SZ + Sachsen
Merken

Kretschmer hält sich auffällig zurück mit Putin-Kritik

Sachsens Ministerpräsident suchte offensiv die Nähe zu Putin und Russland und nutzte das zur Selbstinszenierung. Im Angesicht der Ukraine-Krise bleibt er farblos.

Von Tobias Wolf & Annette Binninger
 7 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Michael Kretschmer im April 2021 in Moskau beim Ortsgespräch mit Wladimir Putin. Nach dem Angriff auf die Ukraine ist von ihm kaum etwas zu hören.
Michael Kretschmer im April 2021 in Moskau beim Ortsgespräch mit Wladimir Putin. Nach dem Angriff auf die Ukraine ist von ihm kaum etwas zu hören. © Pawel Sosnowski/Sächsische Staatskanzlei/dpa

Dresden. Der Vorwurf in Form eines Fotos seiner letzten Moskau-Reise hat Sachsens Ministerpräsidenten bereits vor drei Tagen eingeholt. Da kursiert auf Twitter wieder diese Szene: Michael Kretschmer sitzt auf einem alten Gobelin-Sofa, ganz vorne auf der Kante, es wirkt fast artig, wie er den Hörer eines alten Telefon-Apparats in der Hand hält. Es ist der dokumentierte Moment eines Gesprächs während Kretschmers Moskau-Besuch im April 2021. Am anderen Ende der Leitung: Wladimir Putin.

Anschließende Fragen dazu waren Kretschmer sichtlich unangenehm. Inwieweit er im Gespräch mit Putin die schwelende Krise in der Ukraine angesprochen habe, wollte Kretschmer damals auch auf mehrfache Nachfrage nicht kommentieren. Gern verkündete er jedoch eine herzliche Einladung an den russischen Präsidenten nach Dresden: "Die Menschen im Freistaat Sachsen würden sich auch sehr über seinen Besuch freuen."

Man habe auch über den inhaftierten Systemkritiker Nawalny gesprochen, versichert Kretschmer später, als er selbst das dokumentarische Foto verbreiten lässt. Putin habe ihm versichert, dass Nawalny die medizinische Versorgung bekomme, die er braucht, wehrt sich Kretschmer, nach seiner Rückkehr nach Deutschland gegen den Vorwurf, er wäre allzu leichtfertig-naiv mit dem Machthaber in Moskau umgegangen.

Unabgestimmte Äußerungen in Moskau

Ein Vorwurf, den sich auch sein Amtsvorgänger schon anhören musste. Putin und Sachsen – ein heikles Verhältnis, das mit der einstigen KGB-Tätigkeit Putins in Dresden seinen facettenreichen Anfang nahm. Kretschmer hatte sich auch nicht von der Kritik aus der Bundesregierung und seiner Koalitionspartner in Sachsen davon abhalten lassen, mitten in der Corona-Pandemie nach Moskau zu reisen und die Nähe zu Russlands Herrscher Wladimir Putin zu suchen.

Mitten in der Schulferien-Zeit fällt es nun auch der gesamten sächsischen Landesregierung zunächst schwer, schnell ein überzeugendes Statement zur Ukraine/Russland-Krise zu finden. Es sei ein sehr "schwarzer Tag für Europa", man sei in Sorge und solidarisch mit den Menschen in der Ukraine, heißt es am späten Vormittag in einer Pressemitteilung.

Mehr zum russischen Angriff auf die Ukraine:

Die russische Regierung müsse an den Verhandlungstisch zurückkehren. "Ein gemeinsames Leben in Frieden ist im Interesse aller Staaten und Völker. Krieg kann nie eine Lösung sein." Unterzeichnet ist die Erklärung von Michael Kretschmer (CDU) und den beiden Vize-Ministerpräsidenten Wolfram Günther (Grüne) und Martin Dulig (SPD). Aber es kommt kein Wort zu Kretschmers eigener Rolle im Umgang mit Russland.

Am Grab des unbekannten Soldaten im Alexandergarten am Kreml legte Michael Kretschmer im April 2021 einen Kranz nieder.
Am Grab des unbekannten Soldaten im Alexandergarten am Kreml legte Michael Kretschmer im April 2021 einen Kranz nieder. © Pawel Sosnowski/Sächsische Staatskanzlei/dpa

In Moskau hatte er vergangenes Jahr vor allem sich selbst in Szene gesetzt. Das Telefonat auf dem Gobelin-Sofa war der Höhepunkt eines Besuchs, bei dem viele Hände geschüttelt wurden und viele Bilder fürs heimische Wahlvolk entstanden, von denen ein nicht kleiner Teil Putin-freundlich eingestellt ist. An der Lomonossow-Universität sprach Kretschmer eine gute Stunde mit dem Direktor, einem Putin-Vertrauten.

Ängste der EU-Nachbarn erwähnt Kretschmer kaum

Außerdem verkündete er unabgestimmt mit der Bundesregierung, dass Deutschland den Impfstoff Sputnik kaufen wolle, wohl wissend, dass er in Sachsen damit punkten könnte. Und mit seiner Nähe zum Autokraten Putin. Denn die Verbundenheit zu Russland, den Menschen, der Kultur sowie die starken, alten wirtschaftlichen und unternehmerischen Bande – Kretschmer, der stete Befürworter des Dialogs in allen Lebenslagen, weiß, dass er mit diesem Kurs in Sachsen punkten kann. Wohl auch, weil sonst die AfD das Feld allein besetzen würde.

Immerhin bekam Putin, der als KGB-Agent 1985 nach Dresden gekommen war, 2009 in Sachsens Landeshauptstadt den Dankes-Orden des Semperopernball-Vereins verliehen – nur Stunden nachdem er in Berlin politische Gespräche mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zum russisch-ukrainischen Gasstreit geführt hatte. Die Laudatio hielt damals Kretschmers Vorgänger Stanislaw Tillich. Ein Orden, der Kretschmers Amtsvorgänger politisch noch lange verfolgen sollte. Eher unbemerkt blieb nach Tillichs Politikkarriere sein Einstieg als Berater in die russische Fluggesellschaft Volga-Dnepr.

Sachsens besonderes Verhältnis zu Putin und Russland wird noch deutlicher, wenn Kretschmer wie im April 2021 mit Vehemenz erklärt: Im Westen orientiere man sich an Amerika und Frankreich. Sachsens Aufgabe sei die Verständigung und der Austausch mit Polen, Tschechien und anderen osteuropäischen Ländern bis hin nach Russland.

Als Lobbyist für Nordstream 2 aufgetreten

Die Ukraine kam in Kretschmers öffentlich geäußerten Überlegungen nur als Randnotiz vor, ebenso die Ängste osteuropäischer EU-Mitglieder vor Russlands Aggressivität. Schon 2019 war Kretschmer zum Ärger der Bundes-CDU mit Putin am Rande eines Wirtschaftstreffens in St. Petersburg zusammengetroffen und hatte die Russland-Sanktionen infrage gestellt.

Auch auf SZ-Nachfrage bleibt Kretschmer an diesem Donnerstag zum Krieg in der Ukraine eher diffus und weicht aus, obwohl er bislang einer der lautesten und eifrigsten Verfechter der deutsch-russischen Beziehungen war und die Nähe zu Putin geradezu gesucht hatte, als sich andere Unions-Länderfürsten längst von ihm abgewandt hatten und darin vermintes Gelände sahen. Ungerührt hatte Kretschmer immer wieder ein Ende der Sanktionen gefordert.

Krieg in der Ukraine - Themen aus Sachsen:

Kretschmer hat sich in der Vergangenheit pro Moskau in Stellung gebracht, vom "natürlichen Partner" Russland gesprochen und ist als Lobbyist für die Gas-Pipeline Nord Stream 2 aufgetreten. Zuletzt Ende Januar beim Neujahrsempfang der CDU in Pinneberg bei Hamburg hatte Kretschmer Respekt für Russland gefordert, während Putin schon seit Monaten Zehntausende Soldaten an der Grenze zur Ukraine zusammenzog und für den Angriff in Stellung gebracht hatte.

Putin benennt er nicht, zeigt jetzt aber auf Bundeswehr

Vielleicht, weil ihm all das nun auf die Füße fallen könnte, verweist er gegenüber der SZ jetzt auf die schlecht ausgerüstete Bundeswehr und die allgemeine Schwäche der Europäischen Union. Der Name Putin fällt dabei nicht. "Jetzt ist die Zeit, der Ukraine zu helfen, aber auch die politischen Defizite der Vergangenheit zu korrigieren", fordert Kretschmer.

"Selbst von einem Krieg betroffen zu sein, das schien uns Deutschen unmöglich", teilte Kretschmer mit. "Investitionen in die Bundeswehr und auch die Notwendigkeit bei kritischer Infrastruktur stets unabhängig handeln zu können, das hat Deutschland in den vergangenen Jahren vergessen." Deutschland müsse mehr in Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit investieren.

Kommentare zum Krieg in der Ukraine:

Mit Blick auf die drohende Gas-Krise durch den russischen Angriff auf die Ukraine setzt Kretschmer sogar noch eine energiepolitische Forderung oben drauf: "Auch die Ausstiegsbeschlüsse zu Kohle oder Atomkraft müssen neu diskutiert werden", fordert er. Zu seiner eigenen Rolle im Umgang mit Russland: wieder kein Wort.

Dafür steht nun die Einladung Putins nach Sachsen im Fokus. Kretschmers Koalitionspartner Grüne und SPD fordern, dass der Ministerpräsident den russischen Präsidenten wieder auslädt, wie die Leipziger Volkszeitung berichtet. Im MDR-Interview darauf angesprochen, reagiert der Ministerpräsident dünnhäutig und spricht von Placebo-Diskussionen in der aktuellen dramatischen Lage. "Die Frage stellt sich nicht, der russische Präsident wird jetzt nicht reisen."

In Moskau eröffnete Michael Kretschmer 2021 die gemeinsame Ausstellung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und der Tretjakow-Galerie mit dem Titel "Träume von Freiheit". Pünktlich vor Putins Krieg gegen die Ukraine ist sie Anfang Februar in Dresden zu Ende gegangen.