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Kretschmer: Deutschland soll im Ukraine-Krieg vermitteln

Sachsens Regierungschef fordert einen raschen Waffenstillstand in der Ukraine. Und er warnt vor Engpässen bei der Energieversorgung. Beobachtungen nach der letzten Kabinettssitzung vor der Sommerpause.

Von Thilo Alexe
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Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) sagt, er habe eine Minderheitenmeinung.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) sagt, er habe eine Minderheitenmeinung. © dpa/Robert Michael

Michael Kretschmer legt die Hände an den Fingerspitzen zusammen. Er schaut auf dieses Dreieck, dann nach oben. Sachsens Ministerpräsident, der sich nach der letzten Kabinettssitzung vor der Sommerpause in einer Fragerunde Journalisten stellt, ergründet ausgiebig die Energiekrise und den Krieg in der Ukraine. Oft ist von Naturwissenschaften die Rede, von Deindustrialisierung, dann vom „Einfrieren“ des Konflikts. Kretschmer atmet durch, manchmal ballt er die Faust. Er weiß, es ist kompliziert. Doch offenbar gefällt ihm seine Rolle auch.

Seine Rolle? Sie ist eine Mischung aus Mahner, Analytiker und Solitär. Er selbst sagt über seine Position zum Krieg: „Ich weiß, dass das eine Minderheitenmeinung ist.“ Kurz gefasst, will Kretschmer eine diplomatische Lösung für den blutigen Konflikt: „Er ist ein Verbrechen, ein Verbrechen von einer Gruppe von KGB-Leuten, Oligarchen, Kriminellen um den Präsidenten Putin, der diesen Krieg vom Zaun gebrochen hat“. Die souveräne Ukraine durchlebe ein „Trauma“.

Doch es bleibt nicht bei der Verurteilung. Der Regierungschef geht davon aus, dass Deutschland mittelfristig, vielleicht für fünf Jahre, weiterhin russisches Gas braucht. Das „Kartenhaus“, gebaut aus Atomausstieg und Verzicht auf fossile Energien, sei gerade zusammengebrochen. Der Ministerpräsident versucht zudem, die Perspektive anderer Länder in den Fokus zu rücken. Er warnt vor einem weltweiten Chaos, in das Afrika und der globale Süden wegen ausbleibender Getreidelieferungen zu stürzen drohen. Deutschland müsse mit Frankreich vermitteln.

Kretschmer und die Sorgen sächsischer Handwerker

Kretschmer – Stichwort Minderheitenmeinung – ist bewusst, dass diese Position in der Bundes-CDU, als deren Vizechef er amtiert, keine Mehrheit findet. Die Partei drängt auf Waffenlieferungen für die Ukraine, wodurch Russland zurückgedrängt werden soll. Unterstützung kommt für ihn zudem weder von der FDP, mit der er in Sachsen gern wieder koalieren würde, noch von den aktuellen Partnern SPD und Grünen. Aber: In der sächsischen Bevölkerung sieht das womöglich anders aus.

Der Ministerpräsident verweist etwa auf sorgenvolle Schreiben aus der Kreishandwerkerschaft, die sich von steigenden Energiepreisen bedroht sieht. Auch die Landratswahl, bei der die sächsische Union ihre Vormachtstellung verteidigte und die AfD trotz zweistelliger Ergebnisse leer ausging, dürfte der CDU-Landeschef als Bestätigung empfinden. Er hält es für falsch, den Krieg auf dem Schlachtfeld zu entscheiden. Nötig sei ein rascher Waffenstillstand – für Kretschmer nicht gleichbedeutend mit einem Abtreten ukrainischer Gebiete oder einer Unterwerfung. Bei der Frage, was er baltischen Ländern oder Polen sage, bekräftigt der Ministerpräsident seine Forderung nach einem Raketenschutzschirm.

Das Verhältnis zu Russland, es ist für Kretschmer zu einer Art Schlüsselthema geworden. Er spricht von moralischen Fragen und räumt ein, auch andere Abwägungen treffen zu können. „Es gibt keine optimale Variante“, sagt er dazu. Auffällig ist, wie düster seine Prognosen in Teilen sind. Das Wort Chaos kommt mehrfach vor, wie auch Berechnungen zu drohenden Energiekosten im dreistelligen Milliardenvolumen, die Deutschland nicht mehr aufbringen könne. Das Vertrauen in den Staat sieht Kretschmer schwinden, falls Menschen frieren und Maschinen stillstehen.

An anderer Stelle sagt der 47-Jährige einen Satz, den selbst die von ihm bevorzugt kritisierten Grünen gerne hören: „Wir wollen nicht klimaneutral werden, wir müssen klimaneutral werden, weil wir sonst auf diesem Kontinent nicht mehr leben können.“ Auch dieser Passus reiht sich ein in Kretschmers Strategie. Er gibt sich als jemand, der vor Gefahren eindringlich warnt – und sich damit auch ein Stück weit als jemand profilieren will, der Lösungen parat hat: „Wir haben heute noch die Möglichkeit, die Dinge zu korrigieren.“

Kretschmer will weiter im Gespräch mit Russland bleiben

Für Kretschmer bedeutet das, mit Russland weiter im Gespräch zu bleiben und von dort Roststoffe zu beziehen. Den Umbau zur Versorgung mit erneuerbaren Energien will er unter anderem vorantreiben mit der Strategie „Wind über Wald“ und Windräder auf von Borkenkäfern geschädigten sowie ehemaligen Tagebau-Flächen installieren. Doch Kretschmer betont: Auch Erneuerbare müssen die Grundlast stemmen. Der CDU-Vize hat Zweifel. Zur Unterstützung will er die Laufzeit von drei oder vier Atomkraftwerken verlängern.

Die Folgen des Ukraine-Kriegs dominieren die rund eineinhalbstündige Pressekonferenz. Zum Thema Corona sagt Kretschmer, ihm steckten Auseinandersetzungen aus dem vergangenen Jahr noch „in den Knochen“. Mittlerweile habe der Bund das Thema an sich gezogen. Lob gibt es für den mit SPD und Grünen ausgehandelten Etatentwurf. Kretschmer plädiert für eine allgemeine Dienstpflicht. Zudem will er nach der Sommerpause eine Fachkräftestrategie vorlegen: „Dieses Land braucht qualifizierte Zuwanderung.“