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Ukraine-Geflüchtete: Wenn die Angst nicht aufhört

Tausende Ukrainer erhalten in Dresden Unterstützung. Doch nicht jeder nimmt die Hilfe an. Ein Dresdner Arzt erklärt, was die Geflüchteten jetzt brauchen.

Von Luisa Zenker
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Der Dresdner Christian Kreß arbeitet als Arzt in einer Psychiatrie und behandelt traumatisierte Menschen.
Der Dresdner Christian Kreß arbeitet als Arzt in einer Psychiatrie und behandelt traumatisierte Menschen. © Sven Ellger

Dresden. Über 7.000 Ukrainer sind bisher in Dresden angekommen. Doch das, was die Menschen in den Kriegstagen erlebt haben, verschwindet nicht so schnell aus dem Kopf. Der Dresdner Arzt Christian Kreß erklärt, in welcher Verfassung ukrainische Familien in Deutschland ankommen und was sie jetzt benötigen.

Herr Kreß, die ukrainischen Menschen bekommen in Dresden Essen, ein Dach über den Kopf und Kleidung. Sie sagen, sie brauchen noch mehr. Was benötigen die Ukrainer?

Sicherheit. Der Krieg hat viele Ukrainer traumatisiert. Viele Kriegsereignisse sind so schlimm, dass man sie nicht sofort verarbeiten kann. Man kann traumatisiert werden, wenn man sieht, wie die Nachbarin vergewaltigt wird, eine Bombe in das Haus gegenüber einschlägt oder die Mutter erschossen wird. Oder es an sich selbst erlebt.

Was passiert in den Menschen, wenn sie sehen müssen, wie eine Bombe im Nachbarhaus einschlägt?

Die drei Sofortreaktionen sind: Weggehen, hingehen, erstarren. Die letzte wird häufig vergessen. Das ist ein Schockzustand. Die Menschen sehen ruhig aus und in Wirklichkeit tobt es in ihnen drin. Sie wirken von außen lethargisch, haben auf nichts Lust, innerlich fühlen sie sich wie abgestumpft, taub. Oder aber sie sind immer aufgeregt, schreckhaft, reagieren auf einen lauten Knall sehr empfindlich, sind unkonzentriert und ständig in Gedanken.

Es fällt ihnen deshalb schwer, zu lernen, eine Arbeit zu suchen oder einen Alltag zu organisieren. Häufig gehen mit Traumata Todesängste und Verzweiflungsängste einher. Auch fühlen sich die Betroffenen schuldig. Sie denken sich: Ich habe überlebt und mein Nachbar nicht. Sie haben ein schlechtes Gewissen, dass der Ehemann noch dort ist. Sie sind in Freiheit, aber sie sind nicht frei.

Aus der Ukraine flüchten derzeit auch viele Kinder. Kriege prägen sie oft ein Leben lang. Sind die Kinder besonders betroffen?

Bei Kindern kann ein Trauma zu Suizidgedanken führen. Sie können in sich gekehrt sein. Andere Kinder schlagen um sich, werden aggressiv. Das ist keine Boshaftigkeit. Das ist ein Ausleben von dem Schrecklichen, was da noch drinsteckt. Ein Kind kann sich ja noch weniger gegen das Erlebte wehren.

Kann es helfen, darüber zu sprechen?

Traumatisierte können darüber oft nicht sprechen. Malen, Zeichnen, Musizieren und Schreiben kann helfen. Das kann genauso wirksam sein wie Sprechen.  Mit Trauma geht einher, dass man misstrauisch wird. Traumata hinterlassen das Gefühl, Opfer zu sein oder hilflos und ohnmächtig zu sein. Manche Menschen schämen sich für das, was sie erlebt haben oder dass sie überlebt haben und der Freund nicht. Man sollte sich nicht vor den Kopf gestoßen fühlen, wenn die Betroffenen nicht reden wollen.

Gibt es etwas was man sagen darf und was man nicht sagen darf?

Man darf das sagen, was man fühlt.

Was sind die Folgen eines Traumas?

Es gibt die Menschen, die viel machen und sehr aktiv werden. Zum einen dürfen wir nicht vergessen, dass dort Krieg herrscht. Krieg ist erbarmungslos, er fragt nicht nach Ruhezeiten, er findet immer statt und dann wollen die Menschen versuchen, da mitzuhalten. Trauma wirkt im Menschen lange Zeit fort und das hat sehr starke Auswirkungen, sogar auf körperlicher Ebene. Manchmal entwickeln Traumatisierte Menschen auch eine Sucht - ob Drogen-, Alkohol- oder Spielsucht.

Eine Ukrainerin meinte: Nach dem Krieg müssen wir alle in Therapie. Was könnte die Stadt Dresden tun?

Man kann nicht einen Krieg führen und im Hintergrund 10.000 Trauma-Therapeuten aufstellen, die das "wegtherapieren". Diese Wunden bleiben bestehen. Im Idealfall bietet die Stadt Dresden psychosoziale Hilfen für Ukrainerinnen an, aber man kann wahrscheinlich nicht alle therapieren.

Was kann ich als normaler Bürger tun?

Es ist wichtig, schöne Dinge mit den Geflüchteten zu machen. Das kann ein Spaziergang sein, ein Besuch im Zoo oder Eis essen gehen. Wichtig ist es auch, im Alltag zu unterstützen.

Es passiert aber auch, dass Ukrainer die Hilfe ablehnen. Warum?

Jeder, der vor einem Krieg flieht, ist vertrieben worden und befindet sich letztlich gegen seinen Willen in dem neuen Land. Die meisten sind unfreiwillig hier. Das Verrückte an der Situation: Die Menschen möchten Dankbarkeit zeigen, aber eigentlich wollen sie vielleicht gar nicht hier sein.

Wie sollte ich umgehen, wenn meine Hilfe abgelehnt wird?

Akzeptieren. Natürlich ist das als Helfer eine Kränkung. Häufig ist es ja so, wenn ich eine vertriebene Person bin, dann fühle ich mich auch als ein Opfer und das ist keine schöne Rolle. Hilfe abzulehnen ist für die anderen Personen auch die Möglichkeit zu zeigen: Ich kann das selbst! Ob es die Person dann wirklich selbst kann oder nach zwei Tagen doch um Hilfe bittet, ist eine andere Geschichte. Ich muss es als Helfer schaffen, das zu akzeptieren. Also nicht pampig reagieren, sondern die Hilfe auch nach zwei Tagen wieder anbieten.

Eine Auswahl psychischer Hilfsangebote

  • Mehrsprachige Angebote für traumatisierte Geflüchtete vom Projekt Refugee Trauma (auch für Helfende geeignet): www.refugee-trauma.help
  • Die Menschenrechtsinitiative Medinetz Dresden e.V. vermittelt anonym und kostenlos medizinische Hilfe für Geflüchtete und Menschen ohne Aufenthaltsstatus: www.medinetz-dresden.org