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Wie uns die Krise zusammenschweißt

Fast jede Nachricht zur Corona-Pandemie ist schlecht oder klingt zumindest negativ. Doch es gibt auch gute Botschaften.

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Die 79-jährige Inge Vincents (r) bekommt von ihrer Nachbarin Heike van Ackern eine Tasche mit den von ihr bestellten Lebensmitteln mitgebracht. Die Rentnerin möchte wegen ihres erhöhten Corona-Ansteckungsrisikos möglichst wenig ihr Haus verlassen.
Die 79-jährige Inge Vincents (r) bekommt von ihrer Nachbarin Heike van Ackern eine Tasche mit den von ihr bestellten Lebensmitteln mitgebracht. Die Rentnerin möchte wegen ihres erhöhten Corona-Ansteckungsrisikos möglichst wenig ihr Haus verlassen. © Roland Weihrauch/dpa

Von Marco Krefting und Fabian Nitschmann

Eichstätt/Wien. Hochwasser, Erdbeben, Coronavirus: Menschen halten in Krisenzeiten zusammen. Das ist fast so sicher wie ... - ach nein, Gottesdienste sind ja auch abgesagt wegen Sars-CoV-2. Dennoch - oder gerade deshalb - bricht sich dieser Tage wieder Solidarität Bahn. Wie bei Naturkatastrophen helfen Menschen einander, packen an und unterstützen nicht nur ihre Liebsten. So wurde beispielsweise die #NachbarschaftsChallenge ins Leben gerufen. Auf der Seite nebenan.de gibt es zahlreiche Tipps - etwa speziell in Bezug auf Nachbarn aus Risikogruppen und Entlastung für Eltern bei der Kinderbetreuung.

"Als einzige Spezies sind wir evolutionsbiologisch dazu in der Lage, uns unserer Gefühle und Gedanken bewusst zu werden, unser Handeln zu reflektieren und es an sozialer Verantwortung und Gerechtigkeit auszurichten", sagt die Sozialpsychologin Elisabeth Kals von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Es gehe um Solidarität mit denen, die zu Risikogruppen gehören - aber auch mit all jenen, die im Moment beruflich oder privat besonders gefordert sind und dabei oft an ihre Grenzen gehen, erklärt die Professorin.

"Wenn der moralische Kompass ist, Schwache sowie Helfende in besonderer Weise zu schützen, kann eine Gesellschaft an dieser Krise auch wachsen und gestärkt aus ihr hervorgehen", ist Kals überzeugt. Sie rechnet mit "positiven Interaktionen im Alltag". "Ganz nach dem Motto "In dieser Zeit der Krise müssen wir zusammenhalten"."

Berlin: Eine Frau trägt sich auf der Liste zur Nachbarschaftshilfe ein, die am schwarzen Brett ihres Wohnhauses hängt. Auf diesem Weg bieten Mitbewohner, die bei der Corona-Pandemie nicht zur Risikogruppe gehören, zum Beispiel an, Einkäufe für Alte oder K
Berlin: Eine Frau trägt sich auf der Liste zur Nachbarschaftshilfe ein, die am schwarzen Brett ihres Wohnhauses hängt. Auf diesem Weg bieten Mitbewohner, die bei der Corona-Pandemie nicht zur Risikogruppe gehören, zum Beispiel an, Einkäufe für Alte oder K © Patrick T. Neumann/dpa

Als Beispiel nennt Kals die Initiative aus Wien, die sich im Netz unter dem Schlagwort NachbarschaftsChallenge (deutsch: -Herausforderung) verbreitet: Social-Media-Managerin Frederika Ferkova hängte einen Zettel im Wohnhaus auf: "Wir gehören nicht zur Risikogruppe und können somit unter die Arme greifen, falls benötigt." Auf diesem Weg bietet sie zum Beispiel an, Einkäufe für Alte oder Kranke zu übernehmen. Angesichts abgesagter Veranstaltungen an Universitäten könnten sich auch Studenten "in ihrer neuen Freizeit ja um Kinder aus der Nachbarschaft kümmern und mit dem Achtjährigen von nebenan zum Beispiel etwas malen", findet Ferkova.

Mittlerweile hat die Aktion auch in Deutschland Nachahmer gefunden: Die Junge Union etwa sucht "Einkaufshelden", Medien haben Aktionen gestartet. Susanna Tausendfreund (Grüne), Bürgermeisterin von Pullach bei München, ruft auf der Facebook-Seite der Gemeinde zu unbürokratischer Hilfe auf: Besorgungen für Ältere oder Kranke übernehmen, sich zur Koordination etwa bei der Seniorenbeauftragten melden.

Frei nach dem Motto "Teilen ist Kümmern": "Denn "sharing is caring" - für unser Miteinander, für unsere Seniorinnen und Senioren und für unsere Schwachen. Lassen Sie uns zusammenhalten und füreinander einstehen als Gemeinde!" Der Nachbarschaftsverein deinNachbar in München zeigt in einem Facebook-Kurs, wie Senioren versorgt werden können. Und das sind nur ein paar Beispiele.

Einfach mal telefonieren

Ferkova kam nach eigenen Angaben nach Aufrufen einer Frau in häuslicher Isolation auf die #NachbarschaftsChallenge-Idee: Natascha Strobl muss im Moment zu Hause bleiben, weil ihre Tochter wegen einer Erkrankung zur Risikogruppe gehört. "Wir müssen jetzt von Angst und Panik auf Solidarität umdenken", so Strobl. Sie regte auch an, für Menschen, die einfach mal etwas reden wollen, Telefonate anzubieten.

Neben Politikern, Kommunen und Privatpersonen rufen dieser Tage auch Vereine, Patientenschützer, Kirchenvertreter und soziale Organisationen zur Solidarität auf. Für Kanzlerin Angela Merkel (CDU) geht es schon damit los, Abstand zueinander zu halten. "Eine scheinbar paradoxe Sache, die aber heute notwendig ist", sagt sie.

Neben Mitmenschlichkeit geht es bei manchen Appellen auch um finanzielle Hilfen für Leute, deren Bezahlung nun auf der Kippe steht - etwa in der Kulturszene. So twitterte Entertainer Jan Böhmermann: "Kulturstätten, Künstlerinnen, Künstler, Autorinnen, Autoren, Theater, Kinos oder Veranstalter werden in den kommenden Monaten unsere Solidarität und wirtschaftliche Unterstützung benötigen".

Doch allen Aufrufen zum Trotz gibt es auch Meldungen, die eher nach der Kehrseite klingen: Manche Tafeln bekommen angesichts leergekaufter Supermärkte keine Lebensmittel mehr, der Blutspendedienst des Deutschen Roten Kreuzes meldete einen Rückgang der Spenderzahlen. Womöglich bleiben die Leute aus Furcht vor einer Ansteckung fern.

Sozialpsychologin Kals sagt, es sei wichtig, die diffuse Angst zu verstehen und sich seriös zu informieren. "Die Hoffnung ist, dass durch Reflexion und Veränderung der Urteile und Einschätzungen nicht nur Ängste geringer werden und sich auf ein gut begründetes Maß einpendeln. Sondern auch, dass positiv erlebte Emotionen wachsen, wie etwa Vertrauen, Zuversicht, aber auch Empathie für andere, die möglicherweise stärker bedroht und gefährdet sind als man selbst." (dpa)

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