeline/Handout

Bei einer anderen Gelegenheit habe Reisch in Dresden versucht, mit Pegida-Anhängern bei einem seiner Vorträge zu diskutieren. „Ich habe den Mann gefragt, ob er denn die Menschen einfach absaufen lassen will und der hat gesagt: ja, absaufen. An der Stelle ist für mich jedes Gespräch zu Ende.“ Sachsen sei ein sehr erfolgreiches Bundesland, den meisten Menschen gehe es grundsätzlich ganz gut. „Da sollte man sehen, auf welchem Niveau man jammert und auf wessen Kosten in der Welt man lebt.“

Im April war Claus-Peter Reisch beim bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder und im März bei Bundesinnenminister Horst Seehofer (beide CSU). „Das ist das gleiche politische Lager und ich habe mit Söder konstruktive Gespräche geführt“, sagt Reich gegenüber sächsische.de. Dazu seien Sachsen und Bayern Brüder im Sinne des Freistaats.

Das Gespräch mit den beiden CSU-Granden hat offenbar etwas bewirkt, was bis dato unvorstellbar war. Der Lifeline-Kapitän hatte eindrücklich von seinen Erfahrungen berichtet und Bilder der Einsätze gezeigt.

Söder, der 2018 noch von „Asyltourismus“ gesprochen hatte, sprach in seiner Regierungserklärung im Mai über „unzählige herzzerreißende Schicksale im Mittelmeer. Was dort immer noch stattfindet, ist nicht erträglich. Dass Menschen dort sterben, widerspricht allem, wofür wir eigentlich in Europa stehen.“ Das könne nicht hingenommen werden, man könne nicht wegschauen und akzeptieren.

Seehofer wiederum hatte kürzlich überraschend erklärt, einen Teil der Menschen an Bord des Rettungsschiffs „Sea-Watch“ aufnehmen zu wollen eine „Koalition der Hilfsbereiten“ in Europa gefordert. In der Union fand das nicht nur Unterstützung. Immerhin stehen drei ostdeutsche CDU-Verbände vor Landtagswahlen, bei denen sie gegen die AfD bestehen wollen.

Kretschmers CDU-Parteifreund Sebastian Fischer.
Kretschmers CDU-Parteifreund Sebastian Fischer. © Kristin Richter

Unterdessen grätschte ein CDU-Parteifreund Kretschmer bereits in die Parade: Sebastian Fischer, CDU-Direktkandidat im Elbland, antworte Kretschmer auf Twitter: „Sachsen ist ein Binnenland. #Seenotrettung daher irrelevant.“ Fischer hatte kürzlich den umstrittenen Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen bei einem Wahlkampftermin zu Gast. Angesprochen auf seine Twitter-Reaktion verwies Fischer auf SZ-Nachfrage auf die vermeintlich begrenzte Länge von Twitter-Beiträgen. Was er ausdrücken wollte: „Wir haben kein Seerecht, keine internationalen Häfen, keine nautischen Ministerien.“

Seenotretter würden das Geschäft der Schleuser unterstützen, indem sie überhaupt hin fahren. Auf Nachfrage fand Fischer dann aber auch das Treffen gut. „Den Termin mit den Seenotrettern finde ich richtig und wichtig, der sollte stattfinden.“ Zudem gebiete es die Menschlichkeit immer, Menschen aus Seenot zu retten. Er sei bei der Marine gewesen und wisse, dass Seenotrettung Pflicht sei.