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Von Turow vergiftet und ausgedörrt?

Die Grünen und Greenpeace schlagen nach einer neuen Studie Alarm: Die Grube grabe Deutschland das Wasser ab und sei zu groß zum Fluten. Ist da was dran?

Von Anja Beutler
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Ein Riesenloch und dahinter das Kraftwerk Turow. Eine neue Studie befasst sich mit den Gefahren des weiteren Kohleabbaus.
Ein Riesenloch und dahinter das Kraftwerk Turow. Eine neue Studie befasst sich mit den Gefahren des weiteren Kohleabbaus. © Matthias Weber (Archiv)

Es ist ein Horrorszenario: "Braunkohletagebau Turow gräbt Sachsen das Wasser ab" steht über einer aktuellen Pressemitteilung der sächsischen Grünen-Fraktion. Das ergebe eine "neue Studie", in der ein "polnischer Hydroexperte" untersucht habe, wie sich die Erweiterung des Tagesbaus Turow bis 2044 auf das Grundwasser im Dreiländereck auswirken könnte. "Uns wird das Wasser unter den Füßen abgegraben", schlussfolgerte der energie- und umweltpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Landtag, Daniel Gerber. Vor allem um Zittau herum verschärfe sich die Situation. Parallel dazu zeige auch eine Untersuchung von Greenpeace, dass aus der Grube dauerhaft Gifte in Grund- und Flusswasser schwemmten. Und auch in der Zeit nach der Kohle, wenn aus der Grube ein See entstehen soll, lauern größte Gefahren.

Was ist da dran? Sind die Erkenntnisse neu und der Experte glaubhaft? Oder wollen sich die Grünen und Greenpeace im Genehmigungsverfahren um die längere Grubenlaufzeit besser Gehör verschaffen? Eine Bestandsaufnahme:

Wer ist der Experte?

Sylwester Krasnicki, Autor des knapp 14 Seiten umfassenden Papiers, ist vom Fach. Das bestätigen sowohl Wissenschaftler aus Dresden als auch Holger Mansel, öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Montanhydrologie. Nach SZ-Recherchen hat Krasnicki in Wroclaw Umweltwissenschaften studiert und in Hydrologie promoviert. Seither arbeitet er als Selbstständiger vornehmlich für Umweltprojekte. Finanziert hat seine neue Arbeit eine gemeinnützige Organisation für Umweltrecht namens ClientEarth und da speziell ein polnischer Anwalt. Ähnliche Studien hat der Pole zu einer Kohlemine in der Region Lublin und zu einem Staudammprojekt in Georgien veröffentlicht.

"Grundsätzlich hat er alle denkbaren Probleme im Zusammenhang mit dem Abbau und der Flutung behandelt und einen guten Überblick gegeben", sagt Holger Mansel. Was ihm und auch anderen Kollegen aber fehlt, ist der Verweis auf ein hydrologisches Modell, eine Simulation, die seine Annahmen gerade auf die zu erwartende Größe der Beeinflussung belegt. Darauf sei im Text kein Hinweis zu finden.

Raubt Turow Deutschland das Grundwasser?

Dass rund um einen Tagebau das Grundwasser weiträumig abgepumpt wird, um die Kohle abbauen zu können, ist Fakt. Es entsteht ein Absenkungstrichter, also ein weiträumig entwässertes Gebiet im Untergrund. Deshalb haben sich die Grundwasserstände im Zittauer Becken seit Jahren stark verändert - auch auf deutscher Seite. In einigen Schichten ist hier der Grundwasserspiegel seit Mitte den 80er Jahren um 50 Meter gesunken. Krasnicki zeigt aber auch auf, dass auf deutschem Terrain in den oberflächennahen Regionen der Grundwasserspiegel wieder ansteigt - vielleicht auch eine Folge des Bergbau-Endes auf deutscher Seite und einer Verlagerung der Grube Turow weg von der deutschen Grenze. In tieferen Grundwasserschichten sinke der Grundwasserstand weiterhin. Wird die Grube fortgeführt, setzt sich der Prozess fort.

Daraus direkt auf Probleme für die Zittauer Trinkwassergewinnung zu schließen, wie es die Grünen oder Greenpeace auch in der Interpretation tun, ist nicht korrekt: "Die tiefer liegenden Schichten des Zittauer Beckens sind für die Trinkwassergewinnung nicht relevant", teilt das Landesamt für Umwelt, Geologie und Landwirtschaft (LfULG) auf SZ-Nachfrage mit. Aus den oberen grundwasserführenden Schichten werde ebenfalls kein Trinkwasser gewonnen. Das Zittauer Trinkwasser kommt ohnehin nicht aus dem Zittauer Becken, sondern aus dem Gebirge. Dort ist es zwar nicht üppig vorhanden, das bestätigt auch das Landesamt. Ein Zusammenhang mit Turow sei aber bislang nicht nachgewiesen worden. Dennoch sieht auch die Stadt Zittau selbst Gefahren durch den Weiterbetrieb und die Renaturierungspläne und will dies tiefer prüfen lassen. Vor allem aber fordert die Stadt, dass alle drei Länder an einem Tisch sitzen und es nicht nur bilaterale Verhandlungen gibt.

Vehement widersprechen die LfULG-Experten der Annahme Krasnickis, die Grube Turow sei anderen ostdeutschen Lagerstätten sehr ähnlich und damit vergleichbar. Das ist falsch, argumentiert das Landesamt. Die Ablagerungen im Zittau-Berzdorfer Becken seien anders strukturiert, die Entwässerungswirkung unterscheide sich gravierend von anderen Tagebauen - auch in der Lausitz. Und dies erschwere die Interpretation der Grundwasserdruckspiegel-Schwankungen erheblich.

Ob die von Polen vorgeschlagenen Dichtwände im Untergrund zu Deutschland und Tschechien mögliche Entwässerungen eindämmen könnten, ist umstritten. Den deutschen Fachbehörden lägen dazu keine hinreichenden Informationen von den Polen vor. Fazit: Die Entwässerung wird bei weiterem Kohleabbau weitergehen, wie groß die Auswirkungen sind, ist schwer zu prognostizieren - da bringt auch die Studie nichts Neues.

Kommt die Katastrophe nach dem Kohle-Ende?

Sylwester Krasnicki legt ohnehin das Augenmerk auf die Zeit nach dem Kohle-Ende. Die Turower Grube sei besonders anfällig, dass sich durch die Oxidation des vorhandenen Schwefels in der Kohle Schwefelsäure bilde, was zu einer Absenkung des ph-Wertes im Wasser führt. Umweltschadstoffe wie Schwermetalle, Metalloxide und Radionuklide können so besser ins Wasser gelangen - in Grundwasser, aber auch in Flüsse des Dreiländerecks wie die Neiße. 

Unklar ist mithin, woher das Wasser für das künftige "Turower Meer" kommen soll: Für den Berzdorfer See mit seinen 330 Millionen Kubikmetern Volumen sind statt der geplanten vier Jahre elf Jahre nötig gewesen - auch, weil die Neiße nicht immer genug Wasser führte, um etwas abzuzapfen. In Turow müsste man - je nach Ausbauvariante - 1.512 bis 1.680 Millionen Kubikmeter Wasser auffüllen, was mit Blick auf den Klimawandel, eine größere Verdunstungsfläche und den geringeren Zustrom der Neiße in Turow sehr viel länger dauern würde. Während der Betreiber der Grube von 35 bis 37 Jahren ausgeht, hält Krasnicki bis zu 100 Jahre für möglich. In diesem Punkt stimmt auch das Landesamt für Umwelt, Geologie und Landwirtschaft überein.

Brächte der sofortige Stopp des Abbaus Vorteile?

Das polnische Bergbauunternehmen argumentiert, dass die Vorbereitungen für die Rekultivierung im neuen Plan bis 2044 eingearbeitet sind und auch dann erst ausgeführt werden. Derzeit sei man noch gar nicht auf dem nötigen Stand, es gäbe eher größere Probleme. Ein von der SZ befragter Experte, kommentierte dazu, man habe die Wahl zwischen zwei Übeln. Natürlich würde ein Stopp des Kohleabbaus dazu führen, dass der Wasserhaushalt ins Gleichgewicht komme. Aber wie man mit dem Restloch umgehen soll, ist eben noch nicht Teil der Umweltverträglichkeitsprüfung für den Weiterbetrieb, das werde separat gemacht. Holger Mansel, der selbst auch auf binationaler Ebene unterwegs ist, sieht das kritisch. "Der Umgang mit der Bergbaufolgelandschaft sollte mit betrachtet werden, in Deutschland ist das üblich", sagt er. Insofern ist die Studie wohl ein guter Weckruf an die Öffentlichkeit.

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