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So ist ein junger Sachse Derbysieger geworden

Marvin Jüngel aus Hausdorf bei Kamenz bringt nicht nur Talent mit. Er hat die richtigen Hilfen, bereitet sein Siegpferd geschickt vor - und setzt jetzt mutig alles auf den Reitsport.

Von Frank Thümmler
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Marvin Jüngel  zu Hause mit seiner Siegerstute Balou‘s Erbin: Sie hatte wenig Lust aufs Foto, wollte lieber weiter grasen und hat deshalb die Ohren nach hinten gerichtet.
Marvin Jüngel zu Hause mit seiner Siegerstute Balou‘s Erbin: Sie hatte wenig Lust aufs Foto, wollte lieber weiter grasen und hat deshalb die Ohren nach hinten gerichtet. © Frank Thümmler

Hausdorf. Balou‘s Erbin geht es gut. Die 14-jährige Oldenburger Stute chillt auf der großen Wiese hinter dem Reitstall, sucht nach den schönsten Halmen und darf ab und zu mal ins Gelände. Die ganz großen Anstrengungen gibt es gerade nicht. Balou‘s Erbin hat sich das verdient. Sie hat mit ihrem Besitzer Marvin Jüngel auf dem Rücken Ende Mai das 92. Deutsche Springderby in Hamburg gewonnen und ist damit auf einen Schlag berühmt – nicht nur in der Expertenszene des Springreitens.

Das gilt nun auch für Marvin Jüngel, der eine prominente Siegerliste (u. a. mit Alvin Schockemöhle, Nelson Pessoa, Ludger Beerbaum und André Thieme) fortsetzt und dieses Kunststück als erster Sachse geschafft hat. Aber wie macht man das, wenige Tage vor dem 22. Geburtstag, aus dem beschaulichen Hausdorf bei Kamenz kommend, und mit einem eigenen Pferd, dem die damaligen Besitzer ein solches Potenzial wohl nicht zugetraut hatten und es deshalb an die Familie des neuen deutschen Derbysiegers verkauften?

Einmal war sogar Reitpause

Für die Antwort muss man gut zwei Jahrzehnte zurückgehen. Damals, Marvin war ein drei Wochen altes Baby, zogen Jüngels nach Hausdorf, waren selbst begeisterte Reitsportler. Marvin war immer dabei, saß bald auf dem Rücken von Pferden – ganz ohne Druck. „Ich hatte zwischendurch sogar einmal aufgehört zu reiten, weil ich zu oft vom Pony runtergefallen war. Da habe ich es dann mit Fußball versucht. Als dann aber ein Pferd zwischen Pony und Großpferd kam, extrem brav – das hat mich überzeugt, doch weiter zu reiten“, erzählt das Leichtgewicht mit Jockeyfigur.

Talent war offensichtlich da, erste Erfolge stellten sich schnell ein. Aus dem anfänglichen reinen Hobby wurde schnell mehr. Die Eltern stellten den Kontakt zum Rothenburger Philipp Schober her, seit zwei Jahrzehnten einer der besten Springreiter in Sachsen. Auch, weil die Reitweise des damals schon sehr erfolgreichen Schober passend zu sein schien. „Ich war dann sehr viel in Rothenburg, wir haben uns besser kennengelernt, ich habe viele Tipps von ihm erhalten. Mittlerweile tauschen wir uns gegenseitig aus, fragen den anderen auch mal zu weiteren Ideen im Umgang mit dem einen oder anderen Pferd – jedes Pferd ist anders.“

Mit Anfang 20 schon Unternehmer

Mit 14 Jahren durfte Marvin Jüngel bei den ersten Nationenpreisen starten, erarbeitete sich einen Namen als talentierter Reiter. Eine Folge: Der erste Pferdebesitzer kam auf Jüngels zu, damit er ein Pferd reitet, um es besser, erfolgreicher und damit wertvoller zu machen. Als das gut funktionierte, kamen natürlich weitere. „Irgendwann hatte ich dann neben der Schule schon zehn Pferde da, hatte schon relativ gute Erfolge. Ich bin also in alles reingewachsen“, sagt der junge Hausdorfer. „Für mich war relativ schnell sicher, dass ich erstmal eine andere Ausbildung mache, nichts mit Pferden, auch als Absicherung“, erklärt er. Jüngel lernte Bürokaufmann und hat sich mit dem Abschluss der Lehre im vergangenen Jahr selbstständig gemacht – ein großer Schritt für einen 21-Jährigen.

Inzwischen hat Marvin Jüngel 15 Turnierpferde in den 15 Pferdeboxen im Stall. Ein solches Geschäft hat viele Standbeine: Einnahmen von den Besitzern, die ihre Pferde bei Marvin Jüngel im Stall stehen haben, sie ausbilden und bei Turnieren reiten lassen; dann der Ankauf von Pferden, um sie zu verbessern und mit Wertsteigerung wieder zu verkaufen; zudem eine eigene Pferdezucht sowie Reitunterricht für andere Reiter; letztlich (bei weitem nicht hauptsächlich) Prämien auf Turnieren.

Kaum freie Zeit neben dem Reitsport

Das alles hört sich nach extrem viel Arbeit an, trotz der Hilfe der Eltern und zweier Mitarbeiter. „Stunden kann man da nicht zählen. Ich gehe früh in den Stall und gebe oft abends noch Reitstunden. An Wochenenden sind eigentlich immer Turniere. Dieses Wochenende jetzt war das erste turnierfreie seit Ende März.“ Auf den Turnieren, auf denen sich Gleichgesinnte treffen und abends auch mal in gemütlicher Runde beisammen sitzen, sei es aber auch schön. Trotzdem: Auch das alles versuchen in Deutschland nicht wenige Reitsportler, Derbysieger aber werden die wenigsten.

Marvin Jüngel erklärt, dass er zwei Pferde im Stall habe, die für die besonderen Prüfungen beim Hamburger Derby (extrem lang mit 1,60 bis 1,70 Meter hohen und ganz besonderen Hindernissen) geeignet seien. „Das erkannt man daran, dass sie immer den Zug nach vorn haben und immer weitermachen, auch wenn mal was schiefgeht, im Gelände ganz unerschrocken sind, auf Turnieren größer und nicht kleiner werden.“ Balou‘s Erbin ist eines davon.

Spezialtraining in Leipzig

Die Vorbereitung auf diese besondere Prüfung war trotzdem speziell: Grundlagentraining ab März mit vielen Geländeritten und Bewegen auf dem Laufband, damit die Kondition stimmt. Die spezielle Vorbereitung erfolgte dann bei einem Leipziger Derbyfan, der die Hindernisse des Hamburger Derbys nachgebaut hat. „Dort war ich vergangenes und auch dieses Jahr zweimal.“ In Hamburg dann lief alles wie ausgemalt: Die Pferde kamen nicht außer Puste, waren in Topform.

Die zwei Qualifikationen liefen mit den Plätzen vier und drei sehr gut, sodass Jüngel schon zum erweiterten Favoritenkreis gehörte. Der junge Sachse behielt die Nerven. „Nachdem die ersten Klippen dann geschafft waren, wollte ich natürlich keinen Flüchtigkeitsfehler machen. Als ich dann fehlerfrei war, wollte ich im Stechen mit einer anderen Reiterin natürlich auch den letzten Schritt zum großen Erfolg. Da bin ich dann im Stallzelt den Plan immer wieder durchgegangen.“ Als dann das letzte Hindernis nur wackelte und nicht fiel, war die Sensation perfekt.

Siegerpferd wird nicht verkauft

Der Erfolg hat für Marvin Jüngel schnell vieles verändert. „Bei einem großen Turnier in Aachen sind plötzlich alle weltweiten Reiter und Richter zu mir gekommen und haben gratuliert. Jetzt kennt man mich und Balou´s Erbin“, erzählt er. Marvin Jüngel wird jetzt auf jedem Turnier als Derbysieger angekündigt, auch anders angeschaut. Aber was wird aus Balou‘s Erbin, lockt der Erfolg zahlungskräftige Käufer? „Viele kennen das Pferd. Sie ist sehr kompliziert, auch mal zickiger. Und dann ist sie ja schon 14 Jahre alt. Wir denken auch gar nicht an einen Verkauf. Sie ist damals als Berittpferd zu uns gekommen. Die Besitzer wollten damals aber schnell verkaufen, wollten nicht auf uns hören zu warten. Da haben wir sie dann gekauft. Ich gehe davon aus, auch in den nächsten zwei, drei Jahren mit ihr beim Derby zu starten.“

Erstmal steht auch der Ausbau des Reiterhofes auf dem Plan. Als nächstes soll eine große Reiterhalle gebaut werden. „Derbysieger“ über dem Eingang macht sich gut als Werbung.