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Auf der Schiene soll kein Gras mehr wachsen

Die Bahn will keine Strecken mehr stilllegen, auch nicht in Sachsen. Ende Juni soll ein Plan zur Wiederbelebung stehen.

Von Michael Rothe
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Bahnhof Seifhennersdorf Ende 2019: Statt Zügen nur Wildwuchs in den Gleisen. Das soll anders werden.
Bahnhof Seifhennersdorf Ende 2019: Statt Zügen nur Wildwuchs in den Gleisen. Das soll anders werden. © Matthias Weber

Neue Töne von der Deutschen Bahn: Im Dezember hatte der Konzern erklärt, keine Strecken mehr stilllegen zu wollen und stattdessen mehrere Trassen wieder in Betrieb zu nehmen. Man habe eine Taskforce zur Streckenreaktivierung eingesetzt, hieß es. Sie soll bis Ende Juni Abschnitte identifizieren, über die dann mit Bund und Ländern gesprochen werden solle. „Wir brauchen in Deutschland jeden Kilometer Gleis, um den wachsenden Verkehr zu bewältigen und das System Schiene robuster zu machen“, begründete damals der Infrastrukturvorstand Ronald Pofalla den Sinneswandel.

Zwischen 1994 und 2019 wurden nach Angaben des Schienenlobbyvereins Allianz pro Schiene 3.600 Kilometer Schiene stillgelegt, nahezu zehn Prozent des Netzes. 90 Prozent der abgemeldeten Trassen liegen nach Branchenangaben in Ostdeutschland. Allein in Ostsachsen wächst mittlerweile auf 242 Schienenkilometern Gras, mehr als einem Fünftel des einstigen Netzes. Laut Enak Ferlemann, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, kamen in 25 Jahren nur 63 Kilometer neu hinzu – meist in und um Dresden und Leipzig. Hingegen erfolgten die Stilllegungen meist auf dem Land, vor allem in der Lausitz und im Erzgebirge.

„Die Entscheidung für eine Reaktivierung von Schienenstrecken des Nahverkehrs liegt in der Zuständigkeit der Länder“, schreibt Ferlemann in der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken im Bundestag. Für Investitionen stünden verschiedene Finanzierungsquellen des Bundes zur Verfügung, „insbesondere im Rahmen des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes“.

3.000 Kilometer einfach wieder zu beleben

Mit weniger sprödem Vokabular hatte die Allianz pro Schiene ein Gutachten erstellt und 186 Strecken mit 3.072 Kilometern ausgemacht, die wiederbelebt werden könnten. Viele Abschnitte seien kleine Verbindungsstücke, mit denen sich eine Lücke in langen Regionalstrecken schließen ließe, heißt es von dem gemeinnützigen Verkehrsbündnis aus 20 Non-Profit-Organisationen, darunter Umwelt- und Fahrgastverbände, Gewerkschaften, Hochschulen, Verkehrs- und Autoclubs. Oft seien die Gleise noch erhalten und könnten mit relativ geringem Aufwand wieder in Betrieb gehen. „Das Gutachten schauen wir uns in Ruhe an“, hatte Bahnvorstand Pofalla im Interview mit der SZ erklärt. „Auch Abschnitte, die für sich genommen unwirtschaftlich sind, können dem Netz helfen – und sei es als vorübergehendes Ausweichgleis für Baustellen.“

„Die Schienenwege müssen ausgebaut und reaktiviert werden“, fordert die sächsische Bundestagsabgeordnete Caren Lay (Die Linke). Jedoch fehlten der Bundesregierung „jegliches Konzept“ und Informationen, wo noch Gleisbetten und Gleisanlagen vorhanden sind. Auch sehe der Bundesverkehrswegeplan für Sachsen keine Reaktivierung von Strecken vor. Nur zur grenzüberschreitenden Linie Plauen-Cheb (Eger) habe es Gespräche über eine Wiederbelebung gegeben, heißt es.

Schon vor einem Jahr hatte der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) in einer Studie empfohlen, auch zwei Strecken in Sachsen wiederzubeleben: die 39 Kilometer lange, 2015 beerdigte Linie Meißen-Triebischtal-Döbeln sowie die zwei Kilometer von Seifhennersdorf (Landkreis Görlitz) bis ins tschechische Varnsdorf. Aus Sicht des VDV waren die Abmeldungen oft fragwürdig.

Wichtiges Ministück wiederbeleben

Der Verhinderung solcher Stilllegungen hat sich die 1993 vom Verein Pro Bahn und parallel zur Deutschen Bahn AG (DB) gegründete Deutsche Regionaleisenbahn GmbH (DRE) verschrieben. Die Umsetzung erfolgt durch Verträge mit dem vorherigen Eigentümer, vor allem DB Netz, oder durch Streckenübernahme mittels Pacht- oder Kaufvertrag. Das Unternehmen mit Sitz in Berlin betreibt nach der DB das zweitlängste Streckennetz in Deutschland und ist mit seinem Ansinnen auf gut der Hälfte seiner 745 Kilometer Gleis auch erfolgreich.

„In Sachsen haben wir zuerst die Döllnitzbahn gerettet“, sagt DER-Vorstandschef Gerhard Curth zur SZ. Jene Verbindung zwischen Oschatz-Mügeln-Kemmlitz und Glossen sei eine von 33 übernommenen Linien. Seine Gruppe erbringt keine eigenen Verkehrsleistungen. Mehrere Strecken werden jedoch regelmäßig durch andere Bahnunternehmen bedient. Zum Portfolio der „Selbsthilfeeisenbahn“, wie sie Curth nennt, gehören auch Meißen-Döbeln sowie die Lausitzer Strecken Neustadt-Neukirch, Löbau-Ebersbach und Horka-Rothenburg. „Jetzt wollen wir das wichtige Ministück zwischen Seifhennersdorf und Varnsdorf wiederbeleben“, sagt er. 

Seit 2015 endet der Trilex von Zittau über Großschönau im tschechischen Varnsdorf. Der letzte Abschnitt wird im Schienenersatzverkehr bedient. Die Strecke sei beräumt, so Curth. Noch müsse eine Weiche ausgetauscht und ein Bahnübergang vorübergehend manuell gesichert werden. Aber: „Auch wenn uns Corona derzeit ausbremst“, sei er „guter Hoffnung, dass die Strecke noch 2020 wieder aktiv ist.“