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Warum viele Venezolaner in Riesa auf ein neues Leben hoffen

Mehr als 400 Menschen aus dem südamerikanischen Land Venezuela leben momentan im Landkreis Meißen. Sächsische.de hat fünf von ihnen getroffen.

Von Stefan Lehmann
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Von links: Antonio Villena, Lorelvis Zavala, Cleisy und Jose Leon Gonzalez und Lennaliz Fuenmayor stammen aus Venezuela und leben mittlerweile im Altkreis Riesa.
Von links: Antonio Villena, Lorelvis Zavala, Cleisy und Jose Leon Gonzalez und Lennaliz Fuenmayor stammen aus Venezuela und leben mittlerweile im Altkreis Riesa. © Sebastian Schultz

Riesa. Mit der deutschen Sprache klappt es schon ziemlich gut bei Antonio Villena. Name, Alter, Beruf - im Gespräch hat der 25-Jährige mit den kurzen schwarzen Haaren kaum Probleme. Demnächst will er seinen B2-Kurs ablegen - und schreibt schon Bewerbungen.

Er war vor gut zwei Jahren gemeinsam mit seiner Frau Lennaliz Fuenmayor nach Deutschland gekommen. "Es gab viele Gründe", sagt Antonio Villena. "Aber vor allem war meine Frau krank."

Die Versorgung in Venezuela sei schlecht, erklärt Lennaliz. "Wir hatten keine Medikamente, keine Krankenversicherung." Eine Behandlung sei extrem teuer, es gebe keine Möglichkeit, genug Geld zu verdienen. Seine Frau sei deshalb selbst mit 41 Grad Fieber daheim geblieben, so Antonio. "Es war unmöglich für uns, ins Krankenhaus zu kommen." Dabei ist das Paar gut ausgebildet, beide sind Wirtschaftsingenieure. "Wir wollten Venezuela verlassen - aber wohin?" In den Nachrichten hätten sie dann erfahren, dass Deutschland qualifizierte Fachkräfte dringend benötige. "Dann haben wir gedacht: Okay, das wäre eine gute Chance für uns!"

Nun lebt das Paar in Riesa - und hofft, bleiben zu können. Die Chancen dafür stehen momentan nicht besonders gut. Antonio Villena hat seine Ablehnung vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) bekommen. Er hat bereits Einspruch dagegen eingelegt - und bewirbt sich weiter.

Verein will Venezolanern in der Region helfen

"Wir haben eine humanitäre Krise in Venezuela", sagt Lorelvis Zavala. Sie war bereits 2017 nach Deutschland gekommen. Als aktives Mitglied der Oppositionspartei war sie verfolgt worden, floh zunächst nach Kolumbien - und wurde auch dort noch bedroht. "Erst in Deutschland habe ich das erste Mal seit Jahren ruhig schlafen können", erzählt sie.

Lorelvis Zavala hatte damals Glück, sie bekam zügig einen positiven Asylbescheid. Heute arbeitet sie bei einem Glashersteller in Oschatz. Sie hat gemeinsam mit anderen im Oktober 2023 den Verein "Venezolanos en Sajonia" gegründet, Venezolaner in Sachsen. Es gehe darum, spanischsprachige Geflüchtete beim Thema Asylrecht und Integration zu beraten. Dieser Informationsbedarf nimmt zu. In den vergangenen Monaten wurden zunehmend viele Menschen nach Venezuela abgeschoben. Schlimmstenfalls würden sie dort vom Flughafen direkt ins Gefängnis kommen, als Landesverräter, so Zavala.

Die Sicherheitslage im Land ist ein Problem. Venezuelas Hauptstadt Caracas nannte der Deutschlandfunk vor einigen Jahren "Die gefährlichste Stadt der Welt". Es geht darin unter anderem um die Colectivos, Paramilitärs mit Verbindungen zur Regierung, die etwa Schutzgeld eintreiben. Cleisy und Jose Leon Gonzalez deuten das in ihrer Fluchtgeschichte an. Das Paar, Mitte 30, kam erst im Oktober in Deutschland an. Er ist Maschinenbauingenieur, sie war Sicherheitsinspektorin in der Industrie. Weil eine benötigte Operation im Land einfach zu teuer wäre, seien sie nach Deutschland gekommen. "Ich habe gearbeitet und wollte dafür sparen", erklärt Jose Leon Gonzalez. Doch das sei nicht möglich gewesen: Jemand bekam Wind davon, habe der Familie Geld abpressen wollen.

Wegen der Zustände im Land hat die Linksfraktion im Sächsischen Landtag bereits einen Antrag gestellt, nicht mehr nach Venezuela abzuschieben. Mit dem gleichen Ziel planen venezolanische Geflüchtete am Mittwoch, 20. März, in Dresden eine Demonstration.

Eine Woche zuvor, in einem Raum der Katholischen Kirche Sankt Barbara in Riesa. Rund 40 Menschen aus Venezuela haben sich hier versammelt, überwiegend Frauen, die meisten unter 40. Vor der Gruppe spricht erst Lorelvis Zavala, anschließend der Landtagsabgeordnete Frank Richter (SPD). Grund ist die Abschiebung einer venezolanischen Familie aus Riesa. Es ist das erste Mal, dass auch eine Familie mit Kindern betroffen ist.

Den Pfarrer der Gemeinde Klaus-Michael Tschöpe nimmt das Schicksal der Familie immer noch mit. "Die Mutter war Lehrerin, der Vater Kraftfahrer. Die wären hier beide gebraucht worden", sagt er. Im Hort der Kinder hätten zuletzt immer noch ihre Fotos an der Wand gehangen, die Mitschüler wollten sie nicht vergessen. Tschöpe hat ein Spendenkonto eingerichtet: Um sich die Flugtickets nach Deutschland leisten zu können, hatte die Familie ihr Haus verkauft. "Flüge sind teuer", sagt Lorelvis Zavala. "Wer abgeschoben wird, hat in Venezuela nichts."

Lernen im Laientheater

Vieles an den Zuständen in dem südamerikanischen Land erinnere ihn an die späte DDR, sagt Frank Richter wenige Minuten später vor den Besuchern in der Kirche. Bei der Veranstaltung versucht Richter, das Asylrecht in Deutschland zu erklären. Denn das Asyl sei nun einmal geknüpft an ein individuelles Verfolgungsschicksal. "Sie müssen begründen, dass Sie ganz persönlich verfolgt werden." Dieser Nachweis fällt offenbar in vielen Fällen aus Venezuela schwer.

Sowohl Richter als auch der Grünen-Politiker Volker Herold ermuntern derweil dazu, selbst die Initiative zu ergreifen - und sich so gut es geht zu integrieren. "Man muss nicht abwarten, wie Deutschland entscheidet", so Herold. Sprachkurse und deutsche Bekanntschaften könnten im Zweifel helfen.

Darauf setzen auch Antonio Villena, Lennaliz Fuenmayor und das Ehepaar Gonzalez. Alle vier haben sich bei der Laien-Theatergruppe angemeldet, die das Innenstadtmanagement ins Leben gerufen hatte. "Das ist sehr lustig für uns", erzählt Lennaliz Fuenmayor. "Und es ist eine gute Gelegenheit, uns zu integrieren - dort gibt es auch Deutsche. Wir haben schon viele Personen kennengelernt, sie sind sehr nett!"

Es gefalle ihm hier, sagt auch ihr Mann, obwohl Riesa viel kleiner ist als die Millionenstadt Maracaibo, in der sie zuvor gelebt haben. Die Deutschen seien anfangs etwas zurückhaltend, sagt Lorelvis Zavala. "Aber wenn sie merken, dass man sich integrieren will, sind sie wie eine große Familie." Eins vermissen sie, neben den Angehörigen in der Heimat, der Sonne und dem Meer, alle: die venezolanische Küche - die Zutaten sind nicht immer ganz leicht zu bekommen.