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Der Engländer über dem Nebelmeer

Im Elbsandsteingebirge hat der Malerweg 15. Geburtstag. Hat er auch noch Maler? Teil 1 der Serie zum Jubiläum trifft einen in Wehlen.

Von Jörg Stock
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„Ein manischer Typ.“ Christopher Haley Simpson vor seinem Künstlerhaus am Malerweg mit Motiven von Wehlen (l.), vom Liebethaler Grund (r.) und von seiner englischen Geburtsstadt Lancaster.
„Ein manischer Typ.“ Christopher Haley Simpson vor seinem Künstlerhaus am Malerweg mit Motiven von Wehlen (l.), vom Liebethaler Grund (r.) und von seiner englischen Geburtsstadt Lancaster. © Karl-Ludwig Oberthür

Er sagt, dass er ein bisschen größenwahnsinnig ist. Und das glaubt man Christopher Haley Simpson, spätestens, wenn man versucht, sich den Weg in sein Atelier zu bahnen, wo die Stapel riesiger Formate fast bis zur Decke ragen. Ein Bild ist wie eine Bühne, sagt Simpson. Es braucht Dynamik, braucht Spektakel. Beides wirkt besser in der Größe. Warum sich bescheiden? "Wer gern malt, will auch zeigen, was er kann."

Wer Christopher Simpson besuchen will, muss den Hausberg von Wehlen bezwingen. Hier, hoch über dem Elbstrom, hat er sein Refugium gefunden, für sich selbst, für Übernachtungsgäste, vor allem aber für seine raumgreifenden Gemälde. Das Schützenhaus, das er zum Kunsthaus umfunktioniert hat, bietet ihm an die 300 Quadratmeter Platz. Jeder einzelne scheint besetzt, Ergebnis seines zuweilen überbordenden Arbeitseifers. Malen, sagt er, ist für ihn wie eine Manie.

Die schöne Aussicht im Dutzend

Wenn Christopher Simpson ein Motiv braucht, muss er eigentlich nur aus dem Fenster schauen. Dann sieht er den Fluss, der sanft durch das Felsental kurvt, sieht die Uferwiesen, den rostroten Herbstwald, den Rauenstein, die Wehlener Kirchturmspitze. Diese Szene hat er mindestens ein Dutzend mal gemalt. Er liebt die Variation, die von Blickwinkeln und Jahreszeiten abhängt, aber auch vom Maler selbst. "Wir sehen die Natur durch unsere innere Verfassung."

Das Schützenhaus - Kunsthaus am Malerweg ist Teil der kleinen Künstlerkolonie von Stadt Wehlen.
Das Schützenhaus - Kunsthaus am Malerweg ist Teil der kleinen Künstlerkolonie von Stadt Wehlen. © SZ Grafik

Die Variationen der Sächsischen Schweiz sind kaum besser zu erkunden, als auf dem Malerweg. Mit acht Etappen, die zusammen 116 Kilometer ergeben, ist er der Königsweg des Elbsandsteinwanderers. Dieses Jahr hat er fünfzehnten Geburtstag. Im Sommer 2006 war der Ministerpräsident nach Wehlen gereist, um ihn einzuweihen. Schon 2007 wurde er zum schönsten Wanderweg Deutschlands gewählt.

Der Malerweg führt auch am Künstlerhaus von Christopher Simpson vorbei. Namenspatrone waren allerdings Kollegen von ihm, die vor zweihundert Jahren begannen, Pfade in die Wildnis des Sandsteingebirges zu treten, um seine Reize zu entdecken und festzuhalten. Zwei Schweizer, Zingg und Graff, waren die ersten, ihnen folgten die Romantiker, Caspar David Friedrich, Ludwig Richter, Clausen Dahl, Carus.

Im Foyer der Künstlerwohnung hängt, wie es sich für ein Schützenhaus gehört, eine historische Schießscheibe.
Im Foyer der Künstlerwohnung hängt, wie es sich für ein Schützenhaus gehört, eine historische Schießscheibe. © Karl-Ludwig Oberthür

Der moderne Malerweg ist zum Teil der historische, rekonstruiert nach Bildmotiven von damals. So war der Anlass für Simpsons Wehlen-Zyklus eine Skizze von Caspar David Friedrich. Am Malerweg zu leben, ist für Simpson folgerichtig. Über Jahrhunderte hat diese Landschaft Künstler inspiriert, sagt er, hat sie herausgefordert, sich an ihr zu messen. Auch er hat diese Herausforderung gesucht. Und weitere werden ihm folgen.

Geboren zwischen Castle und Atommeiler

Dass Christopher Simpson in Wehlen sesshaft wurde, liegt also nahe, und doch wieder nicht. Sein Name und sein Akzent bezeugen es: Er ist Made in England. Geboren wurde Simpson 1964 in Lancaster. Stadtkern mit Castle wie aus dem Harry-Potter-Film, am Horizont Atomreaktoren, dahinter die Irische See. Beide Eltern waren Krankenpfleger. Er aber wollte immer nur eins: malen.

Das Haus ist groß, der Platz darin dennoch knapp. Schon im Flur rücken dem Besucher Bilderstapel auf den Leib.
Das Haus ist groß, der Platz darin dennoch knapp. Schon im Flur rücken dem Besucher Bilderstapel auf den Leib. © Karl-Ludwig Oberthür

Schon als kleiner Junge spürte Christopher diesen Drang. Die Landschaftsbilder seines Adoptivgroßvaters, der Amateurmaler war, sprachen ihn an. Dieser Adoptivgroßvater gab ihm ein Buch mit Übungen zum Malen und Zeichnen. Christopher verschlang es. "Als wissbegieriges Kind hat mich das interessiert."

Die Schule bestärkte Christopher in seinen Ambitionen. Seine Bilder gefielen den Kunstlehrern, aber auch der Essensfrau im Speisesaal. Er malte Kulissen fürs Schultheater, die gut ankamen. "Ich hatte viele positive Erlebnisse."

Der "Hausaltar" mit Reiseberichten zur Sächsischen Schweiz, der jüngste, von 2017, auf Litauisch. Kelyje heißt unterwegs.
Der "Hausaltar" mit Reiseberichten zur Sächsischen Schweiz, der jüngste, von 2017, auf Litauisch. Kelyje heißt unterwegs. © Karl-Ludwig Oberthür

Zu Leuchten seines Weges wurden die Alten Meister: Dürer, Cranach, Michelangelo, die Renaissance überhaupt. Ihm gefiel die Idee vom Universalmenschen, klassisch gebildet, aufgeschlossen, frei von Dogmen, eine Idee, die er heute von "Big Tech" untergraben sieht. Weltkonzerne wie Facebook und Google seien dabei, die "Umformung der Psyche" zu betreiben, sagt er. "Wenn ich eine Partei gründen würde, wäre das die Renaissance-Partei."

Heimlicher Blick auf Tübkes Bauernkrieg

1983 beginnt Chistopher Simpson in der Oxforder Ruskin School of Drawing sein Studium. "The Ruskin" zählt zu den führenden Kunstschulen des Königreichs. Dort ist Simpson ganz neuen Eindrücken ausgesetzt. Er stößt auch auf die Realisten der DDR, die großen Vier der Leipziger Schule: Sitte, Heisig, Mattheuer, und, vor allem, Tübke.

Eine 200 Jahre alte Ansicht Wehlens von Ludwig Richter. Der Romantiker gehört zu den Namenspatronen des heutigen Malerwegs.
Eine 200 Jahre alte Ansicht Wehlens von Ludwig Richter. Der Romantiker gehört zu den Namenspatronen des heutigen Malerwegs. © Sammlung Hesse/Nationalpark Säc

Werner Tübke malt in der Tradition Cranachs und Dürers, Simpsons Idole. Tübkes Realismus ist magisch, surreal, was dem intensiven Träumer Simpson entgegenkommt. Auch das Monumentale der Werke fasziniert ihn. Als er hört, Tübke arbeite an einem Panorama über den Bauernkrieg, mit über hundert Metern Länge, will er unbedingt hin.

Mit einem Stipendium der Universitätskasse geht er 1985 auf Studienreise in die DDR. Am Bad Frankenhausener Schlachtberg findet er einen von Tübkes Gehilfen, der ihn heimlich in das Kolosseum mit dem unfertigen Bild einlässt. Seine Neugier auf die Malerei der DDR wächst immer mehr. Nach der Diplomarbeit, über Tübke, kommt er 1987 für ein Jahr Gaststudium erneut in den Arbeiter- und-Bauern-Staat, nach Dresden.

Christopher Simpson mit seinem "Wanderer in Betrachtung der Mondlandung", gemalt 2017 zum 10. Geburtstag des Malerwegs.
Christopher Simpson mit seinem "Wanderer in Betrachtung der Mondlandung", gemalt 2017 zum 10. Geburtstag des Malerwegs. © Archivfoto: Dirk Zschiedrich

Simpson sagt, er habe damals sehr wohl gewusst, in was für einen Staat er da zog. "Ich war kein bekennender DDR-Liebhaber." Dennoch ließ er sich einnehmen von der sozialistischen Ästhetik und den proklamierten Idealen des Humanismus und der Friedfertigkeit. Letztlich lernte er nicht den Sozialismus lieben, sondern eine Frau. Deshalb ist er geblieben.

Und so ist er heute auch noch da, am Malerweg. Ihn sieht er als Metapher für den Weg der Menschen und ihrer Kunst durch die Zeit. Zum 10. Geburtstag der Strecke malte Simpson den "Wanderer in Betrachtung der Mondlandung". Caspar David Friedrichs Nebelmeer- und Mondscheinszenen spiegeln sich im Helmvisier eines Raumfahrers.

"Die Romantik ist ein wunderbarer Teil unseres menschlichen Seins." So sieht Christopher Simpson die Quintessenz des Bildes. Romantik hat die Reise zum Mond befeuert. Und während die alten Sehnsüchte erfüllt sind, nährt sie neue. "Das Mysterium geht weiter."