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Wie Traditionshandwerk aus Radebeul um Nachwuchs wirbt

Die Dachdecker GmbH in Radebeul kann auf eine 65-jährige Geschichte zurückblicken. Um junge Leute für das Handwerk zu begeistern, gab es jetzt eine Premiere. Dabei spielten Herzen eine Rolle.

Von Silvio Kuhnert
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Arbeit am Herzen: Dachdecker Rüdiger Mehnert greift den Vorschul- und Hortkindern aus dem Christlichen Kinderhaus "Guter Hirte" unter die Arme, als sie mit einem Hammer eine Schieferplatte zu einer Herzform behauen.
Arbeit am Herzen: Dachdecker Rüdiger Mehnert greift den Vorschul- und Hortkindern aus dem Christlichen Kinderhaus "Guter Hirte" unter die Arme, als sie mit einem Hammer eine Schieferplatte zu einer Herzform behauen. © Norbert Millauer

Radebeul. Handwerker zeigen Herz. Ralf Burgold und Rüdiger Mehnert von der Dachdecker GmbH in Radebeul nehmen das ganz wörtlich. Schwarze Schiefersteine behauen sie so, dass am Ende aus einem Rechteck eine Herzform wird. Für die Lehrlinge gehört diese "Bastelarbeit" zur Ausbildung. "Sie lernen so die Tätigkeit mit dem Hammer", berichtet Ralf Burgold, der als Geschäftsführer den Handwerksbetrieb an der Wilhelm-Busch-Straße leitet. Im kommenden Mai kann der Betrieb auf eine 65-jährige Geschichte zurückblicken.

Mit Herzen lassen sich auch Kinder erobern. Ganz gespannt und aufmerksam schaut ein Dutzend Vorschul- und Hortkinder vom Christlichen Kinderhaus „Guter Hirte“ an diesem Dienstagvormittag den beiden Dachdeckern über die Schulter. "Es gibt den Schieferhammer für Rechts- und Linkshänder", lernen sie.

Zum Behauen der Schieferplatte wird zudem eine Haubrücke benötigt. Über vier Beine liegt ein Holzbalken. In diesem steckt die sogenannte Haubrücke. Das metallene Teil gleicht einem "T", nur ist der obere Bestandteil gebogen. Das Angebot, mit dem Hammer die Schieferplatte zu einem Herzen zu bearbeiten, schlagen die Mädchen und Jungen nicht aus. Rüdiger Mehnert hält ihnen unterstützend die Hand und führt die Schieferplatte über die Kante der Haubrücke.

1959 als PGH gegründet

Schiefer ist als Dachabdeckung mehr im Gebirge verbreitet. Hier im Elbtal überwiegen Dachziegel wie der Biberschwanz. Wo zwei Dachflächen aufeinandertreffen und einen Winkel bilden, müssen die Ziegel über Eck verlegt werden. "Das ist eine gewisse Puzzelei", sagt Rüdiger Mehnert in der Lehrwerkstatt. Dort übt gerade Azubi Jason an einer Kehle. Die Lehrzeit für den 53-jährigen Mehnert liegt schon ein paar Jahre zurück. 1987 fing er mit der Ausbildung als Dachdecker in dem Betrieb an und hielt diesem seither die Treue.

Für Begeisterung sorgen virtuelle Brillen. Mit diesen bekommt der Träger einen Einblick in den Berufsalltag eines Dachdeckers.
Für Begeisterung sorgen virtuelle Brillen. Mit diesen bekommt der Träger einen Einblick in den Berufsalltag eines Dachdeckers. © Norbert Millauer

Damals hieß die Dachdecker GmbH noch Produktionsgenossenschaft des Handwerks (PGH) Empor. 1959 gab es zehn Gründungsmitglieder. Die PGH saß in den Anfangsjahren in Radebeul-Ost, in der Nähe, wo jetzt der Lidl-Supermarkt ist. In den 1970er-Jahren erfolgte der Umzug an den jetzigen Standort im Radebeuler Westteil der Stadt. Bei einer Unternehmensgeschichte von über 60 Jahren standen die Handwerker auf einigen bekannten Dächern. So arbeiteten sie auf der Semperoper, haben einen Teil des Residenzschlosses in Dresden eingedeckt und schon zu DDR-Zeiten die komplette Dacheindeckung des Moritzburger Jagdschlosses erneuert.

Auch in der Lößnitzstadt hinterließen sie sichtbare Spuren ihrer Qualitätsarbeit. Wasserturm, Bootshaus, Pavillon gegenüber dem Rathaus oder das Toilettenhäuschen auf dem Spielplatz am Karl-May-Hain stehen auf der langen Referenzliste der Dachdecker GmbH. Beim letztgenannten Beispiel handelt es sich um einen historischen Weinpavillon mit einer besonderen Eindeckung - eine altdeutsche Doppeldeckung mit Rohschiefer, wie es sie kaum noch gibt.

Talsohle der Baukrise noch nicht erreicht

Die Geschichte des Unternehmens war wechselhaft, mit Aufs und Abs. Seit 2018 lenkt Ralf Burgold die Geschicke als geschäftsführender Gesellschafter. Er übernahm die Firmenleitung von seinem Vater Klaus Burgold, der dem Betrieb seit der Wende vorstand. 1997 und 1998 war die Dachdecker GmbH gar von Insolvenz bedroht. Wie viele andere Baufirmen zu jener Zeit litten auch die Radebeuler Handwerker unter der schlechten Zahlungsmoral vieler Kunden, die ihre wirtschaftliche Existenz bedrohte.

Momentan steckt die Bauindustrie in der Krise. Immer weniger Wohnungen werden errichtet. "Die Talsohle ist noch nicht erreicht", sagt Burgold und prognostiziert, dass die Bauwirtschaft noch die nächsten zwei bis drei Jahre sich darin befinden werde, bis es wieder aufwärts geht. Den Kopf in den Sand stecken die Radebeuler Dachdecker deshalb nicht. Im Gegenteil: Sie bringen Solaranlagen auf Dächer und arbeiten hier mit den Stadtwerken Elbtal eng zusammen. "Das läuft ganz gut", berichtet Burgold.

Seit er die Geschäfte führt, legt er einen Schwerpunkt auf die Nachwuchsgewinnung. "Hier haben wir zehn Jahre verschlafen und nicht ausgebildet", sagt Burgold, der 38 Mitarbeiter zählt, darunter elf Azubis. Neun von ihnen stehen auf dem Dach, zwei lernen Industriekauffrau im Büro. Auch dieses Jahr möchte er drei bis vier Lehrlinge einstellen. Wenn mindestens einer nach der Ausbildung im Betrieb verbleibt, zeigt er sich zufrieden. Andere junge Gesellen zieht es auf die Walz oder wollen eine eigene Firma gründen. Nicht jeder, der eine Ausbildung zum Dachdecker beginnt, verbleibt danach in dem Handwerk, sondern schlägt einen anderen Berufsweg ein.

Kita-Wettbewerb des Handwerks

Um junge Leute für das Handwerk zu begeistern, geht Burgold in Schulen und in Sportvereine, zu Ausbildungsmessen und öffnet die Türen seines Betriebes zu Aktionswochen wie "Schau rein". Auch virtuell wird um Nachwuchs geworben. Der Dachdeckermeister verfügt über entsprechende Brillen. Setzt man sich diese auf, bekommt man einen Einblick in den Berufsalltag eines Dachdeckers. Die virtuellen Geräte stießen auf Begeisterung bei den jungen Besuchern aus der Kita. Für Burgold war dieser Vormittag eine Premiere. Zum ersten Mal stellten er und Mehnert ihren Beruf Vorschulkindern vor.

Mit einem Besuch beim örtlichen Dachdecker beteiligt sich das Christliche Kinderhaus "Guter Hirte" der Kinderarche Sachsen am Kita-Wettbewerb des Handwerks "Kleine Hände, große Zukunft". Mit den Eindrücken ihres Besuchs werden die Kinder dann ein großes Poster gestalten und einreichen. Die Kitas mit den besten Plakaten gewinnen als Landessieger je 500 Euro Preisgeld – für ein Kita-Fest oder einen spannenden Projekttag zum Thema Handwerk.

Die einzelnen Berufe und was sich dahinter verbirgt, sind ein wichtiges Thema im Kinderhaus. Mal kommt eine Mutter oder ein Vater vorbei und stellt den Mädchen ihre Arbeit vor, mal unternehmen die Kinder Ausflüge, um verschiedene Berufe kennenzulernen. Und auch an einem ganz normalen Kita-Tag kann man viele Professionen im Einsatz beobachten: Wasserversorger und Baufacharbeiter im Sandkasten mit der Pumpe, Forstarbeiter und Naturforscher in Wald und Feld, Maler und Mediendesigner im Atelier.

Auch die Dachdecker haben Eindruck gemacht. Auf die Frage, wer denn diesen Beruf einmal ergreifen möchte, hoben rund die Hälfte der jungen Besucher die Hand, vor allem Mädchen. Das lag sicher nicht nur an dem Schieferherz, von dem jeder eins mit nach Hause nehmen konnte.