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"Letzte Generation" am Lößnitzgymnasium: "Schüler müssten lernen, Demos zu organisieren"

Zwei Vertreterinnen der "Letzten Generation" diskutieren in Radebeul mit Politikern, Schülern und Lehrern darüber, wie weit politische Bildung gehen sollte. Die Meinungen gehen weit auseinander.

Von Lucy Krille
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Was heißt politische Bildung und wie weit sollte sie gehen? Darüber diskutierten unter anderem Grünen-Stadtrat Oliver von Gregory sowie Carla Rochel und Amélie Schütte von der "Letzten Generation" am Lößnitzgymnasium.
Was heißt politische Bildung und wie weit sollte sie gehen? Darüber diskutierten unter anderem Grünen-Stadtrat Oliver von Gregory sowie Carla Rochel und Amélie Schütte von der "Letzten Generation" am Lößnitzgymnasium. © Daniel Schäfer

Radebeul. Es ist alles hergerichtet für eine spannende Diskussion am Lößnitzgymnasium in Radebeul. In der Aula haben Carla Rochel und Amélie Schütte von der "Letzten Generation" Platz genommen. Die 2021 geformte Protestbewegung fordert die Regierung durch zivilen Ungehorsam auf, ihre Klimaziele einzuhalten. Immer wieder macht sie unter anderem durch Straßenblockaden auf sich aufmerksam.

Daneben sitzt Sven Eppinger, der vergangene Woche für die CDU im Radebeuler Wahlkreis zum Kandidaten für die Landtagswahl 2024 aufgestellt wurde. Der Radebeuler Hautarzt wird dem erzkonservativen Flügel der Partei zugeordnet. Er ist Vorsitzender der Heimatunion, die vor allem die Politik der Grünen immer wieder scharf angreift. Kontroverse Meinungen scheinen vorprogrammiert.

Doch an diesem Nachmittag soll es weniger um politische Inhalte, sondern um die Frage gehen, was politische Bildung bedeutet und was sie darf. Dazu hat Lehrer Peter Müller auch den Grünen-Stadtrat Oliver von Gregory eingeladen. Dazwischen sitzt die frühere Lehrerin Heike Nothnagel, die bei der Landeszentrale für politische Bildung arbeitet. Moderator Müller lehrt Gesellschaft, Recht und Wirtschaft (GRW) am Lößnitzgymnasium und sitzt für die CDU-Fraktion im Radebeuler Stadtrat.

Heike Nothnagel (l.) und Sven Eppinger (m.) diskutieren mit den anderen Gästen und dem Publikum zur politischen Bildung an Schulen. GRW-Lehrer Peter Müller (r.) vom Radebeuler Lößnitzgymnasium moderiert die Gesprächsrunde.
Heike Nothnagel (l.) und Sven Eppinger (m.) diskutieren mit den anderen Gästen und dem Publikum zur politischen Bildung an Schulen. GRW-Lehrer Peter Müller (r.) vom Radebeuler Lößnitzgymnasium moderiert die Gesprächsrunde. © Daniel Schäfer

Radebeuler Schülerinnen wurden durch Pegida-Demos politisch aktiv

Rochel spürt "ein bisschen Melancholie", denn sie und Schütte haben vor drei Jahren ihr Abitur am Lößnitzgymnasium gemacht. Rochel begann danach, Politikwissenschaft zu studieren, unterbrach das aber nach anderthalb Jahren. Heute ist sie Pressesprecherin der "Letzten Generation" und lebt in Leipzig. Auch Schütte ist Teil der Protestbewegung, studiert nebenbei "halbherzig" Soziale Arbeit in Freiburg.

Vor den Augen von Jugendlichen, Lehrkräften, Eltern und Großeltern sprechen sie über ihre Schulzeit, die sie "geprägt" habe. Dennoch ging ihnen die politische Bildung nicht weit genug. "Ich hatte wenig im Unterricht darüber gelernt, wie ich mich über das Wählen hinaus politisch einbringen kann", sagt Schütte. Den Anstoß gaben ihr die Pegida-Demos, denen sie etwas entgegensetzen wollte. Auch Rochel erzählt davon, wie sie mit dem Rad nach Dresden gefahren ist. "Ich wollte dem Bild, dass in Sachsen nur noch Nazis sind, etwas entgegensetzen." Dabei habe sie auch mit Pegida-Anhängern diskutiert.

Gut so, findet Eppinger. Mehrmals wiederholt er, miteinander, statt übereinander reden zu müssen. Damit gibt er seinem Stadtratskollegen von Gregory eine Steilvorlage. Er wirft Eppinger vor, die Grünen als linksradikal bezeichnet zu haben. Doch an Parteigeplänkel soll sich an diesem Nachmittag keiner aufhalten. Außer einer Diskussion zwischen Schütte ("Klima vereint alle Ängste") und Eppinger ("Migration ist die Mutter aller Probleme") bleibt es weitgehend unpolitisch. Müller führt die Diskussionen zur eigentlichen Frage zurück: Was ist, und was darf politische Bildung?

Die Diskussionen in der Aula des Lößnitzgymnasiums drehen sich vor allem um Bildung, werden aber auch teilweise politisch.
Die Diskussionen in der Aula des Lößnitzgymnasiums drehen sich vor allem um Bildung, werden aber auch teilweise politisch. © Daniel Schäfer

Sächsische Schulen scheuen sich vor Debatten mit Politikern

Für von Gregory fängt dies schon bei der Wahl des Klassensprechers an. Er widerspricht der Forderung von Rochel, in Schulen zu lehren, wie man eine Demo organisiert. "Das lernt man selbst durch Engagement", sagt er. Eppinger geht noch weiter: "Politisches Interesse muss intrinsisch sein." Es gebe genügend Angebote dafür, außerdem würden auch Gespräche am Kaffeetisch die Meinungsbildung stärken.

Das sieht Heike Nothnagel anders. Sie ermuntert die Lehrkräfte, mehr Projekte zu entwickeln. Auch Schüler könnten Themen einbringen, die sie interessieren, beispielsweise den Nahost-Konflikt. Der Lehrplan schreibe da weniger vor, als viele denken. "Aber die Angst, öffentliche Debatten in Schulen zu führen, sitzt Schulleitern im Nacken", erzählt sie aus ihren Erfahrungen. So führt etwa der Umgang mit der AfD zum Zwiespalt, der sich auch am Lößnitzgymnasium zeigt. Während eine junge Lehrerin im Saal sich dafür ausspricht, alle Seiten einzubeziehen, um der Partei inhaltlich zu begegnen, schließt Müller Gesprächsrunden aus, in denen AfD-Mitglieder sitzen.

Eppinger stellt die Notwendigkeit solcher Formate infrage. "Viel wichtiger ist eine fachliche Bildung", sagt er. Von Gregory findet eine Wertevermittlung zusätzlich zur Wissensvermittlung dagegen wichtig.

Politische Bildung schon im Kindergarten?

Neben der Frage, wie weit politische Bildung gehen soll, ging es auch darum, wann diese beginnt. "Setzen wir da zu spät an?", fragt Leonhard Weist, der in der Schülervertretung aktiv ist. Schütte stimmt zu. "Es ist auch in der Grundschule schon wichtig zu lernen, wie man diskutiert", sagt sie. Selbst im Kindergarten, so Nothnagel, sei politische Bildung im kleinen Rahmen schon wichtig. "Kinder, die gegängelt werden, werden keine Demokarten, das werden Nicker", sagt sie. Ein Schüler, der sich mehrfach zu Wort meldet, setzt entgegen: "Man sollte kleine Kinder in Ruhe lassen zu Themen, wo sie noch keine Vorstellung zu haben."

Wie politische Bildung im jungen Alter konkret aussehen könnte, bleibt oft unklar an diesem Abend. Vielleicht auch, weil sich lange nur zwei Schüler an der Diskussion beteiligen. Eine Erfahrung, die Müller auch im Unterricht macht. "Es ist schwierig, einen offenen Unterricht zu machen und die Schüler zu beteiligen, weil viele sich gern berieseln lassen", sagt der Lehrer. Eine Schülerin moniert daraufhin abwertende Kommentare, auch von Lehrkräften. Sie fordert eine bessere Gesprächskultur.