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Warum der EM-Auftakt nicht das Handball-Rekordspiel ist, als das es verkauft wird

Rund 53.000 Zuschauer sind beim EM-Auftakt der Handballer im Düsseldorfer Fußballstadion dabei. Ein Rekord ist das nicht, wie ein Historiker aus Leipzig dokumentiert.

Von Alexander Hiller
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Eines der wenigen Bilder vom Feldhandball zeigt ein Länderspiel DDR gegen BRD 1959 im Dresdner Heinz-Steyer-Stadion.
Eines der wenigen Bilder vom Feldhandball zeigt ein Länderspiel DDR gegen BRD 1959 im Dresdner Heinz-Steyer-Stadion. © Screenshot

Dresden. Die Superlative überschlagen sich vor dem Auftaktspiel der Handball-Europameisterschaft: Zuschauer-Weltrekord für den Handballsport, wahlweise auch Europarekord. Mehr als 50.000 Zuschauer werden im überdachten Stadion des Fußball-Zweitligisten Fortuna Düsseldorf für die Partie Deutschland gegen die Schweiz erwartet. Die Bezeichnungen mögen zutreffen, allerdings mit einer Einschränkung, die meist vergessen wird: Ein Zuschauer-Rekord wäre es nur für die Hallenvariante.

Die entwickelte sich aus dem Feldhandball. Die Version mit elf Feldspielern wurde gegen Ende der 1960er-Jahre sowohl in der öffentlichen Bedeutung als auch im Spielbetrieb vom Hallenhandball endgültig abgelöst. Ein Grund: Feldhandball ist sehr wetterabhängig, weil in Freiluft-Stadien gespielt wird. Ein riesiger Besucher-Zuspruch war deshalb eher die Regel als – wie jetzt – die Ausnahme.

100.000 sahen 1936 das Spiel um Olympia-Gold

Der Zuschauer-Weltrekord für Handballsport fällt demnach in ein dunkles Kapitel deutscher Geschichte. In der letzten und entscheidenden Partie der Endrunde bei den Olympischen Spielen 1936 erlebten 100.000 Besucher im Berliner Olympia-Stadion das Spiel des Teams des Deutschen Reiches gegen die Mannschaft aus Österreich (10:6) – übrigens bei strömendem Regen. Die Gastgeber gewannen damit die einzige olympische Goldmedaille im Feldhandball.

Deutsche Teams spielten auch danach eine dominante Rolle bei der Freiluft-Variante: Bei sechs ausgetragenen Weltmeisterschaften der Männer krönten sich sechsmal deutsche Teams zum Weltmeister – 1938 und 1959 ein deutsches Team, 1963 die DDR, dreimal die BRD.

Die Teams der BRD (links, in weiß) und der DDR (rechts) begegnen sich nach Spielende im Dresdner Heinz-Steyer-Stadion noch einmal am Mittelkreis.
Die Teams der BRD (links, in weiß) und der DDR (rechts) begegnen sich nach Spielende im Dresdner Heinz-Steyer-Stadion noch einmal am Mittelkreis. © Screenshot

Auch in der DDR übertrifft mindestens eine Partie den neuen Weltrekord. Am14. Juli 1957 standen sich im Leipziger Zentralstadion die Mannschaften der DDR und der BRD gegenüber. Die Gäste setzten sich mit 19:14 durch. Der Leipziger Handball-Historiker Horst Hampe berichtet von 80.000, andere Quellen sogar von 93.000 Zuschauern.

Diese Partie wird vom Deutschen Handballbund (DHB) zwar als offizielles Länderspiel anerkannt, aber nicht in der DHB-Statistik aufgeführt. Hampe, selbst DDR-Ligaspieler, erinnert sich: „Selbst beim Vorspiel der DDR-Jugendauswahl gegen eine Leipziger Bezirksauswahl schauten schon70.000 Menschen zu.“

Zudem führt Hampe ein weiteres Beispiel an, das man heute wohl Multi-Event nennen würde. Beim 4. Sportfest des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB) vom 1. bis 4. August im Leipziger Zentralstadion "wurde eine sogenannte Sportschau integriert, bei der sich die ballspielenden Verbände Handball, Volleyball und Fußball präsentieren konnten", erzählt der Leipziger. Das Fußballfeld wurde damals dreigeteilt, damit sich alle drei Sportarten gleichzeitig auf 40x20 Meter großen Spielflächen präsentieren konnten. 100.000 Zuschauer verfolgten die Show, natürlich teilweise von der DDR-Regierung organisiert.

Also exakt die Maße, die heutzutage für Hallenhandball gelten. Horst Hampe erzählt, dass dabei die jeweiligen Nationalteams aufspielten. Der heutige Rentner muss es wissen, denn er war am Spielfeld mit dabei. Denn die Felder wurden nicht etwa mit Linien oder Leitkegeln abgesteckt, sondern wurden von Erst- und Zweitligaspielern aus den jeweiligen Verbänden gebildet. "Ich", sagt Hampe stolz, "war einer davon."

Steyer-Stadion erlebt Riesenkulisse beim Feldhandball

Auch das Dresdner Heinz-Steyer-Stadion erlebte Feldhandball-Länderspiele vor großer Kulisse, die jedoch nicht ganz an die damaligen und heutigen Rekordzahlen heranreicht. Am 12. August 1959 sahen 40.000 Besucher das zweite sogenannte Sichtungsspiel zwischen der DDR-Auswahl und dem Team der BRD (19:19) zur Bildung einer gesamtdeutschen Mannschaft für die Weltmeisterschaft. Je acht Spieler aus jedem Team wurden nominiert. Diese sportliche Vereinigung endete damals mit dem WM-Triumph.