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Rechte im Umfragehoch: Welche Strategie verfolgt die AfD jetzt?

Die radikalen Rechten sind im Aufwind. Doch Umfragen sind noch keine Wahlergebnisse, das wissen sie auch in der AfD. Jetzt keine Fehler machen, heißt es intern.

Von Maria Fiedler
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In den Umfragen läuft es derzeit gut für sie: Alice Weidel und Tino Chrupalla.
In den Umfragen läuft es derzeit gut für sie: Alice Weidel und Tino Chrupalla. © dpa/Kay Nietfeld

Bitte nicht zwischendrin klatschen – das ist die erste Botschaft, die Alice Weidel an ihr Publikum richtet. Die AfD-Chefin steht – mit Blazer und weißem Einstecktuch – im Februar im hessischen Königsstein auf der Bühne. Es soll eine programmatische Rede werden, zum zehnjährigen Gründungsjubiläum ihrer Partei. Spontan-Applaus kostet da zu viel Zeit.

„Unser Einzug in die Parlamente ist kein Selbstzweck“, verkündet Weidel. „Wir wollen nicht nur mitreden, wir wollen mitregieren.“ Das, meint die Parteichefin, sei der konsequente nächste Schritt.

Zu diesem Zeitpunkt steht die AfD in Umfragen bereits bei 15 Prozent. Viele in der radikal rechten Partei fragen sich damals noch, ob das nur eine Momentaufnahme ist. Doch seitdem ist die AfD in Umfragen weiter gestiegen. Mittlerweile sehen Demoskopen sie bei 18 Prozent, gleichauf mit der Kanzlerpartei SPD und so stark wie zu Zeiten des Asylstreits.

In der AfD stellen sich auf einmal strategische Fragen: Was tun mit dem unverhofften Umfragehoch? Reicht es, die Füße stillzuhalten? Nur weil jemand in einer Umfrage angegeben hat, AfD wählen zu wollen, heißt das noch lange nicht, dass er das am Ende auch tut. „Wir müssen jetzt die Umfragewerte in bare Münze bei den Wahlen umwandeln“, meint ein AfD-Mann. Was hat die Partei vor?

Erfolg abhängig von äußeren Faktoren

Hört man sich in der AfD um, wird klar: In der Partei wissen sie, dass der Großteil des Umfrageerfolgs nicht dem eigenen strategischen Geschick zu verdanken ist. „Die AfD ist immer noch nicht in der Lage, aus sich heraus neue Wähler zu generieren. Sie ist abhängig vom Verhalten der anderen und von der Stimmung in der Gesellschaft“, beklagt ein Partei-Insider im Gespräch.

Ähnlich sieht es das neurechte Vorfeld der AfD. Im Mai analysierte der frühere Vizechef der rechtsextremen Identitären Bewegung in Deutschland das Umfragehoch der AfD für die „Sezession“. Sie ist so etwas wie das Leitmedium der neurechten Szene und steht seit längerem im Visier des Verfassungsschutzes. Allgemeine politische Unzufriedenheit, Ablehnung von Migration und der scharfe Antagonismus der potenziellen AfD-Wähler zu den Grünen – das seien, so die Analyse, die Gründe für das Umfragehoch.

Gleichzeitig glauben sie in der Szene, dass derzeit etwas stattfindet, auf das sowohl die AfD als auch neurechte Strategen schon lange gehofft haben: ein Normalisierungseffekt. Mittlerweile halten in Umfragen 27 Prozent der Bürger die AfD für eine „normale Partei“ – und das, obwohl die AfD vom Verfassungsschutz beobachtet wird und ihre Jugendorganisation erst kürzlich zur gesichert rechtsextremistischen Bestrebung hochgestuft wurde.

„Unsere Strategie? Wir halten weiter an unserem Programm fest. Und wir dürfen keine eigenen Fehler machen“, sagt Beatrix von Storch. Wer mit der Vizechefin der AfD-Fraktion spricht, erfährt: Fast genauso wichtig wie die Anti-Migrationspolitik ist mittlerweile für die AfD der Kampf gegen Klimaschutz und die Energiewende.

Angsterzählungen in sozialen Medien

Das beobachtet auch Johannes Hillje. Der Politikberater analysiert seit Jahren die Kommunikation der AfD. Für den Berliner Tagesspiegel hat er die reichweitenstärksten AfD-Posts der vergangenen Monate auf Facebook ausgewertet. Die meisten richten sich gegen Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck und die Politik der Grünen. „Habeck austauschen und nicht die Heizung“, heißt es da. Oder: „Unser Versprechen im Falle einer Regierungsbeteiligung: Wir nehmen die grünen Wahnsinnsgesetze wieder zurück.“

Auf Facebook erziele die AfD mit ihrer Angsterzählung von einer angeblich ökodiktatorischen Umerziehung mittlerweile ähnlich hohe Reichweiten wie mit Migration oder Corona, sagt Hillje. Insgesamt seien das Heizungsgesetz und die Migration die Top-Themen der AfD in den vergangenen drei Monaten auf Facebook gewesen. „Die AfD führt mittlerweile einen doppelten Kulturkampf: Von außen kommt die kulturelle Bedrohung durch Migranten, von innen durch die Klimapolitik.“ Das zentrale Feindbild sei der Wirtschaftsminister. „Habeck ist für die AfD die neue Merkel.“

Generell sei der Eindruck, die AfD würde nichts für ihren Erfolg tun, falsch. Sie habe ihre eigenen Massenmedien und bespiele ihre Anhänger dort permanent. Selbst bei Tiktok habe sie mit 200.000 Followern stärkeren Zulauf als die anderen Parteien.

Immer wieder interne Streitereien

Dennoch wird aus Gesprächen mit AfD-Vertretern klar: Einen langfristigen strategischen Plan hat die Partei nicht. Sie verhakt sich stattdessen noch immer in Streitereien. Gerade AfD-Politiker im Westen regten sich über den Besuch von AfD-Chef Tino Chrupalla in der russischen Botschaft am 9. Mai auf. Sie glauben, Chrupallas russlandnaher Kurs schade der AfD im Westen. Der Krach in der Fraktion war groß.

AfD-Chef Tino Chrupalla wird in Teilen der Partei für seinen russlandfreundlichen Kurs kritisiert.
AfD-Chef Tino Chrupalla wird in Teilen der Partei für seinen russlandfreundlichen Kurs kritisiert. © Archiv: Paul Glaser/glaserfotografie.de

Wovon die Partei aber profitiert, ist, dass mit dem Abgang von Ex-Parteichef Jörg Meuthen die Kämpfe zwischen dem weniger radikalen Teil der Partei und dem rechtsextremen, offiziell aufgelösten „Flügel“ um Björn Höcke passé sind. Zwar hatten sich die Radikalen in der Partei durchgesetzt. Doch durch das Ende des großen Machtkampfes verschwand die Frage nach dem „Flügel“ aus den Schlagzeilen.

Ein Kommunikationsstratege der Partei glaubt zudem, dass mit der Berichterstattung über die hohen Umfragewerte der Partei die Normalisierung der AfD voranschreitet.

AfD hat keine Machtoption

Nun richten sich in der Partei bereits die Blicke auf die Landtagswahlen im Osten und auf das Verhalten der CDU. Die AfD ist in Thüringen und Sachsen in Umfragen immer wieder stärkste Kraft. In der AfD wissen sie, dass das aber nur bedingt etwas bringt, weil es keine Machtoption gibt.

Die rechte Wochenzeitung „Junge Freiheit“ machte diese Woche unter ihren Lesern eine Umfrage: „Verbotene Liebe? Soll die CDU mit der AfD koalieren?“ Garniert war die Frage mit einer Fotomontage, die Chrupalla und CDU-Chef Friedrich Merz mit Rotwein beim vertrauten gemeinsamen Kochen zeigte.

Die Realität sieht freilich anders aus: CDU-Chef Merz hat gerade erst wieder betont, dass es mit der AfD keinerlei Zusammenarbeit geben werde. Die AfD verfolgt deshalb lieber die Strategie, zu betonen, die CDU sei überhaupt keine echte Oppositionspartei.

Beim Klimaschutz verfolge Merz „einen Grünen-Kurs“, behauptet Beatrix von Storch. „Wenn er meint, mit ein bisschen Gender-Kritik populistisch klappern zu müssen, überzeugt das niemanden.“

Bevor es bei den Landtagswahlen 2024 im Osten ans Eingemachte geht, stehen aber noch zwei andere Wahlen an: in Bayern und Hessen diesen Herbst. Sie werden zeigen, ob sich die Umfragewerte für die AfD auch in Wählerstimmen manifestieren.