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Sein Olympia-Drama treibt Speerwerfer Vetter jetzt an

Nach der Olympia-Pleite will Johannes Vetter zeigen, dass er die Nummer eins im Speerwurf ist. Und der Dresdner kämpft für mehr Gerechtigkeit in seiner Sportart.

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Enttäuschung statt Gold: Nach dem verkorksten Speerwurf-Finale haderte Johannes Vetter mit der Anlaufbahn.
Enttäuschung statt Gold: Nach dem verkorksten Speerwurf-Finale haderte Johannes Vetter mit der Anlaufbahn. © dpa/Michael Kappeler

Von Kristof Stühm

Dresden/Offenburg. Bevor Johannes Vetter demnächst im Italien-Urlaub die Seele baumeln und den Strand genießen kann, wie er vor Olympia angekündigt hatte, stehen ihm große Aufgaben bevor. Nach den jetzt noch anstehenden sechs Wettkämpfen in dieser Saison sollen wieder „alle wissen, wer das Maß aller Dinge ist im Speerwerfen“, sagt Vetter, der an diesem Sonntag erstmals nach seinem Olympia-Drama wieder die Bühne betritt.

Es wird ein Heimspiel für den gebürtigen Dresdner, denn das Werfer-Meeting findet in seiner Wahlheimat Offenburg statt. Und nebenbei will Vetter nun auch für mehr Gerechtigkeit in seiner Disziplin kämpfen. Sein Ziel: Genormte Kriterien für die Beschaffenheit des Stadionbelags, damit jeder Werfer bei Olympia, WM oder EM weiß, was auf ihn zukommt. Der Belag solle „standardisiert“ werden, fordert der Ex-Weltmeister, der vor einer Woche bei den Olympischen Spielen in Tokio ein persönliches Debakel erlebte.

Vetter braucht harten Belag um weit zu werfen

Als der Top-Favorit schlechthin auf die Goldmedaille angereist, hatte Vetter bereits in der Qualifikation große Probleme, das Finale zu erreichen. Dort war dann nach drei Würfen für ihn Schluss. Mit für ihn indiskutablen 82,52 Metern konnte der Dominator der vergangenen anderthalb Jahre, als ihm reihenweise Würfe über 90 Meter gelangen, nicht mal ansatzweise in den Kampf um die Medaillen eingreifen. Mit dem weichen Belag im Olympiastadion kam er überhaupt nicht zurecht, rutschte mehrfach weg – und wurde am Ende desillusionierter Neunter.

Danach ließ Bundestrainer Boris Obergföll, der Vetter auch als Heimtrainer in Offenburg betreut, seiner Wut freien Lauf. Man fühle sich „beschissen und betrogen“, wetterte er und sprach von einer „vollkommenen Chancenungleichheit“. Es sei bitter, bei Olympischen Spielen einen Kindergartenbelag zu verlegen, schimpfte Obergföll, und er meinte: „So ist quasi dem weltbesten Speerwerfer die Chance auf olympisches Gold genommen worden.“

Der 28-jährige Vetter ist mit mehr als 100 Kilogramm Körpergewicht ein kräftiger Athlet, der einen sicheren Halt des Stemmbeins braucht, um Energie für den Antrieb des Speers zu erzeugen. Der weiche Belag im Olympiastadion sei für ihn daher „einfach tödlich“ gewesen, sagte Vetter frustriert und fand das vorzeitige Aus im Finale schlicht „zum Kotzen“.

Vetter fordert einheitliche Anlaufbahnen für Speerwerfer

Nun zieht er seine Konsequenzen und geht verbal in die Offensive. Vetter geht es bei seiner Forderung nach festgeschriebenen Kriterien für den Belag nicht um die Laufbahn im ganzen Stadion, „es reichen die letzten vier, bis acht Meter“, beim Anlauf der Speerwerfer: „Da lasse ich mir die Butter nicht vom Brot nehmen. Ich will eine Lösung finden, die für alle passt.“

Der Aufwand, um einen solchen Standard-Belag zu verlegen, sei „total gering. Das könnte ich am Tag vor dem Wettkampf fast selber machen“, sagt Vetter, der schon entsprechende Gespräche führt und beim Weltverband World Athletics sein Anliegen einreichen will.

Sollte er mit seinem Ansinnen kein Gehör finden, will er darüber nachdenken, seine „Arztrechnungen zu sammeln und World Athletics zu schicken. Da kommt einiges zusammen“. Der Pole Marcin Krukowski, hinter Vetter die Nummer zwei der Welt und in Tokio wie London-Olympiasieger Keshorn Walcott sogar in der Qualifikation gescheitert, prüft schon rechtliche Schritte.

Auf dem neu verlegten Hightech-Mondo-Belag in Tokio, der durch einen mit Luftbläschen durchsetzten Unterbau nicht die bislang gewohnte Härte aufweist, konnten sie alle ihre Technik nicht umsetzen, Athleten mit einer anderen Technik kamen sichtlich besser zurecht. „Diese Machtlosigkeit, diesen Ärger, dass ich nicht abrufen konnte, was ich drauf habe“, treiben Vetter weiter um.

Vetter will Weltrekord werfen

Und auch sein Trainer will sich mit dem Olympia-Ergebnis nicht abfinden. „Das sportliche Desaster von Tokio ist für Johannes auch ein finanzieller Schlag in die Magengrube“, sagt Obergföll, nebenbei auch der Meetingdirektor in Offenburg. „Wir werden künftig die Starts von Johannes nach den Belägen in den Stadien auswählen“, kündigt er als Konsequenz aus Vetters Rutschpartie von Tokio an.

Dessen Schwierigkeiten mit rutschigen Anlaufflächen sind nicht neu. Schon 2018 wurde der Speerwurfanlauf im Berliner Olympiastadion auf Drängen der deutschen Werfer wenige Monate vor der EM neu ausgehärtet. Auch vor den deutschen Meisterschaften 2021 in Braunschweig wurde die Bahn mit Klebstoff zur Aushärtung des Belags neu versiegelt.

„Damit kein falscher Eindruck entsteht“, sagt Obergföll, „es gibt viele gute Anlaufbahnen, sonst hätte Johannes in seiner Karriere nicht 28 Mal über 90 Meter geworfen und mit 97,76 Metern den zweitbesten Wurf aller Zeiten hingelegt.“ Doch was für Sprinter schnelle Zeiten bringe, sei für Werfer mit einer kraftbetonten Technik sehr schlecht, erklärt Obergföll.

Nach dem Meeting in Offenburg tritt Vetter zudem in Lausanne, Paris, Chorzow, Zürich und Berlin an. Dabei sollte Tokio der Höhepunkt seiner Karriere werden, fünf Jahre hat er für diesen einen Tag trainiert, „aber ich bin in kein Loch gefallen“, sagt Vetter nun, auch wenn er sich über die Verhältnisse dort weiter „tierisch aufregt“. Er wolle auch in Zukunft antreten, um „Weltrekord oder vielleicht 100 Meter zu werfen“. Was für ihn aber eben nur möglich ist, wenn der Belag passt. (sid, mit dpa, SZ)