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"Die SPD im Osten war nie eine Volkspartei"

Der Rückzug von Martin Dulig sorgt für Unruhe in der SPD. Warum dieser Schritt? Und was bedeutet das für die Partei, deren Ostbeauftragter Dulig ist?

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Martin Dulig (SPD) will in der SPD Platz für andere machen, in der Partei aber weiter eine Rolle spielen und mitgestalten.
Martin Dulig (SPD) will in der SPD Platz für andere machen, in der Partei aber weiter eine Rolle spielen und mitgestalten. © Sebastian Kahnert/dpa

Dresden. Anfang Juli sollte für die sächsische SPD auf dem wegen der Corona-Krise verschobenen Landesparteitag die Wahl des Vorsitzenden anstehen. Eigentlich schien alles klar: Martin Dulig hatte keinen Zweifel an einer erneuten Kandidatur gelassen. Nun kommt alles anders: Vor rund einer Woche kündete der SPD-Chef überraschend an, nach zwölf Jahren an der Spitze nicht mehr anzutreten - und Platz für andere zu machen. Die Wahl wird auf den Herbst verschoben, im Gespräch ist ein Spitzenduo. Die Nachricht gleicht einem Paukenschlag und sorgt für Unruhe in der SPD. Warum dieser Schritt? Und was bedeutet das für die Partei, deren Ostbeauftragter Dulig ist?

"Wir brauchen als SPD diesen neuen Impuls", sagt der 47-Jährige. Lange sei die Partei in Sachsen auf ihn fixiert gewesen. Nun gehe es darum, die Macht auf mehrere Schultern zu verteilen. Kein leichter Schritt. "Das war bei mir ein Prozess", sagt Dulig. Vergangene Woche habe er dann für sich festgestellt, dass eine Entscheidung fallen müsse. Gerade mit Blick auf die anstehende Bundestagswahl im September. Debatten um die interne Aufstellung der Partei seien fehl am Platz "zu einem Zeitpunkt, an dem wir die Kraft für den Wahlkampf einsetzen müssen."

Dulig: Nicht alles auf Corona schieben

Dulig ist nicht nur langjähriger SPD-Chef, sondern zugleich Wirtschaftsminister, stellvertretender Ministerpräsident des Freistaates und Ostbeauftragter seiner Partei. Das will er auch bleiben, wie er betont. Auch in der SPD will er weiter eine Rolle spielen und mitgestalten. Für Holger Mann, SPD-Spitzenkandidat zur Bundestagswahl, ist unterdessen klar: "Ich habe seinen Verzicht als Impuls für eine breitere Aufstellung der SPD und damit auch als Aufforderung an alle verstanden, sich stärker einzubringen."

An der Basis bröckelt der Rückhalt schon länger - auch eine klare Kante gegenüber dem Koalitionspartner CDU fehlt manchen. Das historisch schlechte Abschneiden bei der Landtagswahl 2019 dürfte ebenfalls eine Rolle spielen: Auf gerade einmal 7,7 Prozent der Stimmen kam die Partei, damit stellen sie die kleinste Fraktion im Landtag. "Bitter", sagt Dulig dazu. Durch die Corona-Pandemie habe es bisher nicht die Möglichkeit gegeben, direkt mit den Mitgliedern die Konsequenzen aus der Wahl zu diskutieren. "Das Bedürfnis ist aber riesengroß."

Der 47-Jährige gibt sich aber auch selbstkritisch: Man dürfe auch nicht alles auf Corona schieben, sagt er am Samstag auf einen Stadtparteitag in Leipzig. Es sei ihm bewusst, dass es ein Fehler von ihm war, zu wenig in der SPD präsent gewesen zu sein. Wenn neue Leute die Parteiführung übernähmen, gehe es auch darum, "deutlich sichtbarer vor Ort" zu sein. Jetzt sei es nötig, Verantwortung zu teilen.

Kaum Chancen, sich als Volkspartei zu etablieren

In anderen Ost-Ländern steht die SPD nicht besser da: Bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt waren die Sozialdemokraten mit 8,4 Prozent auf einen Tiefstand in dem Bundesland gerutscht. Thüringens SPD, die zusammen mit einer starken Linken und den Grünen eine Minderheitsregierung bildet, geht mit Innenminister Georg Maier als Frontmann in die am 26. September zusammen mit der Bundestagswahl geplanten vorgezogenen Landtagswahl.

Maier soll für die Sozialdemokraten verlorenes Terrain in Thüringen, einem der Stammländer der Sozialdemokratie, zurückgewinnen. Umfragen sehen die SPD derzeit zwischen 7 und 10 Prozent. Bei der Landtagswahl 2019 hatte sie mit 8,2 Prozent ihr bisher schlechtestes Ergebnis eingefahren. Auch bundesweit blieb die SPD zuletzt im Umfragetief - Grüne und Union erreichten deutlich höhere Zustimmungswerte.

Der Politologe Hans Vorländer rechnet der SPD im Osten kaum Chancen aus, sich als Volkspartei zu etablieren. "Im Westen ist es der Niedergang einer Volkspartei, im Osten war sie das nie." Auch als Arbeiterpartei sei sie im Gegensatz zum Westen nicht verwurzelt. Das hat aus Sicht des Wissenschaftlers mit der Neugründung im Wendejahr 1898/90 zu tun. Seither habe die SPD gerade in Sachsen und Thüringen meist im Schatten einer übermächtigen CDU gestanden.

"Es hängt sehr stark vom Personal ab"

In Sachsen-Anhalt, Brandenburg und nun auch in Mecklenburg-Vorpommern hingegen gab oder gebe es starke Führungspersönlichkeiten, die für entsprechenden Aufwind der SPD sorgten. Vorländer verweist etwa auf Dietmar Woidke, Manfred Stolpe, Reinhard Höppner und Manuela Schwesig. "Es hängt sehr stark vom Personal und von der Konkurrenzsituation zu den anderen Parteien ab."

In dem angekündigten Rückzug Duligs von der Parteispitze sieht Vorländer die Chance auf einen Neuanfang. "Er hat zuletzt keine neuen Stimmen mehr für die SPD gezogen", so Vorländer, Direktor des Zentrums für Verfassungs- und Demokratieforschung an der TU Dresden. Wie es nun für die Sozialdemokraten weitergehe, hänge vor allem davon ab, wie sich die Partei personell aufstelle. Sicher sei aber: "Die Konzentration auf Dulig allein hat sich nicht bezahlt gemacht."

Starke Führungspersönlichkeiten, wie Manuela Schwesig, die Ministerpräsidentin und SPD-Landesvorsitzende von Mecklenburg-Vorpommern, sind rar in der SPD.
Starke Führungspersönlichkeiten, wie Manuela Schwesig, die Ministerpräsidentin und SPD-Landesvorsitzende von Mecklenburg-Vorpommern, sind rar in der SPD. © Jens Büttner/dpa

Für Martin Dulig hingegen ist klar, dass es die SPD braucht - gerade im Osten. Arbeit und Gerechtigkeit seien die Kernmarke der Sozialdemokraten, betont der Diplom-Pädagoge. Gerade durch die Veränderungen der Mobilität und den Umbau der Industrie sei eine Partei wie die SPD wichtig, die sich darum kümmere, dass die Veränderungen gerecht zugingen. "Die Aufgabe der SPD ist wichtiger denn je, auch wenn die Lage nicht einfach ist."

Ist die Parteispitze nicht mehr ins Kabinett eingebunden, dürfte es ihr auch leichter fallen, deutlicher Kritik etwa an der CDU zu üben. Die SPD könne dadurch gewinnen, "Ecken und Kanten" zu zeigen, meint Dulig. Eine Ämterteilung könne helfen. Seinen eigenen Politikstil bezeichnet Dulig so: "Ich bin nicht der Krawallmacher, ich versuche Lösungen zu finden und zu moderieren."

Der Vater von sechs Kindern ist bekannt für ungewöhnliche Aktionen - sucht immer wieder die Nähe zum Bürger. Er zog vor der Coronakrise mit seinem Küchentisch durchs Land und packte "undercover" an als Dachdecker, Pfleger oder Bergmann. Als er 2009 im Alter von 35 Jahren an die Spitze der sächsischen SPD kam, prägte er den Slogan "Wegen Umbau geöffnet". Nun dürfte die Erneuerung der Sozialdemokraten weitergehen - ab Herbst dann ohne Dulig als Landesvorsitzenden.

Martin Dulig hat im neuem Podcast Politik in Sachsen kürzlich auch über seinen Rückzug als SPD-Chef in Sachsen gesprochen. Hier können Sie das Gespräch hören: