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Kretschmer in Moskau: Ein Besuch mit wenig Spielraum

Die Russlandreise von Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer bleibt auf Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft fokussiert. Alles andere ist zu konfliktreich.

Von Tobias Wolf
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Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer sprach am Donnerstagabend bei der Eröffnung der Ausstellung „Träume von Freiheit. Romantik in Russland und Deutschland“, bei der in der Staatlichen Tretjakow-Galerie auch Werke aus den Staatlichen Kunst
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer sprach am Donnerstagabend bei der Eröffnung der Ausstellung „Träume von Freiheit. Romantik in Russland und Deutschland“, bei der in der Staatlichen Tretjakow-Galerie auch Werke aus den Staatlichen Kunst © Sächsische Staatskanzlei/Pawel Sosnowski

Am Ende des Kraftakts ist alles in rotes Licht getaucht. In der Gemeinschaftsausstellung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) und der Neuen Tretjakow-Galerie drängen sich die Gäste. Vor der Galerie im Moskauer Zentrum parkt ein Dutzend Botschafterlimousinen.

Der Kreml hat Michail Schwydkoi geschickt, Sonderbeauftragter für kulturelle Kooperation. Stararchitekt Daniel Libeskind und Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) gehören ebenfalls zur Promi-Riege, die den derzeit einzigen Lichtblick deutsch-russischer Beziehungen bebildern.

Schwydkoi gibt sich betont freundlich, sagt später. „Es gibt kaum ein anderes Volk, dass so wie das deutsche zu einem Teil der nationalen Kultur geworden ist.“ In der realpolitischen Welt herrscht gerade Eiszeit, aber der Moment zählt.

„Es ist eine wunderbare Möglichkeit zu zeigen, was uns verbindet“, sagt Kretschmer zur Eröffnung der Ausstellung „Träume von Freiheit“ am Donnerstagabend. Zuvor hatte er mit Präsident Wladimir Putin telefoniert und sprach dabei auch das heikle Thema Alexej Nawalny an.

Gut drei Jahre haben die beteiligten Partner an der Ausstellung „Träume von Freiheit“ mit Bildern aus der Romantik gearbeitet. „Die Menschen können nur noch eingeschränkt reisen, deshalb müssen die Werke zu den Menschen kommen“, sagt SKD-Chefin Marion Ackermann. Seit Mittwoch ist Sachsens Regierungschef in Moskau unterwegs. Top-Termin war das Zusammentreffen mit dem russischen Vizepremier Alexander Nowak.

In Kretschmers Tross sind Vertreter aus der Wirtschaft dabei und Jörg Urban, AfD-Fraktionschef im Sächsischen Landtag. Urban, der in St. Petersburg/Leningrad einen Teil seiner Studienzeit verbrachte, gibt sich in sozialen Netzwerken als glühender Putin-Verehrer und ergreift Partei für den Kreml, wenn es um mutmaßlich russisch instruierte Giftmordversuche an Oppositionellen wie Nawalny mit dem aus Sowjetzeiten stammenden Nervengift Nowitschok geht.

In Moskau will er plötzlich kein Verteidiger Putins mehr sein. Auf Nachfrage erklärt er, dass er das Vorgehen der Sondereinheit Omon, deren Beamte Menschen auch ohne Anlass mit Knüppeln ins Gesicht schlagen, verwerflich finde. „Dass die russische Regierung die Opposition unter Druck setzt, bestreitet ja keiner“, sagt Urban.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (3.v.r) führt ein Gespräch mit Russlands stellvertretendem Minister für wirtschaftliche Entwicklung, Wladimir Ilijtschjow (2.v.l), im Ministerium.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (3.v.r) führt ein Gespräch mit Russlands stellvertretendem Minister für wirtschaftliche Entwicklung, Wladimir Ilijtschjow (2.v.l), im Ministerium. © Ulf Mauder/dpa

Abends sitzt er in einer Runde mit Delegationsteilnehmern, aber auf Abstand zum Ministerpräsidenten. Er bleibt auf Abstand zu den meisten, wie die zum ihm. Urban weiß, dass sein Parteichef Tino Chrupalla im Dezember deutlich pompöser empfangen wurde und sogar Außenminister Sergej Lawrow getroffen hat. So wurde es dann auch als Provokation Russlands durch die Bundesregierung aufgefasst.

Für Ministerpräsident Kretschmer geht es vor allem um Symbole auf dieser Reise. Bei einem Treffen mit der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) trifft er Vertreter der „Bürgergesellschaft“. Eine Juristin sagt, Russland müsse noch einen großen, langen Weg zurücklegen. Sie spricht von fehlenden Gesetzen zu „ungesetzlicher Gewaltanwendung“ in der Untersuchungshaft oder Gewalt in Familien sowie fehlenden Opferschutzgesetzen. Kein Wort gegen die Regierung. Es ist zu spüren, dass „Bürgergesellschaft“ hier etwas anderes meint als in Deutschland, dass man in der Wortwahl vorsichtig ist und die Kritik am Staat darin besteht, bessere Gesetze zu erbitten als offensichtliche Missstände anzuprangern.

Delegationsmitglied Urban sagt, Europa mache zu oft amerikanische Geopolitik und vertrete seine Interessen schlecht. Die deutsche Politik mische sich in innere Angelegenheiten Russland ein. Kretschmer guckt angestrengt, knetet seine Hände und betont schließlich, dass es ein gemeinsames Wertefundament brauche und Konflikte wie der um die Ukraine schnellstmöglich beseitigt werden müssten.

In der 1755 gegründeten Lomonossow-Universität unterschreibt er mit Rektor Wiktor Sadownitschi, einem engen Vertrauten Putins, eine Absichtserklärung zur besseren Zusammenarbeit bei der medizinischen Grundlagenforschung mit der TU Dresden. Nach dem Termin wird er zur Kenntnis nehmen, dass Russland seine Truppen an der Grenze zur Ukraine und auf der Krim reduzieren will. Dieses heikle außenpolitische Thema auf Kretschmers Moskautour hat sich damit von selbst erledigt.

Von den Vertretern der Wirtschaft in Kretschmers Delegation verzeichnet Markus Geisenberger, Chef der Leipziger Messe, einen greifbaren Erfolg und unterscheibt mit russischen Partnern einen Vertrag für „denkmal Russia-Moscow“, eine internationale Messe für Denkmalschutz im Oktober 2021. Weitere deutsch-russische Projekte im Medizin-Sektor seien geplant, unter anderem kommendes Jahr zu Messen im Bereich Othopädietechnik.

Die Moskaureise hat auch für Irritationen gesorgt – im Auswärtigen Amt. So warnte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) den Ministerpräsidenten davor, sich in der derzeitigen politschen Lage von Russland instrumentalisieren zu lassen.

Auch die offenbar unabgesprochenen Ankündigungen Kretschmers zur Beschaffung des russischen Impfstoffs Sputnik V durch die Bundesrepublik haben Berlin wohl verärgert. Im Moment scheine „die mediale Aufmerksamkeit für die 30 Millionen Impfdosen aus Russland – wenn sie denn kommen – ein bisschen hoch“ zu sein, so Außenminister Maas.

Am Ende hat Kretschmer bei seiner Moskaureise wohl auch ein bisschen Glück gehabt mit den jüngsten Entwicklungen zur Ukraine und damit, dass Kreml-Kritiker Nawalny bisher nichts Schlimmeres passiert ist. Der will nun offenbar seinen Hungerstreik beenden. Einen Besuchstag in Moskau hat Kretschmer noch. Und in Russland können sich Dinge schnell ganz anders entwickeln.


In einer früheren Fassung war als Studienort von Jörg Urban irrtümlich Moskau genannt worden. Der AfD-Fraktionschef hat aber in St- Petersburg/Leningrad studiert.