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Hausärztin auf dem Land: "Wir sind wie eine kleine Notaufnahme hier"

Kerstin Gatzemeier hat als Ärztin in einer Klinik in Meißen gearbeitet. Eine eigene Praxis aufzumachen war für sie lange unvorstellbar. Was sie nun an ihrer Arbeit als Hausärztin schätzt und was die größten Herausforderungen sind.

Von Verena Belzer
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Hausärztin Kerstin Gatzemeier (rechts) mit ihrem Team in ihrer Praxis in Großerkmannsdorf: Anne Heyne (von links), Jeane Oettel und Diana Bürger.
Hausärztin Kerstin Gatzemeier (rechts) mit ihrem Team in ihrer Praxis in Großerkmannsdorf: Anne Heyne (von links), Jeane Oettel und Diana Bürger. © Sven Ellger

Großerkmannsdorf. Als sie noch Ärztin in der Klinik in Meißen war, dachte Kerstin Gatzemeier nicht im Traum daran, einmal eine eigene Praxis aufzumachen. "Das war lange überhaupt kein Thema", sagt sie. "Doch die enorme Dienstbelastung in der Klinik mit nur zwei oder drei freien Tagen im Monat hat mich dann mit 40 Jahren dazu veranlasst, mich doch mal nach Alternativen umzuschauen."

Die Alternative lautete: eine Praxis auf dem Land, genauer gesagt in Großerkmannsdorf. Das passte insofern gut, da sie mit ihrem Mann nach Ullersdorf gezogen war. 15 Jahre ist das nun her. "Und ich muss sagen, mein Bild des Hausarztberufs hat sich komplett gewandelt. Es ist eben doch viel komplexer, als man das als Ärztin in der Klinik meint."

Zu Stoßzeiten bis zu 60 Patienten an einem Vormittag

Denn dort herrsche vielerorts noch die Meinung: Hausarzt - das sei ja nur Schnupfen, Husten, Heiserkeit. Weit gefehlt. "Das Herausfordernde hier ist, dass man den ganzen Tag über viel und schnell entscheiden muss. Und das ohne viele technische Geräte. Mir kommt da zugute, dass ich auf meine Erfahrung zurückgreifen kann."

Zu Stoßzeiten kommen an einem Vormittag schon mal 60 Patienten zu ihr. "Da bin ich froh, dass ich vormittags im Team noch eine zweite Ärztin habe", sagt Kerstin Gatzemeier.

Zwei Drittel der Patienten sind bestellt - der Rest hat akute Beschwerden und braucht ärztlichen Rat. "Chronisch Kranke, beispielsweise Patienten mit Diabetes oder Bluthochdruck, kommen regelmäßig zu mir zur Kontrolle", erklärt die Ärztin. Andere wiederum haben schon tagelang einen Schleier auf den Augen und kommen dann viel zu spät zur ihr. "In diesem Fall war das eine Netzhautablösung. Der Patient musste sofort ins Krankenhaus gebracht werden." Bei anderen Patienten konnte Kerstin Gatzemeier dank ihres Ultraschallgeräts frühzeitig Nierentumore erkennen.

"Die Bandbreite macht es aus. Das ist das Spannende an dem Beruf als Hausärztin. Die Menschen umfassend beraten und wenn erforderlich zu Fachärzten weitervermitteln." Abgesehen davon sei der Kontakt zu den Patienten sehr bereichernd. "Viele Patienten kenne ich ja jetzt schon seit 15 Jahren."

Sie habe ihr Bild vom Hausarzt grundlegend revidieren müssen, gibt Kerstin Gatzemeier unumwunden zu. "Ein Hausarzt muss eigentlich ein umfassenderes Wissen haben als die Spezialisten in den Kliniken", sagt sie.

Die Arbeitsbelastung ist hoch

Ihre Patienten kommen aus Radeberg und den Ortsteilen, aber auch teilweise aus Weißig oder Bühlau. Zusätzlich ist Kerstin Gatzemeier, die aus Thüringen stammt, auch immer an einem Nachmittag im Radeberger Pflegeheim unterwegs, um dort rund 50 Patienten zu versorgen. So kommen in einem Quartal etwa 1.200 Patienten zusammen, denen die Ärztin hilft.

Drei Mal im Quartal hat Kerstin Gatzemeier außerdem nachts oder an den Wochenenden Bereitschaftsdienst - dann ist sie auch schon mal bis nach Hoyerswerda unterwegs. "Da kommen an manchen Diensten 350 Kilometer zusammen", erzählt sie. Die Ärztin wird dann von einem Fahrer zu den Patienten gebracht, die Dringlichkeit wird im Vorfeld vom ärztlichen Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigung eingestuft. Diesen erreicht man immer unter der Telefonnummer 116 117.

"Die Arbeitsbelastung ist schon hoch", sagt Kerstin Gatzemeier. "Aber ich halte es für überschaubar. Und es nicht so schlimm wie in der Klinik."

Wartezeiten zwischen einer halben und einer Stunde

Was für sie ebenfalls essentiell wichtig ist, das ist eine gut organisierte Praxis. "Ich habe zum Glück ein tolles Team, das medizinisch versiert ist und mitdenkt. Das macht enorm viel aus." Ihre beiden medizinischen Fachangestellten würden schon bei der Anmeldung priorisieren. "Da sind wir hier wie eine kleine Notaufnahme", sagt Gatzemeier. "Die beiden können auch ein EKG schreiben, nehmen Blut ab oder impfen."

Sie selbst sieht in ihrem Besprechungszimmer anhand einer digitalen Liste, wie sich das Wartezimmer füllt. Hinter den einzelnen Patienten sind grüne, gelbe oder rote Punkte - je nachdem, wie lange die Frau oder der Mann schon wartet.

"Zum Glück kommt der rote Punkt nie vor", sagt Kerstin Gatzemeier. "Der bedeutet nämlich, dass jemand schon mindestens eineinhalb Stunden wartet." Dennoch sei klar: "Hektik muss man vermeiden, egal, wie viel gerade los ist." Gemeinsam mit ihrem Team arbeite sie zielorientiert und gut organisiert.

Dennoch komme es bei einem vollen Wartezimmer schon vor, dass sich die Patienten zwischen einer halben und einer Stunde gedulden müssten, bis sie an der Reihe sind.

Mehr Patienten mit psychischen Problemen

Kerstin Gatzemeiers Zeit pro Patient ist begrenzt - und doch muss und will sie sich für jeden einzelnen genauso viel Zeit wie nötig nehmen. Dabei hat sie in den vergangenen Jahren beobachtet, dass mehr Patienten mit psychischen Problemen zu ihr in die Praxis kommen.

"Ich nehme da einen Trend wahr", sagt die Ärztin. "Die Patienten berichten von gestiegenen Belastungen im Alltag und in der Arbeit. Diese Frauen und Männer zu behandeln ist für mich deutlich zeitaufwendiger." Sie müsse dann entscheiden, wie es mit den Patienten weitergeht. Ob sie sich beispielsweise einem Facharzt vorstellen sollten.

"Früher war das nicht so ausgeprägt", erinnert sie sich. Die Zunahme von psychischen Erkrankungen sei für sie ein Zeichen der Zeit, ein gesellschaftliches Symptom. "Viele Menschen können ja überhaupt nicht mehr miteinander kommunizieren, das bedaure ich."

Die Übernahme einer Praxis ist auch eine finanzielle Herausforderung

Drei Stunden pro Woche ist Kerstin Gatzemeier in etwa mit bürokratischen Aufgaben beschäftigt. Was beispielsweise relativ aufwendig sei, sind Anträge für Reha-Maßnahmen oder Kuren auszufüllen. "Aber am Ende ist das ja auch Arbeit für den Patienten", sagt sie. "Man kann das durchaus bewältigen."

Ihre Praxis wird Kerstin Gatzemeier sicherlich noch ein paar Jahre betreiben. Und dann? Macht sie sich Sorgen um eine Nachfolgelösung, wenn es soweit ist? "Jein", sagt sie. "Die Nähe zu Dresden ist natürlich ein Vorteil. Andererseits ist die Übernahme einer Praxis auch eine finanzielle Herausforderung, die man erst einmal stemmen muss. Das schreckt so manchen ab."