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Die Kamenzer Vogel-Mama

Immer wieder zieht eine junge Frau aus Kamenz Spatzenkinder auf und spannt dabei die ganze Familie mit ein. Auch wenn sie von einigen dafür belächelt wird.

Von Ina Förster
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Anja Schweda aus Kamenz kümmert sich gemeinsam mit ihren Eltern um die Wildvögel im Garten. Und sie zieht junge Spatzen auf, die aus ihrem Nest geworfen wurden.
Anja Schweda aus Kamenz kümmert sich gemeinsam mit ihren Eltern um die Wildvögel im Garten. Und sie zieht junge Spatzen auf, die aus ihrem Nest geworfen wurden. © René Plaul

Kamenz. Zack. Da lag wieder einer auf dem Balkon. Nackig, nur mit ein paar Flaumfedern bedeckt und mit geschlossenen Augen. Das Spatzenjunge war kaum als solches zu erkennen. Aber Anja Schweda wusste, dass da oben über ihrer Balkontür ein Spatzenpaar in den Nistkasten gezogen war. Einfach liegenlassen konnte sie es nicht. So hilflos. So klein. Der Spruch "Ist doch nur ein Spatz", den kann die junge Kamenzerin nicht hören. "Jedes Tier hat ein Recht auf Leben", sagt sie. Und sei es noch so klein.

Deshalb hat sie schon drei hilflose Spätzchen mit der Hand aufgezogen. Und eine Meise. Die habe es aber leider nicht überlebt. "Wir hatten das öfter. Die Schwächsten fliegen aus dem Nest, wenn der Platz zu eng wird", sagt Anja Schweda. Oder wenn die Eltern nicht genügend Futter finden. "Deshalb füttern wir ganzjährig durch." Seitdem habe es nachgelassen mit den Nestwürfen.

Stündlich mussten die Spatzenjungen zwischen 6 Uhr morgens und 22 Uhr abends gefüttert werden.
Stündlich mussten die Spatzenjungen zwischen 6 Uhr morgens und 22 Uhr abends gefüttert werden. © Privat: Schweda
Daggi und Petri waren die ersten Zöglinge von Familie Schweda.
Daggi und Petri waren die ersten Zöglinge von Familie Schweda. © Privat: Schweda
Auch dieser kleine Spatz wurde von Familie Schweda aus Kamenz mit der Hand aufgezogen.
Auch dieser kleine Spatz wurde von Familie Schweda aus Kamenz mit der Hand aufgezogen. © Privat: Schweda
Auch auf den Balkonen haben die Schwedas noch Nistkästen und Futterhäuschen angebracht.
Auch auf den Balkonen haben die Schwedas noch Nistkästen und Futterhäuschen angebracht. © René Plaul
30 bis 40 Wildvögel kommen täglich zum Fressen ans Futterhaus. Darunter Grünfinken, Stare, Rotschwänzchen, Tauben, Spechte und ganz viele Haussperlinge.
30 bis 40 Wildvögel kommen täglich zum Fressen ans Futterhaus. Darunter Grünfinken, Stare, Rotschwänzchen, Tauben, Spechte und ganz viele Haussperlinge. © René Plaul

Zur Ganzjahresfütterung gibt es allerdings unterschiedliche Meinungen, so der Deutsche Tierschutzbund auf seiner Homepage. Die Gegner befürchten einen unkontrollierten Eingriff in den Ablauf der Natur. Befürworter halten dagegen, dass die Umweltbedingungen für Vögel schon schlecht genug sind, so dass es auf den Schutz jedes einzelnen Tieres ankomme.

Familie Schweda beobachtet seit Jahren das Treiben in ihrem Garten. Sie lebt gemeinsam mit den Eltern auf dem Hof. Alle lieben Tiere. Das Gezwitscher morgens ab halb fünf tue gut. Auch die drei Familien-Hunde Joschka, Kiwi und Ronja haben sich daran gewöhnt und schauen nur noch gelangweilt hinüber. 40 bis 50 Wildvögel sitzen auch an diesem Tag in der dichten Hecke. Das Vogelhaus ist gut frequentiert. "Wir haben hier alles - vom Rotschwänzchen über Stare bis zum Specht, vom Sperling bis zum Grünfink", sagt Anja Schweda. Auch Tauben verirren sich an die Futterstelle.

Insekten gesucht und Aufzuchtfutter gekauft

Familie Schweda/Wolske hat ein Herz für Tiere. Deshalb haben Anja, ihre große Tochter Laura und Oma Petra die Sperlinge stündlich gefüttert, nachdem sie sie halbtot vor ihrer Tür gefunden hatten. "Wir haben uns abgewechselt. Das ging nicht anders, wenn man arbeitet. Von 6 bis 22 Uhr mussten wir parat stehen, haben Insekten gesucht, extra Aufzuchtfutter gekauft. Und der Opa hat Fliegen gefangen", erzählt die 40-Jährige.

Sie hätten sich belesen und Fachlektüre besorgt. Manchmal würden sie belächelt. So ein Aufwand wegen eines Vögelchens! Aber die meisten hätten sie bewundert. Immerhin ist der Spatz oder Haussperling mittlerweile vom Aussterben bedroht. Seit 25 Jahren ist die Zahl der Spatzen in Dörfern und Städten um 50 Prozent zurückgegangen. Nicht nur in Deutschland ist der Haussperling gefährdet, sein Rückgang ist international nachzuverfolgen - insbesondere in Großstädten.

Auch Naturschutzstationen haben zur Brutzeit der Vögel immer allerhand zu tun. Neukirch und Neschwitz hatten vermehrt Anfragen zu scheinbar hilflosen Jungvögeln. "Oftmals handelt es sich um flügge Vögel. Sie haben das Nest verlassen, werden allerdings von ihren Eltern weiter versorgt, bis sie flugfähig sind", sagt Koordinatorin Cornelia Kobalz. Deshalb sollte ein Jungvogel normalerweise an der Fundstelle bleiben.

Befindet er sich allerdings in unmittelbarer Gefahr, beispielsweise auf einer Straße, so könne er an eine sichere Stelle umgesetzt werden. Nach Bundesnaturschutzgesetz ist es grundsätzlich untersagt, besonders geschützte Wildtiere wie Vögel der Natur zu entnehmen. Nur bei Krankheit oder Verletzungen dürfen sie vorübergehend aufgenommen werden. In diesem Fall kann man sich an die Naturschutzstationen wenden.

Spatzen brüten drei bis fünf Mal im Jahr

Anja Schweda hat die Vögel aufgezogen - und sie später der Natur wiedergegeben. "Wir haben sogar Flugübungen gemacht", erzählt sie lachend. Erst wippten die flügge gewordenen Spatzen auf der Hand. Später flatterten sie durchs Kinderzimmer der kleinen Tochter Emily. Und irgendwann hoben sie ab - gen Himmel und Freiheit. "Das waren wundervolle Momente, auch als sie anfangs wiederkamen und sich immer noch mit uns unterhalten wollten", sagt die Kamenzerin. Schließlich hatten sie auch Namen: Daggi, Petri und Fidi haben dank ihren Rettern überlebt.

Spatzen sind übrigens sehr fruchtbar. In drei bis fünf Bruten pro Jahr ziehen sie vier bis sechs Küken auf. Allerdings überleben nur rund 20 Prozent der Kleinen ihr erstes Jahr. Ist das geschafft, wird ein Spatz drei bis sechs Jahre alt. Da gibt es also wahrscheinlich noch einiges zu tun für die tierliebe Kamenzer Familie.