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Die versteckten Transfergeschäfte im DDR-Fußball

In der DDR waren Vereinswechsel streng verboten. Es gab sie dennoch. Wie sie abliefen, verrät ein neues Buch zweier sächsischer Journalisten. Bei Dynamo wurden zuerst die Spielerfrauen überzeugt.

Von Timotheus Eimert
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Bernd Jakubowski, Hans-Uwe Pilz und Reinhard Häfner wurden alle aus anderen Bezirken nach Dresden zu Dynamo delegiert.
Bernd Jakubowski, Hans-Uwe Pilz und Reinhard Häfner wurden alle aus anderen Bezirken nach Dresden zu Dynamo delegiert. © dpa/PA

Dresden. Heute sind Ablösesummen in Millionenhöhe im Fußball-Geschäft gängige Praxis, um Spieler von Verein A zu Verein B zu transferieren. Zu DDR-Zeiten waren Spielerwechsel offiziell verboten. Doch es gab sie trotzdem, wie das Buch „Die Delegierten“ der sächsischen Journalisten Frank Müller und Jürgen Schwarz verrät. Auf 208 Seiten erzählen sie eindrucksvoll von verrückten Transfergeschäften im DDR-Fußball, darunter auch so mancher Spielerwechsel von und zu Dynamo Dresden.

Wie auch Müller und Schwarz schreiben, durften die besten Fußballer normalerweise nur innerhalb der DDR-Bezirke wechseln – genau genommen wurden sie vom Fußballverband delegiert. So kamen im Bezirk Dresden spätere Nationalspieler wie Peter Kotte und Ulf Kirsten aus Riesa, Hans-Jürgen „Dixie“ Dörner und Heiko Scholz aus Görlitz und Ralf Minge aus Gröditz zu Dynamo.

Wohnung, Dacia und Kita-Platz für Hans-Uwe Pilz

Mit acht Meistertiteln, sieben FDGB-Pokalsiegen und 98 Europacupspielen zählt der heutige Drittligist zu den erfolgreichsten Klubs der DDR. Doch ohne Spieler wie Dörner, Reinhard Häfner, Bernd Jakubowski, Hans-Uwe Pilz und Andreas Wagenhaus wäre diese zahlreichen Erfolge wahrscheinlich nicht in dieser Fülle zustande gekommen. Sie alle wechselten einst nach Dresden – manchmal aus freien Stücken und manchmal nur gegen eine entsprechende Gegenleistung.

So ließ sich zum Beispiel der in Hohenstein-Ernstthal geborene Pilz seinen Wechsel 1982 von Sachsenring Zwickau teuer bezahlen: große Wohnung, neuer Dacia, Arbeitsplatz für die Frau und ein Kindergartenplatz. Dabei wäre die Delegierung beinahe geplatzt. Pilz zog zunächst mit Frau und Kind ins Sportinternat am Dynamo-Stadion. „Nach einer Woche war ich wieder weg“, erinnert er sich. Erst als Pilz eine Wohnung zur Verfügung gestellt wurde, kehrte er zurück und absolvierte im Februar 1982 sein erstes Spiel für Dynamo.

Bernd Jakubowski wechselte dagegen 1976 freiwillig nach Dresden. Der gebürtige Rostocker wurde vor die Wahl gestellt: entweder Wehrdienst oder Dynamo. Diese Entscheidung fiel dem Torhüter nicht schwer. Zunächst als Nummer zwei hinter Claus Boden geholt, entwickelte er sich zum Stammtorwart. Mit der Sportgemeinschaft gewann er zwei DDR-Meistertitel und viermal den FDGB-Pokal. 2007 verstarb der 1,88-Meter-Schlussmann, der auch als Manager und Vizepräsident bei Dynamo wirkte, im Alter von 54 Jahren nach einer Krebserkrankung.

Häfner wehrte sich gegen Wechsel nach Dresden

Der 2016 verstorbene Häfner wehrte sich 1971 gegen seinen Wechsel nach Dresden. „Ich war noch sehr jung, wollte nicht von zu Hause weg. Wenn überhaupt, dann zum FC Carl Zeiss Jena“, berichtete der gebürtige Thüringer, der damals bei Rot-Weiß Erfurt kickte. Doch der DDR-Fußballverband ordnete an, dass der junge Nationalspieler beim amtierenden Meister und im Europapokal spielen sollte. Mit Dynamo wurde Häfner je viermal Meister und Pokalsieger, gewann mit der DDR-Auswahl zudem 1976 olympisches Gold.

Die Wechsel von Pilz, Jakubowski und Häfner sind nur drei der mitunter skurrilen Geschichten, die die Autoren zusammengetragen haben. Jeder Verein hatte eigene Methoden und Wege, um die besten Spieler über die Bezirksgrenzen hinaus zu locken.

Bei Dynamo fädelte in den 1980er Jahren vor allem der ehemalige Stürmer Gottfried Matthes, der im April 2019 im Alter von 81 Jahren verstorben ist, die Wechsel ein. „Wichtig war, die Spielerfrauen auf meine Seite zubekommen, denn die hatten meist großen Einfluss auf die Entscheidungen der Fußballer“, berichtete Matthes in einem Interview mit Sächsische.de. Er holte unter anderen anderem Pilz (Zwickau) und Wagenhaus (Halle) aus anderen Bezirken nach Dresden.

Dörner durfte nicht zu Stahl Riesa wechseln

Das Buch verschweigt dabei nicht, dass sich Dynamo, im Gegensatz zum feinen Fußball auf dem Rasen, neben dem Platz im Umgang mit Spielern oft rüde zeigte. Das beweist die Geschichte von Wolfgang Lischke. 1972 hatte der damalige Spieler der BSG Stahl Riesa schon zehn Tage bei Union Berlin mittrainiert und eine komfortable Wohnung erhalten.

Doch auch die Dresdner wollten den Offensivspieler verpflichten und ihn im Bezirk Dresden halten. Sie teilten Lischke mit, dass er keinen Fußball mehr spielen werde, wenn er nicht nach Dresden komme. „Mit Dynamo Dresden wurde ich sogar DDR-Meister, musste allerdings auch sehr um einen Stammplatz kämpfen. Unter anderem stand mir Eduard Geyer im Weg. Schließlich ging ich zu Chemie Leipzig“, beschreibt Lischke.

Wahrscheinlich kann jeder DDR-Kicker seine eigene Geschichte erzählen. Fast jeder Wechsel wurde in der DDR zum Politikum. Die Parteifunktionäre schauten wenig nach den Wünschen der Fußballer. Selbst eine Ikone wie Dörner durfte 1986 zum Ausklang seiner Karriere nicht zu Stahl Riesa wechseln, damit sein Ruf als Dynamo-Legende nicht leidet. Bei den Delegierungen gab es also auch Grenzen.

© Verlag Neues Leben

Frank Müller und Jürgen Schwarz: Die Delegierten. Verlag Neues Leben, 208 Seiten, 18 Euro.