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Standortvorteil Ost: Sport mit Publikum trotz Corona

Corona macht’s möglich: Viele Fans in Fußballstadien, dazu Publikum beim Boxen und Eishockey sowie einen Elite-Marathon in Dresden. Auch Biathlon reagiert.

Von Tino Meyer
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Die Läufer melden sich zurück, und auch die jüngsten sind begeistert. Rund 3.000 Teilnehmer waren in Dresden beim Nachtlauf am Start.
Die Läufer melden sich zurück, und auch die jüngsten sind begeistert. Rund 3.000 Teilnehmer waren in Dresden beim Nachtlauf am Start. © PR Laufszene/René Nicolai (Archiv/Symbolfoto)

Dresden, immer wieder Dresden. Sachsens Landeshauptstadt sorgt in diesen Tagen mit der Corona-Pandemie für ein Novum nach dem anderen, und am vergangenen Samstag waren es gleich zwei. Das Eishockey-Turnier um den – viel passender kann ein Name nicht gewählt sein – „So geht sächsisch“-Cup ist das deutschlandweit erste gewesen, das mit Zuschauern stattfinden konnte. Knapp 2.000 waren in der Halle. Einen guten Kilometer weiter machten sich zeitgleich 3.000 Teilnehmer auf den Weg beim Dresdner Nachtlauf, dem einzigen größeren Straßenlauf im Freizeitsportbereich dieses Jahr in Sachsen und vermutlich weit darüber hinaus.

„Das Feedback ist riesig. Alle haben sich gefreut, dass es wieder losgeht, dass es endlich wieder ein Rennen unter Wettkampfbedingungen gab. Damit kehrt jetzt auch für die Läufer so etwas wie Normalität zurück“, sagt André Egger, und der Geschäftsführer der Laufszene Events GmbH hat bereits das nächste Novum parat – diesmal sehr wahrscheinlich sogar mit internationaler Strahlkraft.

Am 8. November veranstaltet die Laufszene im Großen Garten ein Rennen ausschließlich für Topläufer im Marathon und Halbmarathon sowie über zehn Kilometer. „Nachdem die Straßenlaufsaison wegen Corona komplett ausgefallen ist und es kaum eine Chance für Qualifikationszeiten gab, möchten wir allen Top-Athleten dieses Angebot machen. Kommt am 8.11. nach Dresden und lauft beim Laufszene Elite Run in einem starken Teilnehmerfeld eine Top-Zeit“, erklärt Egger.

Das Hygienekonzept steht, die Genehmigung der sächsischen Parkverwaltung liegt vor, und die Nachfrage für die pro Distanz auf 200 begrenzten Startplätze ist immens. Ein Großteil der Leistungssportler benötigt jetzt dringend eine anerkannte Qualifikationsnorm, sei es für Olympia 2021 oder die Absicherung des Kaderstatus. Da kommt die unerwartete wie seltene Chance in Dresden gerade recht. 

Was macht Dresden anders als Berlin?

Und wer die dafür vermessene 2,5-Kilometer-Runde im Großen Garten für eine Schnapsidee hält, verkennt den neuen Läufer-Alltag und hat am Sonntag den London-Marathon verpasst. Dort sind die weltbesten Athleten auf einer streng abgeschirmten Zwei-Kilometer-Schleife im St. James-Park gelaufen.

Bleibt eine Frage: Wie kann in Dresden gelingen, was anderswo derzeit unmöglich ist? Berlin und Frankfurt am Main haben beispielsweise den Marathon ersatzlos gestrichen. Antwort: Möglich macht das der Standortvorteil Ost, trotz oder gerade wegen des Coronavirus.

Ungewöhnlicher Ort für einen Boxabend: Auf der Magdeburger Seebühne gab es im Juli die Premiere.
Ungewöhnlicher Ort für einen Boxabend: Auf der Magdeburger Seebühne gab es im Juli die Premiere. © Peter Gercke/dpa

Eishockey, Laufen, dazu eine Stadionauslastung beim Fußball-Drittligisten Dynamo, von der andere derzeit bestenfalls träumen können … Die Liste ließe sich fortsetzen, und sie beschränkt sich nicht auf Sachsen. Der Biathlon-Weltverband hat jetzt entschieden, dass der Weltcup im Januar im bayerischen Ruhpolding ausfällt und stattdessen zwölf Weltcuprennen im thüringischen Oberhof ausgetragen werden. Und schon an diesem Samstag steigt in Magdeburg der WM-Kampf im Boxen zwischen Dominic Bösel und Robin Krasniqi, rund 2.000 Zuschauer werden dabei sein in der Getec-Arena, in der Magdeburgs Handballer zuletzt vor 1.800 Fans spielten.

Am 18. Juli fand in Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt bereits eine erste viel beachtete Rückkehr in die neue Normalität statt – mit einem Boxabend als Open-Air-Veranstaltung vor 550 Zuschauern auf einer Seebühne. „Wir haben sehr viel Resonanz aus ganz Deutschland erfahren, von Verbänden, Veranstaltern. Alle schauen auf uns“, sagt Ulf Steinforth. Der Chef des einzigen ostdeutschen Profiboxstalls SES ließ danach aufgrund der guten Erfahrungen noch ein zweites Open-Air-Event folgen.

Keine Zuschauer = Wettbewerbsnachteil?

Der Sonderstellung ist Steinforth sich bewusst. „Natürlich haben wir aufgrund der geringeren Fallzahlen in Sachsen-Anhalt, Thüringen und auch in Sachsen einen Standortvorteil. Dieses Wissen und die Erkenntnisse durch diese beiden Events verschafft uns einen Vorteil gegenüber anderen – gerade im Umgang mit der Politik, den zuständigen Behörden und Gesundheitsämtern“, erklärt Steinforth, betont aber auch: „Wir haben mit unseren Open-Air-Veranstaltungen bewiesen, dass wir damit gut und verantwortungsvoll umgehen.“

Zuletzt im DFB-Pokal vor drei Wochen waren es auch die ostdeutschen Stadien, in denen einige tausend Fans zugelassen waren – während in anderen Bundesländern immer noch ohne Zuschauer gespielt werden muss. Über Wettbewerbsnachteile für Klubs im Westen, Süden und Norden wird seitdem immer wieder diskutiert und auch über den eigenen, von den Empfehlungen der Bundesregierung sehr abweichenden Umgang der Ost-Bundesländer mit der Pandemie.

Im Stadion mit Maske: Tausende Fans waren zuletzt im Dresdner Rudolf-Harbig-Stadion.
Im Stadion mit Maske: Tausende Fans waren zuletzt im Dresdner Rudolf-Harbig-Stadion. ©  dpa/Robert Michael

„Bis jetzt kann man sagen, dass die Konzepte aufgehen“, entgegnete Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) kürzlich in einer Regierungserklärung, was das Gesundheitsamt in Dresden indirekt bestätigt hat. Es gebe keinen Corona-Fall, der mit Dynamos Pokalspiel in Zusammenhang steht. Bei der Partie gegen den Hamburger SV waren am 14. September immerhin 10.053 Fans im Stadion – bis dato der Corona-Zuschauer-Rekord in Deutschland.

„Natürlich wissen wir alle: Sollte sich die Situation wieder verschärfen, müssen diese Zugeständnisse auf den Prüfstand. Wir werden weiterhin sehr genau abwägen, was geht und was nicht“, sagt Wöller.

Den Standortvorteil mag es zurecht geben, täglich steigende Fallzahlen auch hierzulande aber ebenfalls. Und das Virus macht vor Sportlern nicht halt, wie die Beispiele Aue, Bischofswerda, Königswartha und Panschwitz-Kuckau zeigen. Deren Fußball-Teams sind in ganz unterschiedlichen Leistungsklassen unterwegs, konnten jedoch allesamt am vergangenen Wochenende wegen positiver Corona-Fälle nicht spielen. „So oder so“, mahnt deshalb Wöller, „wird es sehr auf die Disziplin der Menschen ankommen, ob die Pandemie nicht nur unsere Gesellschaft, sondern auch den Sport lahmlegen kann.“