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Warum in der Sächsischen Schweiz wie in der Steinzeit geschuftet wird

Der beliebte Wanderweg durch die Schwedenlöcher nahe der Bastei wird erstmals seit 1967 saniert. Ein Arbeiter von damals wundert sich, dass gar kein Kran zum Einsatz kommt.

Von Gunnar Klehm
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Die Bauarbeiter müssen tonnenweise Material per Hand in den Wald schleppen. Hier tragen Ralf Kaiser und Oskar Reisinger (vorn) einen verzinkten Stahlträger etwa 300 Meter weit vom Abladeplatz hinunter an den Einbauort in den Schwedenlöchern.
Die Bauarbeiter müssen tonnenweise Material per Hand in den Wald schleppen. Hier tragen Ralf Kaiser und Oskar Reisinger (vorn) einen verzinkten Stahlträger etwa 300 Meter weit vom Abladeplatz hinunter an den Einbauort in den Schwedenlöchern. © kairospress

Ralf Kaiser und Oskar Reisinger klinken je einen massiven Tragehaken in ein Loch des verzinkten Stahlträgers ein, der noch zu ihren Füßen liegt. Auf das Kommando „Und los!“ heben sie das schwere Metallstück gleichzeitig an. Die beiden Bauarbeiter sind zwar muskulös, müssen sich aber trotzdem leicht verbiegen, um der Schwerkraft des Trägers etwas entgegenzusetzen. Dann geht es schnaufend abwärts.

Fast 300 Meter Wegstrecke müssen die Männer zurücklegen, um den Stahlträger an den Einbauort in einer engen Felsschlucht in der Sächsischen Schweiz zu bringen. Über zahlreiche Holzstufen geht es hinab in die Schwedenlöcher im Hinterland der weltberühmten Basteibrücke. Im angespülten Sand, ausgewaschen aus dem Felsgestein, ist der Untergrund weich. Zusammengewehte Laubhaufen erhöhen die Rutschgefahr.

Die Männer schuften wie in der Steinzeit. Gibt es dafür keine Maschinen? Jedenfalls keine, die eingesetzt werden könnten, ohne in der sensiblen Natur Schäden anzurichten. Die Baustelle befindet sich in der Kernzone des Nationalparks Sächsische Schweiz. Mehr Naturschutz geht nicht.

Knochenjob mitten in der Natur

Der Pfad durch die Schwedenlöcher ist einer der beliebtesten Wanderwege überhaupt im Elbsandsteingebirge. Bis zu 200.000 Menschen begehen ihn jährlich – wenn er nicht gerade von Bauarbeitern okkupiert und wie jetzt gesperrt ist. An mehreren Stellen verläuft der Weg durch die enge Schlucht über eine Metall-Konstruktion. Die wies nach 57 Jahren Lebensdauer so viel Rost auf, dass sie entsorgt und ersetzt werden musste – ein Knochenjob für Bauarbeiter mitten in der Natur.

An diesem Arbeitstag Anfang März kommt ungewöhnlicher Besuch auf die Baustelle. Zum ersten Mal seit zehn Jahren steigt Harry Dintner mal wieder vom Basteiparkplatz aus in die Schwedenlöcher hinab. Auch wenn er für sein Alter sehr rüstig ist, strengt das den 84-Jährigen an. Aber Dintner will noch mal an diese Baustelle kommen, die in Jugendjahren mal die seine war.

Harry Dintner (l.), früherer Forstarbeiter in Lohmen, und Bauunternehmer Jan Stöcker mit einer der alten Betonhohldielen, die auf dem Weg durch die Schwedenlöcher verbaut wurden.
Harry Dintner (l.), früherer Forstarbeiter in Lohmen, und Bauunternehmer Jan Stöcker mit einer der alten Betonhohldielen, die auf dem Weg durch die Schwedenlöcher verbaut wurden. © kairospress
Mit Hammer und Meißel wurden damals Auflager in den Sandstein gehauen. Das wäre heute so einfach nicht mehr erlaubt. Der Bereich ist Kernzone des Nationalparks. In der Bildmitte ist Harry Dintner zu sehen, damals 27 Jahre alt.
Mit Hammer und Meißel wurden damals Auflager in den Sandstein gehauen. Das wäre heute so einfach nicht mehr erlaubt. Der Bereich ist Kernzone des Nationalparks. In der Bildmitte ist Harry Dintner zu sehen, damals 27 Jahre alt. © REPRO / kairospress
Vier Mann, vier Ecken! So wurden 1967 ausgediente Straßenbahnschienen aus Dresden in den Schwedenlöchern verbaut, damit Wanderer schwierige Engstellen überwinden können.
Vier Mann, vier Ecken! So wurden 1967 ausgediente Straßenbahnschienen aus Dresden in den Schwedenlöchern verbaut, damit Wanderer schwierige Engstellen überwinden können. © REPRO / kairospress
Mit Pferdegespannen wurden 1967/68 beim Bau die schweren Schienen über den Waldboden gezogen.
Mit Pferdegespannen wurden 1967/68 beim Bau die schweren Schienen über den Waldboden gezogen. © REPRO / kairospress
Der Wegebau durch die Schwedenlöcher war schon 1968 so wichtig, dass es eine feierliche Einweihung nach Bauabschluss gab, mit zahlreichen Amtsträgern vom regierenden Rat des Kreises.
Der Wegebau durch die Schwedenlöcher war schon 1968 so wichtig, dass es eine feierliche Einweihung nach Bauabschluss gab, mit zahlreichen Amtsträgern vom regierenden Rat des Kreises. © REPRO / kairospress
Noch ist der Weg gesperrt. Ziel ist es, dass die Schwedenlöcher zum 1. Mai wenigstens provisorisch für Besucher geöffnet werden können. Danach sind noch Restarbeiten und eine erneute Sperrung nötig.
Noch ist der Weg gesperrt. Ziel ist es, dass die Schwedenlöcher zum 1. Mai wenigstens provisorisch für Besucher geöffnet werden können. Danach sind noch Restarbeiten und eine erneute Sperrung nötig. © kairospress
Die Stahl-Konstruktion, die teilweise den Weg trägt, ist eine aufwendige Angelegenheit für Planer wie Bauarbeiter.
Die Stahl-Konstruktion, die teilweise den Weg trägt, ist eine aufwendige Angelegenheit für Planer wie Bauarbeiter. © kairospress
Die Baufirma bittet Unverbesserliche inständig, die Sperrungen zu beachten.
Die Baufirma bittet Unverbesserliche inständig, die Sperrungen zu beachten. © kairospress

Direkt am Wegesrand sind gebrauchte Betonhohldielen aufgestapelt. Fast zeitgleich legen Oskar Reisinger und Harry Dintner eine Hand auf die oberste Platte. „Die habe ich 1967 hier eingebaut“, sagt Dintner. Reisinger hebt seine Hand etwas und lässt sie wieder bedeutungsvoll auf das verschmutzte Betonteil fallen. „Und ich habe sie unbeschadet wieder rausgehoben“, sagt lächelnd der 36-Jährige, der damals beim Bau noch nicht mal geboren war.

Experten sind überrascht

Es hat selbst Experten überrascht, dass keine einzige der gebrauchten Betonhohldielen so beschädigt ist, dass sie ersetzt werden müsste. Fast spurlos sind 57 Jahre der Benutzung bei Wind und Wetter am Material vorbeigegangen. Lediglich die Oberfläche ist etwas rauer als beim Einbau.

„Das ist noch Qualität“, sagt Reisinger mit bewunderndem Tonfall. In welchem Werk die Platten hergestellt wurden, weiß auch Dintner nicht mehr. Er war damals nicht für die Bestellung zuständig. Als Forstarbeiter war er im Revier beschäftigt. Als solcher war er immer mit dran, wenn es ums Anpacken ging.

Harte körperliche Arbeit waren Dintner und seine Kollegen gewöhnt. Der erste Prototyp eines Harvesters wurde erst 1980 gebaut. Geradezu spielend leicht fällt diese Maschine mit dem langen Greifarm heutzutage Bäume und entastet die Nadelholz-Stämme in einem einzigen Arbeitsgang, quasi in Sekunden.

In den 1960er-Jahren sind den Waldarbeitern solche Maschinen höchstens im Traum erschienen. Damals hatten sie noch nicht mal eine Motorsäge. „Wir sind noch mit Schrotsäge losgezogen und haben mit Pferdegespannen die Stämme aus dem Forst geholt“, erzählt der 84-Jährige. Noch heute hat er einen kräftigen Händedruck.

Straßenbahnschienen aus Dresden

Verwundert nimmt der Senior jetzt zur Kenntnis, dass im Gegensatz zu damals gar kein Seilkran aufgebaut wurde, um das Baumaterial in die Schlucht abzulassen. 1967 war der Kran ein Eigenbau. Ein Träger mit Laufkatze wurde oberhalb auf einem Felsmassiv befestigt. Vom darunter befindlichen Lagerplatz war die Plackerei bis zur eigentlichen Baustelle trotzdem noch immens. Denn als Baumaterial für die Unterkonstruktion wurden in Dresden ausgediente Straßenbahnschienen verwendet, die ein mächtiges Gewicht haben.

Dintner ist gern im Elbsandstein unterwegs. Ihn zieht es altersbedingt jedoch eher in den Liebethaler oder Uttewalder Grund. Dort ist es nicht so steil, aber auch wildromantisch schön.

Jetzt holt er alte Schwarz-Weiß-Fotos hervor, die die Arbeiten von damals in den Schwedenlöchern dokumentieren. Auf einem ist zu sehen, wie ein Arbeiter mit Hammer und Meißel ein Loch als Auflager in den Sandstein schlägt. Heute, mit den aktuellen Gesetzen zum Naturschutz im Nationalpark, wäre das kaum genehmigungsfähig, neue Löcher in den Fels zu meißeln. Die bestehenden Löcher werden jedoch wiederverwendet.

Ein Ranger macht auf die wertvolle Natur aufmerksam und darauf, dass ja auch eine Schneise in den Wald geschlagen werden müsste, um das Baumaterial hin zu einem Seilkran zu transportieren. Dass 2013 in den Schwedenlöchern sogar Felsen vorsorglich gesprengt werden mussten, darüber wird nicht so gern gesprochen. Nach einem Felssturz, bei dem es sogar verletzte Wanderer gab, wurden weitere wacklige Steine zu Fall gebracht.

Baumaterial war rar

Der immer noch im nahen Lohmen lebende Dintner war damals zusammen mit einem zweiten jungen Forstarbeiter zeitweise der vierköpfigen Baubrigade des staatlichen Forstbetriebs zugeordnet worden. Auf einem weiteren, auf A4-Format vergrößerten Foto zeigt er, wie sich vier Arbeiter an einer gut drei Meter langen Straßenbahnschiene abschleppen. In Dresden wurde sie ausgemustert. Um Wanderer zu tragen, waren die Schienen noch gut genug. Baumaterial war damals rares Gut.

Weil das Metall aber inzwischen von Korrosion zerfressen war, mussten die Schienen jetzt entsorgt werden. Mit einem Trennschleifer wurden sie in Meterstücke zerteilt und einzeln talwärts getragen. Zur jüngsten Bauberatung wurde von den geradezu übermenschlichen Taten von Bauarbeiter Ralf Kaiser gesprochen. In einer Schicht habe er 24-mal nacheinander je ein Schienenstück auf den Schultern etwa

200 Stufen bergab getragen. Freiwillig würden sich diese Kletterei wohl nur wenige antun, selbst ohne Last. So ein Schienenstück wiegt um die 35 Kilo. Als Kaiser dann sein Alter nennt, ist kurz Stille in der Schlucht. Er ist bereits 61 Jahre alt.

Arbeiter brauchen kein Fitnessstudio

An Rente mit 63 verschwendet er noch keinen Gedanken. „Das macht schon Freude in unserem Team. Außerdem ist ja nicht jeden Tag so ein Geschleppe“, sagt Kaiser. „Wir brauchen kein klimatisiertes Fitnessstudio, um fit zu bleiben“, sagt sein Kollege Reisinger. Selbst unter den dicken Arbeitssachen zeichnen sich sein breites Kreuz und die kräftigen Oberschenkel ab.

Das schwerste Einzelteil, das geschleppt werden musste, war das Stromaggregat. In der Regel wurde alles von oben nach unten getragen. „Das ist leichter“, sagt Kaiser. Nur das Aggregat haben sie nach Ende des zweiten Bauabschnitts nach oben gezerrt, teils auf einem Schlitten. Hoch war die Wegstrecke viel kürzer als talwärts. Drei Stunden brauchten die Männer dafür.

Mehr als 700 Stufen sind in Schuss zu halten

Nur wer solch leistungsstarke Mitarbeiter hat, kann sich um Spezialaufträge wie diesen in den Schwedenlöchern bemühen. „Da sind dann einige Mitbewerber raus“, sagt Bauunternehmer Jan Stöcker. Seine Firma aus Bretnig-Hauswalde bekam den Zuschlag für die Arbeiten und hat Erfahrungen in der Sanierung. „Da muss man schön öfter in engen Räumlichkeiten arbeiten“, erklärt er.

Tatsächlich habe er ernsthaft durchgespielt, das Material per Hubschrauber einfliegen zu lassen. Ob das in der Kernzone des Nationalparks genehmigt worden wäre, wo nicht mal eine Kameradrohne aufsteigen darf, hat er nicht bis zum Ende durchgespielt. „Der Hubschrauber war einfach nicht bezahlbar und die Schlucht wohl auch zu eng“, sagt Stöcker.

Mehr als 700 Stufen sind in den Schwedenlöchern vom unteren Einstieg am Amselgrund bis hoch zum Felsmassiv der Bastei verbaut. Meist sind es mit Erdnägeln stabilisierte Holzbohlen. Die werden von den Mitarbeitern der Nationalparkverwaltung regelmäßig instand gehalten. Zweimal im Jahr wird zur Sicherheit für die vielen Wanderer außerdem auf den Weg geschwemmter Sand beiseitegeschoben und werden größere Laubhaufen beseitigt.

Jede Treppe ist Einzelanfertigung

Genormt ist hier im Gelände nichts. In der Schlucht sind quasi jede Treppe und Stufe Einzelanfertigungen. Das macht den Bauablauf auch so herausfordernd. „Erst wenn ein Steg fertig eingebaut ist, wird das Aufmaß für die anschließende Treppe gemacht und beim Stahlbauer in Auftrag gegeben“, erklärt Planer Lukas Schmidt von der Firma Schmidt Ingenieure in Neustadt.

Es ist der dritte und letzte Bauabschnitt. Auch die ersten beiden Teilbereiche wurden im Winter, also außerhalb der Hauptwandersaison, realisiert. „Ziel ist es, zu den Mai-Feiertagen den Weg wenigstens provisorisch für Wanderer zu öffnen“, sagt Nationalparkchef Uwe Borrmeister. Das soll schon zum 1. Mai der Fall sein.

Respektlose Ignoranten

Mehr als 300.000 Euro kostet die Sanierung. Es ist die größte Baustelle in der Kernzone des Nationalparks, die jemals umgesetzt wurde. Und es wird wohl noch lange die größte bleiben, der Qualitätsarbeit der Betonwerker aus den 1960er-Jahren sei Dank.

Was sich ebenfalls erhalten hat – allerdings weniger positiv –, ist das respektlose Verhalten mancher Mitmenschen. Der obere Eingang in die Schlucht wurde mit hohen Bauzäunen zugestellt. Am unteren Eingang ist sogar eine Metalltür als Absperrung aufgestellt worden. „Und trotzdem stehen immer wieder mal Wanderer vor uns in der Baustelle“, sagt Stöcker. Dabei sind sowohl an den Wegen vom Basteiparkplatz aus als auch im Amselgrund Hinweisschilder angebracht. „Das war bei uns damals auch schon so, dass plötzlich Wanderer vor uns standen. Die Ignoranz stirbt scheinbar nie aus“, sagt Harry Dintner.