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Ukrainer in Sachsen: "Bis jetzt denke ich nur daran, wie ich den Menschen in der Ukraine helfen kann"

Als der Krieg in der Ukraine anfing, studierte Arina Tyvonenko in Kiew. Von ihrem Studentenleben ist in Deutschland nicht mehr viel übrig.

Von Carlotta Böttcher
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Als Russland die Ukraine überfiel, war Arina Tyvonenko 19 Jahre alt. Auf Drängen ihrer Mutter ging sie nach Deutschland. Sie denkt oft daran, zurückzukehren.
Als Russland die Ukraine überfiel, war Arina Tyvonenko 19 Jahre alt. Auf Drängen ihrer Mutter ging sie nach Deutschland. Sie denkt oft daran, zurückzukehren. © Ronald Bonß

Dresden. Arina Tyvonenko sieht aus wie eine hippe Großstädterin. Sie ist 21 Jahre alt, trägt einen hellen Mantel, darunter eine weiße Jeans, über den braunen Haaren eine kurze schwarze Mütze. Bevor Russland die Ukraine überfiel, studierte Arina Translationswissenschaften in Kiew. Sie lebte im Studentenwohnheim, tanzte in ihrer Freizeit Modern Dance und engagierte sich in einer Tierschutzorganisation. Sie sagt: „Das Leben in Kiew war gut.“

Dann kam der Krieg. Ihre Mutter sagte: Du bist jung, du musst dein Leben retten, geh nach Deutschland. Arina wollte nicht gehen. Sie sagt: „Warum soll ich mein Leben retten, wenn alle anderen bleiben?“

Heute fällt es schwer, sich Arina als junge Studentin vorzustellen. Sie lacht wenig für ihr Alter. Manchmal antwortet sie auf eine Frage nur mit drei Worten, wenn es nicht mehr zu sagen gibt. Schweift sie in einer Erzählung doch etwas länger ab, endet sie abrupt und sagt: „Das ist alles.“ Ihr Blick wird dann wieder ernst.

Mit einer Freundin und einem kleinen Reisekoffer kam sie im März 2022 nach Freiberg. Ein Ehepaar nahm die beiden Studentinnen auf. Arina lebt bis heute bei ihnen. „Wir verstehen uns sehr gut, auch wenn wir uns nicht oft sehen. Ich bin viel unterwegs.“ Drei Wochen nach ihrer Ankunft fing sie an, in einem Freiberger Restaurant zu kellnern. Ihr Studium lief nebenbei online weiter. Inzwischen arbeitet sie als Arbeitsmarktmentorin in Dresden. Sie hilft geflüchteten Menschen einen Job oder eine Ausbildung zu finden, übt mit ihnen Bewerbungsgespräche und begleitet sie die ersten Monate im neuen Beruf.

"Ich denke fast jeden Tag daran, in die Ukraine zurückzugehen"

Am wichtigsten ist ihr jedoch ihre Arbeit für den Verein „Stützpunkt Ukraine e.V.“ Sie organisiert Demos, hält Vorträge und sammelt Spenden. Als sie letzten Sommer in Kiew war, um ihr Diplom abzuholen, fuhr sie am selben Abend in den Donbass. Ihre Kommilitonen feierten ihren Abschluss, sie brachte den Soldaten an der Front gespendete Tablets und Konserven. Sie sagt: „Mir war es egal, ob ich das Studium beende oder nicht. Bis jetzt denke ich nur daran, wie ich den Menschen in der Ukraine helfen kann.“

Arina klingt nicht wütend, wenn sie über die letzten zwei Jahre spricht. Sie wirkt kontrolliert, lässt sich ihre Traurigkeit kaum anmerken. Depressionen und Psychotherapie erwähnt sie nur nebenbei. Sie gerät lediglich ins Stocken, als sie von ihrem Freund in Kiew erzählt. Sie sagt: „An den Erlebnissen im Krieg und auf der Flucht wächst man. Man wird bullet proof.“ Kugelsicher.

Anfangs habe sie sich schuldig gefühlt, aus der Ukraine weggegangen zu sein. Inzwischen weiß sie: „Man kann in der Ukraine leben und gar nichts für das Land tun. Und man kann im Ausland leben und sehr viel machen.“ Arina hat sich für Zweiteres entschieden. Trotzdem sagt sie: „Ich denke fast jeden Tag daran, in die Ukraine zurückzugehen.“