SZ + Dresden
Merken

Warum in Dresden die Wut mitfährt

Die Zahl der Unfälle zwischen Auto- und Radfahrern steigt. Ein Verkehrspsychologe erklärt, welche Rolle Aggressionen dabei spielen.

 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Stau auf der Flügelwegbrücke – das wird schnell zur Geduldsprobe. Manchen Autofahrer können das Warten und die Enge sogar aggressiv machen.
Stau auf der Flügelwegbrücke – das wird schnell zur Geduldsprobe. Manchen Autofahrer können das Warten und die Enge sogar aggressiv machen. © Sven Ellger

Immer wieder kommt es in Dresden zu schweren Unfällen zwischen Auto- und Radfahrern. Erst am Montagabend wurde eine 60-jährige Radlerin auf der Güntzstraße schwer verletzt. Sie kollidierte mit einem Renault-Twingo. Nicht nur das hohe Verkehrsaufkommen in der Stadt und die teils verbesserungswürdige Infrastruktur können Unfälle wie diesen bedingen. Häufig fehlt im Straßenverkehr auch die gegenseitige Rücksichtnahme. Auf allen Seiten. Für mehr Achtsamkeit plädierte kürzlich Henrik Liers, Unfallforscher an der TU Dresden, in der SZ. Der Verkehrspsychologe Jens Schade arbeitet ebenfalls an der TU. Er erklärt genauer, woher aggressives Verhalten von Auto- wie Radfahrern rührt und warum die Straße auch eine Kampfzone ist.

Herr Schade, wie bewegen Sie sich in Dresden am liebsten fort?

Das hängt vom Weg ab, aber ich fahre tatsächlich häufig mit dem Auto, weil es flexibel und immer noch schnell ist.

Ist Dresden eine verkehrsfreundliche Stadt für alle Fortbewegungsarten?

Da sehe ich noch viel Entwicklungspotenzial insbesondere für den Langsamverkehr. Nach der Wende wurde Wirtschaftswachstum mit Verkehrswachstum gleichgesetzt. Das hat zu einer Bevorzugung des Autoverkehrs geführt. Und das wirkt über die gebaute Infrastruktur bis heute fort. Jetzt ändern sich Sichtweisen. Der begrenzte Straßenraum, der bisher hauptsächlich für Autos da war, wird neu verhandelt.

Und das teils sehr robust. Was kann zu Aggression im Straßenverkehr führen?

Grundsätzlich gibt es im Straßenverkehr viele unterschiedliche Handlungen – von kooperativem bis aggressivem Verhalten. Aggression selbst hat diverse Ursachen. Eine ist die Anonymität, die einem das Gefühl gibt, für aggressives Verhalten nicht bestraft werden zu können. Hinzu kommt, dass die Kommunikation zwischen Verkehrsteilnehmern und insbesondere mit Autofahrern sehr eingeschränkt ist und schnell zu Missverständnissen und Fehlinterpretationen führen kann. Bei Radfahrern gibt es andere Muster: Sie fühlen sich meist nicht nur strukturell benachteiligt. Hinzu kommt, dass sich Radfahrer physiologisch in einem anderen Erregungslevel befinden als ein Autofahrer, der die ganze Zeit passiv sitzt. Durch die körperliche Betätigung kann das Erregungspotenzial bei Radlern höher sein, sodass es zum Beispiel bei Provokationen auch zu aufbrausenden Aktionen und Reaktionen kommen kann.

Woher kommt aber das grundsätzliche Konkurrenzdenken?

Konkurrenz entsteht, wenn Ressourcen knapp oder begrenzt sind. Im Straßenverkehr ist sowohl der Raum als auch die Zeit begrenzt. Da greift, wie in vielen anderen Lebensbereichen auch, das Prinzip „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.“ Sei es in der Warteschlange im Supermarkt oder beim Einsteigen in den Bus. Sinnvoller ist es aber sich abzustimmen und zu kooperieren.

Welche Formen von Aggression im Straßenverkehr lassen sich unterscheiden?

Die instrumentelle und die emotionale Aggression. Mit Ersterer will man schneller Vorankommen und sich Vorteile verschaffen, den anderen aber nicht bewusst schädigen. Anders ist das bei der emotionalen Aggression: Hier spielen Wut, Zorn und Rache eine Rolle. Diese Gefühle können so stark werden, dass man sogar bereit ist, Schaden an sich selbst in Kauf zu nehmen. Von außen lassen sich die beiden Arten allerdings weniger gut unterscheiden. Da neigen wir dazu, das Verhalten anderer als aggressiv zu betrachten, während wir unser eigenes Verhalten als nicht aggressiv wahrnehmen.

Sind Männer die aggressiveren Fahrer?

Ja, Männer und auch jüngere Verkehrsteilnehmer zwischen 18 und 25 Jahren tendieren mit größerer Wahrscheinlichkeit dazu, aggressiv zu handeln. Ein Grund ist das Persönlichkeitskonstrukt „Sensation Seeking“, das bei Männern und jüngeren Menschen stärker ausgeprägt ist als bei Frauen und Älteren. Es beinhaltet die Bereitschaft, Risiken einzugehen und dabei häufig Konventionen und Regeln zu überschreiten.

Bewegen sich Menschen im Straßenverkehr denn aggressiver als früher?

Dieses Gefühl fasst man unter dem Stichwort Verkehrsklima zusammen. Die Wahrnehmung, dass das Verkehrsklima rauer wird, reicht bis in die Anfänge des Automobils zurück. Bis heute bleibt aber die Frage, ob es sich dabei nicht um eine sich selbst erfüllende Prophezeiung handelt. Das heißt, wenn ich mehr Aggression im Straßenverkehr erwarte, beobachte ich auch automatisch mehr aggressive Szenen.

Aber kommt es denn zu mehr Unfällen aufgrund aggressiven Fahrverhaltens?

Aggressive Verhaltensweisen weisen deutliche Zusammenhänge zu einem aggressiven Fahrstil, zur Anzahl von Verkehrsverstößen wie Verwarnungen und Bußgeldern und auch zum Punktestand auf. Auch Fahren unter Alkoholeinfluss und Führerscheinentzug lassen sich durch die Ausprägung aggressiver Verhaltensweisen im Straßenverkehr vorhersagen. Der Zusammenhang zu Unfällen ist allerdings uneindeutig. In einigen Studien konnte kein Zusammenhang zwischen aggressiven Verhaltensweisen und Unfällen belegt werden, in einer Reihe anderer Studien fand sich ein signifikanter Zusammenhang. Das ist aber nicht überraschend, da in der Regel viele Faktoren verantwortlich sind, dass es zu einem Unfall kommt.

Was halten Sie von Lösungsvorschlägen wie Shared Space oder Tempo 30 in Innenstädten, um Konflikte zu mindern?

Das niederländische Shared-Space-Konzept ist eine Begegnungszone, in der sich alle Verkehrsteilnehmer kooperativ miteinander fortbewegen sollen – durch Kommunikation. Fakt ist, dass es in der Praxis häufig nicht zu Gleichberechtigung führt. Ältere Menschen und Kinder fühlen sich als Verlierer. Erstere weil sie geregelte Ordnungen gewohnt sind und sich nicht mehr so schnell bewegen können. Kinder brauchen hingegen Regeln, damit sie lernen, wie sie sich orientieren können. In puncto Aggression kann das aber sicher ein Weg sein, zu deeskalieren. Eben weil man miteinander kooperieren muss.

Tempo 30 in der Innenstadt ist allein unter dem Gesichtspunkt Sicherheit absolut sinnvoll. Mit hohen Geschwindigkeiten gehen große Verletzungsfolgen einher. Zudem mindern hohe Geschwindigkeiten die Reaktionszeit. Ich selbst könnte mir auch vorstellen, dass das Konzept der sich selbst erklärenden Straße ein spannender Ansatz ist. Das bedeutet, dass der Straßenraum so gestaltet wird, dass ich beim Fahren automatisch die Geschwindigkeit anpasse. Das geht zum Beispiel durch optische Verengungen. Das sind natürlich aber genauso langfristige Überlegungen wie die Vision eines emissionsfreien Deutschlands.

Das Interview führte Melanie Schröder.