Update Politik
Merken

Sachsen erhält 50 Millionen Euro nach Flüchtlingsgipfel - Grenzkontrollen geplant

Bund und Länder haben sich auf eine neue Lastenverteilung bei den Flüchtlingskosten geeinigt. Der Bund übernimmt deutlich mehr Kosten - Sachsen ist trotzdem enttäuscht von den Ergebnissen.

 9 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Sachsen bekommt zusätzliche 50 Millionen vom Bund für die Flüchtlingsunterbringung und Digitalisierung von Ausländerbehörden - dem Freistaat ist das zu wenig.
Sachsen bekommt zusätzliche 50 Millionen vom Bund für die Flüchtlingsunterbringung und Digitalisierung von Ausländerbehörden - dem Freistaat ist das zu wenig. © Michael Matthey/dpa (Symbolbild)

Berlin/Dresden. Sachsen erhält knapp 50 Millionen Euro zusätzlich für die Betreuung von Flüchtlingen. Das sagte Staatskanzleichef Oliver Schenk (CDU) einen Tag nach dem Bund-Länder-Gipfel am Donnerstag in Dresden. Mit dem Geld sollen Kommunen entlastet werden – etwa bei der Anschaffung von Wohncontainern oder der Anmietung von Wohnraum. Zudem soll es für die Digitalisierung der Ausländerbehörden eingesetzt werden. Die Aufteilung ist noch unklar.

Schenk, der bei den Verhandlungen den die USA bereisenden Regierungschef Micheal Kretschmer (CDU) vertreten hatte, wies zudem auf bevorstehende Kontrollen an den Grenzen Sachsens zu Polen und der tschechischen Republik hin. In dem Beschluss heißt es: "Lageabhängig wird der Bund das im Verhältnis zu Österreich bestehende Grenzsicherungskonzept auch an anderen Binnengrenzen Deutschlands … etablieren."

Vorgesehen ist, dass der Bund zunächst Konsultationen mit den Bundesländern dazu aufnimmt. Dabei dürfte es sich vor allem um Sachsen und Brandenburg handeln. Länder mit Grenzen zu den Benelux-Staaten und Frankreich sollen davon nicht betroffen sein. Beobachter gehen davon aus, dass Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) in Kürze mit dem Bund Gespräche führt. Gerade mit Blick auf den starken Anstieg der Migrationszahlen müsse es hier zu raschen Fortschritten kommen. Sicherung der Außengrenzen ist eine Bundesaufgabe, bei der vor allem die Bundespolizei zum Einsatz kommt. Sachsens Nachbarrepublik Tschechien hatte sich am Donnerstag gegen Grenzkontrollen ausgesprochen.

Schenk sprach mit Blick auf die Ergebnisse des Treffens in Berlin von einem Teilerfolg, zeigte sich allerdings auch ernüchtert. In einer Protokollerklärung kritisierten die Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Bayern die zusätzliche Milliarde als ungenügend. Die Erhöhung – sie kommt zum derzeitigen Volumen der Bundeshilfe von rund 1,25 Milliarden Euro dazu – "wird der Belastungssituation vor Ort in keiner Weise gerecht". Die drei Länder drängen auf eine dauerhafte Regelung.

Auch in anderen Teilen der sächsischen CDU kritisiert man die Ergebnisse: "Man hat den Eindruck: Bei der Flüchtlingspolitik ist diese Bundesregierung weder handlungsfähig noch handlungswillig", sagte CDU-Generalsekretär Alexander Dierks am Donnerstag in Dresden. Eine Grundsatzentscheidung über dauerhaft höhere Bundesmittel an die Länder für die Flüchtlingskosten sei vertagt worden. Der Bund lasse vor allem Landkreise, Städte und Gemeinden im Regen stehen. Die Vereinbarungen blieben "hinter allen Erwartungen zurück", erklärte CDU-Innenpolitiker Ronny Wähner.

Sachsens Innenminister Schuster zum Flüchtlingsgipfel: Erster Schritt - aber nicht genug

Sachsens Innenminister Armin Schuster sieht den Flüchtlingsgipfel von Bund und Ländern als "ersten Schritt hin zu einem dringend erforderlichen Strategiewechsel in der Migrationspolitik". Positiv sei zu bewerten, dass sich der Bund dazu bekannt habe, dass er bei der Finanzierung seiner Migrationspolitik dauerhaft und entsprechend der Zugangszahlen in der Verantwortung stehe, sagte der CDU-Politiker am Donnerstag in Dresden. Enttäuschend sei jedoch, dass er sich nur zu einer Einmalzahlung für dieses Jahr durchgerungen habe.

"Das neue dauerhafte Finanzsystem erst im November beschließen zu wollen kommt für die Länder und Kommen für 2024 definitiv zu spät", sagte Schuster. Zudem wolle er sich dafür einsetzen, dass die Einmalzahlung vor allem den Kommunen und Landkreisen zugutekommt. Allerdings könne es nicht nur darum gehen, Ressourcen anzupassen. "Entscheidend ist das im Beschluss neu formulierte Ziel, die irreguläre Migration spürbar zu reduzieren", so Schuster.

Die neue Bereitschaft des Bundes, lageangepasst stationäre Grenzkontrollen über die zu Österreich bestehenden hinaus auch an den Ostgrenzen zu etablieren, begrüße der Freistaat. Schuster zufolge seien derartige Maßnahmen "angesichts des hohen Migrationsdrucks leider erforderlich" - allerdings nur so lange, "bis es wirksam zu besseren Lösungen kommt". Die Bundesregierung müsse laut Schuster "auf europäischer Ebene schnell und stärker in eine Vorreiterrolle kommen".

Zudem sei bedauerlich, dass es nicht gelungen sei, die Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten zu vereinbaren. Schuster forderte die Bundesregierung auf, Länder wie Tunesien, Algerien, Marokko und Indien zu sicheren Herkunftsländern zu erklären.

Flüchtlings-Gipfel: Ministerpräsidenten sind unzufrieden

Bei ihrem Flüchtlingsgipfel am Mittwoch hatten Bund und Länder keine Grundsatzentscheidung über dauerhaft höhere Bundesmittel zur Unterbringung und Versorgung von Schutzsuchenden getroffen. Der Bund wird aber für das Jahr 2023 die Flüchtlingspauschale an die Länder um eine Milliarde Euro erhöhen.

Damit sollen die Länder dabei unterstützt werden, ihre Kommunen zusätzlich zu entlasten und die Digitalisierung der Ausländerbehörden zu finanzieren. Der Bund hatte zuvor bereits 1,5 Milliarden Euro für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine in diesem Jahr zugesagt sowie 1,25 Milliarden Euro für andere Geflüchtete.

Man sei sich einig, dass es sich bei der Bewältigung der Fluchtmigration um eine dauerhafte Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen handelt, hielten die Teilnehmer des Treffens fest. Vor diesem Hintergrund wollten Bund und Länder miteinander klären, wie die Finanzierung dieser Aufgabe in Zukunft geregelt werden könne. Eine Entscheidung dazu solle bei einer Zusammenkunft im kommenden November getroffen werden.

In dem gemeinsamen Beschluss heißt es weiter, eine Arbeitsgruppe werde diese Entscheidung vorbereiten. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder würden bei ihrer regulären Zusammenkunft Mitte Juni den Zwischenstand beraten.

"Wir haben eine Diskussion vor uns, die auch jede Mühe wert ist, das will ich ausdrücklich sagen. Aber die Aufgabe zu lösen ist auch nicht einfach, weil in den letzten Jahren viel passiert ist", sagte Scholz nach dem Ende der Beratungen. "Wir gehen da als offener Prozess rein und das Ergebnis kann niemand vorhersagen." "Mehr war eben nicht drin", bilanzierte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU). "Das muss man heute so klar sagen." Auf die zentrale Frage nach einer dauerhaft höheren Beteiligung des Bundes hätten die Länder noch keine Antwort erhalten.

So habe es keine Einigung gegeben auf die von Ländern und Kommunen gewünschte vollständige Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung für Flüchtlinge durch den Bund. Offen seien auch die Fragen nach höherer Kostenbeteiligung für Integration und für minderjährige Flüchtlinge. Dennoch sei die zusätzliche Milliarde vom Bund anzuerkennen. Immerhin gebe es nun einen Fahrplan, wie auf dem Weg zu einer dauerhaft fairen, verlässlichen Finanzierung voranzuschreiten sei.

Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil (SPD) sagte, der Beschluss sei besser als das, was er noch vor ein oder zwei Tagen für möglich gehalten habe. "Wir sind uns, Bund und Länder, der gemeinsamen Verantwortung bewusst", sagte er als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK).

Nicht nur Sachsen zeigt sich mit der Lösung alles andere als zufrieden, auch der Freistaat Bayern und Sachsen-Anhalt kritisieren die Lösung des Bundes. Der Bund entziehe sich seiner Verantwortung. Das debattierte Vier-Säulen-Modell, wonach der Bund Kosten für Unterkunft der Flüchtlinge, deren Integration und die für unbegleitete Minderjährige übernimmt sowie eine Pro-Kopf-Pauschale bezahlt, hätte bei dem Treffen am Mittwoch beschlossen werden „können und müssen“. Die drei Länder kritisierten damit, dass dieses Modell erst weiter geprüft werde.

Unzufriedenheit besteht zudem beim Thema sichere Herkunftsländer. „Es wäre notwendig gewesen, bei den Fragen von freiwilligen Aufnahmeprogrammen und der Ausweitung der Liste sicherer Herkunftsstaaten weitergehende Beschlüsse zu fassen, um zu einer wirksamen Begrenzung zu kommen“, heißt es in der Erklärung von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Bayern weiter.

Bei dem Treffen im Kanzleramt wurde vereinbart, dass Asylverfahren von Menschen aus Staaten mit EU-Beitrittsperspektive beschleunigt durchgeführt werden. „Dies gilt insbesondere für Georgien und Moldau“, heißt es in dem Bund-Länder-Beschluss. Sachsen, Sachsen-Anhalt und Bayern fordern die Bundesregierung ferner zur Prüfung auf, „inwieweit Wirtschaftshilfen für Herkunftsstaaten, die sich beständig der Rücknahme ihrer ausreisepflichtigen Staatsbürger verwehren, angepasst werden können“.

Mehr als 100.000 Erstanträge auf Asyl bis April

In den ersten vier Monaten dieses Jahres hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 101.981 Asylerstanträge entgegengenommen. Das ist eine Zunahme der Antragszahlen um rund 78 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Hauptherkunftsländer waren seit Jahresbeginn Syrien, Afghanistan und die Türkei. Im vergangenen Jahr hatten rund 218 000 Menschen erstmals einen Asylantrag in Deutschland gestellt. Außerdem müssen die Kommunen mehr als eine Million Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine unterbringen. Diese müssen keine Asylanträge stellen.

Um Abschiebungen konsequenter durchzusetzen, hätten sich Bund und Länder darauf verständigt, die maximale Dauer des Ausreisegewahrsams von derzeit 10 auf 28 Tage zu verlängern, sagte Scholz. Vereinbart wurden den Angaben zufolge auch erweiterte Zuständigkeiten der Bundespolizei und ein verbesserter Informationsaustausch zwischen Justiz- und Ausländerbehörden.

"Um Bund, Länder und Kommunen zu entlasten, ist die irreguläre Migration spürbar zu reduzieren", heißt es in dem Beschluss, auf denen sich die Teilnehmer des Flüchtlingsgipfels einigten. Wer dafür die Verantwortung trägt, blieb allerdings offen. An anderer Stelle wird festgehalten: "Lageabhängig wird der Bund das im Verhältnis zu Österreich bestehende Grenzsicherungskonzept auch an anderen Binnengrenzen Deutschlands nach Konsultation mit den betreffenden Ländern der Bundesrepublik Deutschland etablieren." Dies müsste Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) dann bei der EU-Kommission anmelden.

Eigentlich gibt es im Schengen-Raum, dem 26 europäische Länder angehören, keine stationären Personenkontrollen an den Grenzen. In den vergangenen Jahren hatten aber mehrere Staaten eine Ausnahmeregelung genutzt. Deutschland kontrolliert seit Herbst 2015 in Bayern an der Grenze zu Österreich, nachdem sich Zehntausende Flüchtlinge und andere Migranten von Griechenland über die Balkan-Route auf den Weg nach Westeuropa gemacht hatten.

Sachsen, Bayern und Sachsen-Anhalt hielten in ihrer Protokollerklärung zu dem Beschluss fest: "Das zentrale Problem ist die fortgesetzte irreguläre Migration. Alle bisher von Bundesseite getroffenen Maßnahmen haben nicht zu einer nachhaltigen Zuzugsbeschränkung geführt." Die vom Bund vorgesehene Erhöhung um eine Milliarde Euro sei "völlig unzureichend" und werde der Belastungssituation in den Kommunen nicht gerecht. Thüringen sprach sich in einer weiteren Protokollerklärung gegen eine Verlagerung von Asylverfahren an die EU-Außengrenzen aus, wie sie derzeit auf europäischer Ebene diskutiert wird.

Kommunen unzufrieden mit Gipfel-Ergebnissen

Die Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels von Bund und Ländern sind bei den Kommunen auf Kritik gestoßen. "Eine Einigung erst im November kommt für das Jahr 2024 deutlich zu spät und stößt bei den Kommunen auf große Enttäuschung", sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, der "Rheinischen Post". Er äußerte sich mit Blick darauf, dass eine dauerhafte Lösung zur Finanzierung der Flüchtlingsunterbringung auf den Herbst vertagt worden war. "Das ist ein schlechtes Signal an die Städte", sagte Städtetags-Präsident Markus Lewe der Zeitung. Die Vertreter der Kommunen waren zu dem Treffen nicht eingeladen worden. (SZ/dpa)