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So war der erste Tag mit offener Grenze

Nach der Party erst mal Ruhe? Viel zu tun hatten am Tag nach der Grenzöffnung die Zgorzelecer Friseure. Wie dort und andernorts in Polen jetzt die Regeln sind.

Von Susanne Sodan
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Grazyna Zieziula betreibt auf dem Kleinen Markt in Zgorzelec einen Tabakkiosk. Sie wohnt auch ganz in der Nähe der Grenze. Wie die in der Nacht zu Sonnabend geöffnet wurde, hat sie zu Hause gut gehört - und sich gefreut. Nicht nur des Geschäftes wegen.
Grazyna Zieziula betreibt auf dem Kleinen Markt in Zgorzelec einen Tabakkiosk. Sie wohnt auch ganz in der Nähe der Grenze. Wie die in der Nacht zu Sonnabend geöffnet wurde, hat sie zu Hause gut gehört - und sich gefreut. Nicht nur des Geschäftes wegen. © Nikolai Schmidt

"Yes, yes, yes!", ruft die junge Frau, als sie die Mitte der Stadtbrücke passiert hat. Mit Fahrrad und Freundin steuert sie auf Zgozelec zu. In voller Fahrt reckt sie die Arme in die Höhe. Freie Fahrt nach Polen. Drei Monate lang war das nicht möglich.

Hier, auf der Stadtbrücke, standen Freitagabend noch Baken und Grenzsoldaten. Am Sonnabend war davon keine Spur mehr zu sehen.
Hier, auf der Stadtbrücke, standen Freitagabend noch Baken und Grenzsoldaten. Am Sonnabend war davon keine Spur mehr zu sehen. © Nikolai Schmidt

In die entgegengesetzte Richtung, nach Görlitz, läuft Kinga mit ihrer Familie. Sie machen sogar Fotos auf der Stadtbrücke: Mann, Sohn und Tochter stehen unter dem Schild, das anzeigt, dass man sich jetzt in Deutschland befindet. „Meine Tochter ist heute sogar das erste Mal in Deutschland“, erzählt Kinga. Die Zeit der Grenzschließung haben sie nur aus der Ferne erlebt. Sie kommen aus Südpolen und machen ein paar Tage Urlaub in der Region. Eigentlich auf polnischer Seite. Denn als sie los fuhren, war von der Öffnung der Grenze noch nichts bekannt. Spontan haben sie sich für einen Görlitz-Abstecher entschieden. „Wir drehen einfach eine kleine Runde.“ 

Grenzbaken sind weg - Zigarettentüten wieder da

Sonnabendvormittag. Vor einigen Stunden standen auf der Stadtbrücke noch Grenzbaken. Mitte März hatte Polen die Grenze zu Deutschland geschlossen. In der Nacht zu Sonnabend ging sie wieder auf. Von den Baken wie den bewaffneten Grenzschützern – keine Spur mehr. Dafür herrscht wieder Grenzbetrieb: Man sieht Autos mit polnischen Kennzeichen auf dem Weg nach Görlitz. Und Autos mit deutschen Kennzeichen – Görlitz, Löbau, Niesky, Dresden, Berlin – in Zgorzelecer Richtung. Passanten mit schwarzen, gefüllten Zigarettentüten oder mit Erdbeeren und Pflanzen. Auffallend viele Radfahrer. Der große Run aber ist, zumindest am Vormittag, nicht zu spüren. Auch an den Tankstellen nicht. Vielleicht schon vorbei?

In der Nacht zu Sonnabend feierten Hunderte Görlitzer und Zgorzelecer. Am nächsten Tag geht es ruhiger zu.
In der Nacht zu Sonnabend feierten Hunderte Görlitzer und Zgorzelecer. Am nächsten Tag geht es ruhiger zu. © Nikolai Schmidt

Mit Blick auf den Kundenandrang unterscheidet sich dieser Sonnabend tatsächlich nicht sehr von den Wochenenden vor der Grenzschließung, sagt Grazyna Zieziula. Ihre Vermutung: Viele werden sich bestimmt schon eingedeckt haben, als die tschechische Grenze öffnete. Sie ist Inhaberin des Papierosy-Geschäftes, also eines Tabakkiosks auf dem Maly Rynek, dem Kleinen Markt an der Kazimierza Pulaskiego. Neben Zigaretten gibt es hier Bekleidung, Pflanzen, Obst, Gemüse, Biowaren... 

Gerade in der Mittagszeit ist es ruhig, Verkäuferinnen und Verkäufer unterhalten sich. An einem der Gemüsestände steht Roswitha Freudiger. Was sie am meisten während der Grenzschließung vermisst hat? „Ernsthaft vermisst haben wir eigentlich nichts. Die Sachen, die man braucht, bekommt man ja auch zu Hause in Görlitz“, sagt sie. „Aber wir sind gerne hier“, erzählt sie. „Wir gehen uns einfach gern ansehen, was es hier so gibt.“ Und: Ihr Friseur ist in Zgorzelec. Sie hat sogar kurzfristig einen Termin am Sonnabend bekommen.

Für so einige Görlitzer war der Maly Rynek, der Kleine Markt, erste Anlaufstelle nach Grenzöffnung. In Grenzen allerdings hielt sich der Andrang.
Für so einige Görlitzer war der Maly Rynek, der Kleine Markt, erste Anlaufstelle nach Grenzöffnung. In Grenzen allerdings hielt sich der Andrang. © SZ/sdn

Spontanbesuch aus Hamburg

"Ich bin einfach froh, dass die Grenze wieder offen ist", sagt Grazyna Zieziula vom Papierosy-Kiosk. Leicht können die vergangenen Monate nicht für sie gewesen sein. Nicht nur, weil viel Kundschaft fehlte. “Ich habe so viel vermisst“. In erster Linie ihre Familie. Ihre Tochter beispielsweise lebt in Görlitz, an der VHS gibt sie Sprachkurse. Zeitweise, als auch für Berufspendler die Quarantäneregeln von zwei Wochen galten, hat Grazyna Zieziula ihre Tochter nicht gesehen. „Wir haben ganz viel telefoniert, Nachrichten geschrieben, ach, dauernd“, erzählt sie mit einem Lachen.

Plötzlich Riesenhallo vor dem kleinen Geschäft. „Das sind Verwandte aus Hamburg!“, ruft Grazyna Zieziula: Magda Brics und Sergej Pietruszewska haben sich sehr spontan für einen Besuch bei der Familie in Polen entschieden, als sie von der Grenzöffnung hörten. 6.30 Uhr sind sie am Sonnabend in Hamburg in den Zug gestiegen, erzählen sie. Zuletzt hat man sich zu Weihnachten gesehen. Eigentlich war kürzlich eine Hochzeit geplant, bei der die ganze Familie zusammenkommen wollte.  Aber die wurde verschoben. Magda Brics winkt ab. „Hauptsache, es ist jetzt wieder offen.“

Endlich wieder Sport am Berzdorfer See

So sieht es auch Grazyna Zieziula. Worauf sie sich besonders freut: „Dass ich jetzt am Berzdorfer See wieder Sport machen kann“, erzählt sie. Oft fährt sie auf dem Rundweg Rad oder skatet. „Bei uns ist die Infrastruktur für Radfahrer nicht so gut, das ist bei euch besser.“ 

Ob sich das am ersten Tag mit wieder offener Grenze auch andere Zgorzelecer gedacht haben? Es war Betrieb, sagt Annett Schilling vom Strandrestaurant  "Blaue Lagune“ am Berzdorfer See, „aber der Riesenandrang war es am Sonnabend noch nicht.“ Vielleicht, vermutet sie, lag das auch am Gewitterwetter, das angesagt war und zum Nachmittag auch kam.

Wie sind die Regeln beim Fotomachen? Maske auf oder ab? Wie in deutschen Friseursalons gelten auch in polnischen strenge Hygieneregeln. Was dem telefonischen Andrang am Sonnabend keinen Abbruch tat, erzählt Alexandra Maciuszek (re.).
Wie sind die Regeln beim Fotomachen? Maske auf oder ab? Wie in deutschen Friseursalons gelten auch in polnischen strenge Hygieneregeln. Was dem telefonischen Andrang am Sonnabend keinen Abbruch tat, erzählt Alexandra Maciuszek (re.). © SZ/sdn

Im Plaza-Einkaufzentrum in Zgorzelec hatte das sicher weniger Einfluss. Überfüllt ist der Parkplatz aber auch hier nicht gerade. Aber in zumindest einem Geschäft war die Grenzöffnung deutlich zu spüren: Viel los war bei Alexandra Maciuszek im Redox, ein Friseursalon im Plaza. Dort wird man jetzt, ähnlich wie in deutschen Einkaufszentren, von einem Desinfektionsmittelspender begrüßt. Auch bei den Friseuren gelten ganz ähnliche Regeln wie auf deutscher Seite. Entsprechend sieht es ähnlich aus: Die kleinen Sofas für die Wartezeit sind abgesperrt, Abstandsmaße sind auf den Boden geklebt, am Tresen eine Plexiglasscheibe. Seit dem Morgen, erzählt Alexandra Maciuszek, gingen viele Anrufe von deutschen Kunden ein. Manche bekamen sogar noch am selben Tag einen Friseurtermin.

So sind die Corona-Regeln in Polen

Die Quarantänepflicht für polnische Bürger, die nach Polen zurückkehren, ist aufgehoben. EU-Bürger können ohne Hindernisse nach Polen einreisen, Kontrollen finden noch an den Grenzen zur Ukraine, zu Russland und Weißrussland statt. 

Der Mindestabstand im öffentlichen Raum beträgt  zwei Meter. Ausgenommen sind Betreuer Hilfsbedürftiger und kleiner Kinder, Menschen, die zusammen leben, mit Maske.

Maskenpflicht gilt in geschlossenen Räumen (Bussen und Straßenbahnen, Geschäften, Kinos und Theater, Massage- und Tattoo-Studios, Kirchen, in Restaurants, bis man am Tisch Platz genommen hat), im Freien, wenn kein Mindestabstand möglich ist. 

Aufgehoben ist die Personenobergrenze in Geschäften, Restaurants, Märkten, Serviceeinrichtungen, Kirchen, es gelten aber Hygienemaßnahmen (Abstand, Maske, in Geschäften beispielsweise sind Handschuhe zu tragen oder Hände zu desinfizieren).

Mit Personenlimit können seit 6. Juni Sportanlagen, Fitnessstudios, Schwimmbäder öffnen, ebenso Kinos, Theater und Konzerthäuser, dort gilt Maskenpflicht. 

Versammlungen im Freien und Open-Air Konzerte von bis zu 150 Personen werden unter Einhaltung der Abstandsregeln zugelassen.

Geschlossen bleiben Clubs und und Diskos.

Quelle: gov.pl, rbb

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