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Wenn es der Schleichverkehr zu eilig hat

Wegen einer Baustelle ist der Verkehr in einem Riesaer Wohngebiet sprunghaft gestiegen. Das Ordnungsamt blitzt - und erlebt Erstaunliches.

Von Christoph Scharf
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An der Moritzer Straße in Poppitz hat das Ordnungsamt jetzt zum dritten Mal geblitzt. Tempo 30 sind erlaubt. Auf dem Schleichweg um eine Baustelle fahren aber viele schneller.
An der Moritzer Straße in Poppitz hat das Ordnungsamt jetzt zum dritten Mal geblitzt. Tempo 30 sind erlaubt. Auf dem Schleichweg um eine Baustelle fahren aber viele schneller. © Sebastian Schultz

Riesa. Da kann keiner sagen, er hat es nicht gewusst: Erst kommt ein "Freiwillig 30"-Schild, dann eine amtliche 30, dann das Warnschild "Achtung Kinder". Und erst nach diesen drei Tafeln versteckt sich der Blitzer am Straßenrand. Normalerweise braucht es hier an der Moritzer Straße ganz am Riesaer Stadtrand gar keine Tempoüberwachung.

Felder rechts und links, Kleingartenanlagen, dann ein Wohngebiet mit Einfamilienhäusern: Hier hält sich der Verkehr in Grenzen. Eigentlich. Denn seit Riesa die Poppitzer Landstraße wegen einer Brückenbaustelle dichtmachte, rollt der Schleichverkehr über die Nebenstraßen. Die Baustelle blockiert eine kurze Verbindung nach Meißen, das merken die Anwohner nun im Berufsverkehr.

"Gefühlt hat sich der Verkehr hier verzehnfacht", sagt Sebastian Fleck. Der Leiter des Riesaer Ordnungsamts steht neben einer Reihe Altglascontainer und schaut zu, wie der Verkehr an diesem Donnerstag an der Messstelle vorbeirollt. Später wird er genaue Zahlen haben: Innerhalb von vier Stunden fahren an dieser Stelle rund 1.100 Autos durch. Private Pkws, Firmentransporter, auch mal ein Streifenwagen der Polizei.

Der Blitzer am Straßenrand, trotz seines Tarnnetzes um das Stativ recht augenfällig, zählt sie alle - auch wenn sie vorschriftsmäßig 30 fahren. Die meisten Pkws sind ordnungsgemäß unterwegs, aber bei Weitem nicht alle.

Das hatten Anwohner schon vermutet, die sich nach Einrichtung der Baustelle auf der Poppitzer Landstraße über den Schleichverkehr beschwerten: Der Verkehr in Poppitz sei sprunghaft gestiegen. Und gerast werde auch.

Beide Angaben sollten sich bald bestätigen. "Die Menge der Verstöße hat mich überrascht", sagt Sebastian Fleck. 120 Fotos in fünf Stunden gab es bei der ersten Messung. Zwei Wochen später, bei der zweiten Messung, war es auch nicht viel besser. Den Schleichverkehr durchs Wohngebiet unterbinden darf die Stadt nicht - es sind öffentliche Straßen, die Ortskundige oder Navinutzer auch dann finden, wenn die Umleitung ganz woanders ausgeschildert ist.

Und darum gibt es an diesem Donnerstag nun die dritte Messung, wieder zwei Wochen später. Obwohl der Blitzer groß wie ein Röhrenfernseher ist - der "Traffitop" von Jenoptik hat sogar mal einen Designpreis gewonnen - löst das Gerät in unschöner Regelmäßigkeit aus. 31 Verstöße sind es bis halb zwei, da ist die Technik seit zwei Stunden in Betrieb. "Wenn es blitzt, ist es zum Bremsen zu spät", sagt der Messbedienstete, der regelmäßig mit dem Gerät unterwegs ist. Was kaum ein Autofahrer wissen dürfte: Gemessen wird bereits 60 bis 30 Meter vor dem Gerät, das Foto kommt erst zum Abschluss.

Die Besonderheit führt dazu, dass es mit Autofahrern oft Diskussionen gibt. "Die beschweren sich, dass wir das Gerät so kurz vor der Aufhebung eines 30-Abschnitts aufbauen, etwa vor Schulen. Dabei ist an dem Punkt die Messung längst vorbei", sagt Amtsleiter Fleck.

Kein Durchkommen: So sah es an der Brücke Poppitzer Landstraße Mitte Mai aus. Gebaut wird dort laut Plan noch bis zum 25. Oktober.
Kein Durchkommen: So sah es an der Brücke Poppitzer Landstraße Mitte Mai aus. Gebaut wird dort laut Plan noch bis zum 25. Oktober. © Sebastian Schultz

Hier am Schleichweg Moritzer Straße gibt es zwar keine Schule - aber einen Spielplatz auf der einen Straßenseite, einen Bolzplatz schräg gegenüber auf der anderen Seite, eine Kleingartenanlage - und nirgendwo einen Fußweg. Da es gerade nieselt, ist kaum ein Fußgänger zu sehen. "Aber bei schönem Wetter kommen die Kinder schon mal gucken, was wir hier machen", sagt der Messbedienstete. Und Kleingärtner und Anwohner würden sich über die Kontrolle freuen.

Und die Autofahrer? Kommt das mal vor, dass ein Geblitzter bremst - und den Mitarbeiter zur Rede stellt? "Ja, das gibt es", sagt der Messbedienstete. Aggressiv reagiere kaum jemand, die meisten wollen wissen, wie schnell sie gefahren sind - und ob der Führerschein weg ist. Das geblitzte Tempo darf der Mann vom Ordnungsamt, anders als die Polizei, aber nicht sagen: Damit wäre der Autofahrer offiziell vom Ergebnis informiert - und seine Widerspruchsfrist finge an, abzulaufen. Da wartet man dann doch besser auf den Bescheid per Brief.

Sehr schnell reagieren dagegen die Autofahrer, die neue Blitzerstellen bei Facebook posten. "Das passiert meist schon beim Aufbau", sagt der Mitarbeiter. Das bringt ihn aber nicht aus der Fassung. Denn trotzdem würden noch Dutzende zu schnell fahren. Und es gehe ja auch nicht darum, abzukassieren - sondern vom Rasen an gefährlichen Stellen abzuhalten. Wirkt das? "Kurzfristig auf jeden Fall", sagt der Mitarbeiter. Wenn man an einer Stelle längere Zeit nicht kontrolliere, gingen die Verstöße beim nächsten Mal dann wieder nach oben.

Insgesamt 48 Stellen hat das Riesaer Ordnungsamt aktuell in seinem Katalog verzeichnet, ein Gerät schafft etwa zwei Messstellen am Tag - viel länger halten die Akkus nicht durch.

Und die Mitarbeiter sind ja nicht nur fürs Blitzen zuständig, sondern auch für Parkverstöße oder illegale Müllablagerungen. Aktuell leisten sie auch noch dem Landratsamt Amtshilfe: bei der Kontrolle, ob die verhängte Corona-Quarantäne eingehalten wird. "99,9 Prozent der Leute sind tatsächlich da, wenn man klingelt", sagt der Mitarbeiter. "Und die meisten freuen sich, dass mal jemand kommt und sich nach ihnen erkundigt." Es bleibt allerdings beim kurzen Gespräch durchs Fenster - dann gibt es noch eine Handreichung mit Ansprechpartnern in den Briefkasten.

Heute aber steht das Blitzen an der Schleichstrecke im Mittelpunkt. Am Ende der vierstündigen Schicht sind es 47 Verstöße. Der schnellste Autofahrer ist statt Tempo 30 glatte 70 km/h gefahren. Das bedeutet nach dem ADAC-Bußgeldrechner ein Bußgeld von 160 Euro, plus 28,50 Euro Gebühren, außerdem zwei Punkte und ein Monat Fahrverbot. Es wird wohl nicht die letzte Kontrolle dort gewesen sein.

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