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Wilsdruff: Weitere Mittel- und Langwellensender abgeschaltet

Der Sendemast in Wilsdruff war nicht mehr zu retten. Nun sorgt sich Rundfunkexperte Wolfgang Lill um die Technik im Nachbarland.

Von Maik Brückner
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Wolfgang Lill interessiert sich für Hörfunktechnik. Nun musste der Pirnaer mitverfolgen, dass in unserem Nachbarland mehrere Sender außer Betrieb genommen wurden.
Wolfgang Lill interessiert sich für Hörfunktechnik. Nun musste der Pirnaer mitverfolgen, dass in unserem Nachbarland mehrere Sender außer Betrieb genommen wurden. © Karl-Ludwig Oberthuer

Es sind keine leichten Zeiten für die Freunde von Hörfunktechnik. Nachdem am 1. August der Sendemast in Wilsdruff gesprengt wurde, hat nun offenbar auch unser Nachbarland angefangen, sich von Mittel- und Langwellensendern zu trennen.

Wie Wolfgang Lill, ehrenamtlicher Redakteur des Portal Radiomuseum.org informiert, wurden zum Jahresende mehrere Mittel- und Langwellensender in Tschechien abgeschaltet. Darunter war auch das Flaggschiff des Tschechischen Rundfunks, der Sender in Liblice bei Cesky Brod (Böhmisch Brod) unweit von Prag.

Der Sender Liblice ist mit seinen zwei 355 Meter hohen Masten das höchste Bauwerk der Tschechischen Republik. Lill hatte versucht, den Sender in den letzten Stunden zu begleiten. Deshalb beantragte er bei den Verantwortlichen einen Besuch. "Doch dieser wurde mit Hinweis auf die gegenwärtige Corona-Pandemie abgelehnt", sagt der Pirnaer.

"Ich hatte Tränen in den Augen"

Deshalb verfolgte er das Abschalten am Rundfunkempfänger mit. Er stellte das Radio auf Mittelwelle 639 Kilohertz ein und hörte zu, was in den letzten Minuten des Jahres 2021 dort gesendet wurde. Vier Minuten vor Mitternacht wurde der Titel "The Final Countdown" von der Gruppe Europe eingespielt. "Der Sprecher moderierte in die Musik hinein", so Lill. "Noch eine Minute bis Mitternacht." Dann die nächste Durchsage: "Noch eine halbe Minute bis Mitternacht!" Und dann zählte er rückwärts: "zehn, neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei, zwei, eins, null!" Genau um 0 Uhr wurde der Sender abgeschaltet.

"Das war das Ende von 90 Jahre Radiogeschichte auf dem Standort Liblice bei Prag." Es war nur noch ein Rauschen und etwas leise andere Sender zu hören, die auf dieser Frequenz arbeiten. "Ich hatte Tränen in den Augen, die Kollegen des letzten großen Röhrensenders von Tesla sicher auch", sagt Lill danach.

Nicht nur in Prag endete eine Ära. Angeschaltet wurden auch die Mittelwellen-Sender in Karlsbad, Ceske Budejovice (Böhmisch-Budweis), Moravske Budejovice (Mährisch-Budweis), Dobrochov (Dobrochau) und Svinov (Schönbrunn) bei Moravská Ostrava (Mährisch Ostrau). "Besonders bedauere ich die Stilllegung des Langwellensenders auf 270 Kilohertz in Topolna. Dieser Sender hatte noch viele Hörer in der Slowakei", weiß Lill.

Wolfgang Lill hatte sich vor einiger Zeit auch den Langwellensender Topolna genauer angeschaut und dieses Foto von ihm gemacht.
Wolfgang Lill hatte sich vor einiger Zeit auch den Langwellensender Topolna genauer angeschaut und dieses Foto von ihm gemacht. © Wolfgang Lill

Dieser Langwellensender hat so einen günstigen Standort, dass er auch in Berlins Randgebieten zu hören war. "Ursprünglich hat er sogar mal mit 1500 Kilowatt gesendet und war sogar in Nordamerika zu hören", sagt Lill.

Seines Wissens nach begründet der Tschechische Rundfunk die Abschaltung zum einen mit den hohen Energiekosten und zum anderen damit, dass die gesendeten Programme landesweit weiter auf UKW zu empfangen sind. Lill bedauert das. Schließlich gibt es auch Vorteile, die Lang- und Mittelwellensender haben: Deren Programm sind landesweit überall einfach zu empfangen, auch bei Unwetter und Katastrophen.

Mit der Abschaltung ist in Tschechien eine Ära zu Ende gegangen. Denn damit beendet der Tschechische Rundfunk (Český rozhlas) seine Übertragungen auf Lang- und Mittelwelle. Auf Mittelwelle waren bisher die Sender Dvojka und Plus zu hören, auf Langwelle wiederum der zuhörerstärkste Sender Radiožurnál.

Fortan werden die Programme über UKW und digital über DAB+ sowie im Internet zu empfangen sein, informiert Radio Prag International (RPI) auf seiner Homepage und beruft sich dabei auf die Rundfunkleitung. Laut RPI deckt der neue Standard DAB+ rund 95 Prozent von Tschechien ab. Dieser ermöglicht den Empfang aller 23 Sender des Tschechischen Rundfunks.

Private Betreiber senden weiter über Mittelwelle

Die Ära der Mittel- und Langwellensender in Tschechien ist aber noch nicht ganz zu Ende. "Denn im Gegensatz zu Deutschland dürfen private Betreiber weiterhin im Mittel- und Langwellenbereich senden", sagt Lill. Gegenwärtig nutzen drei private Programme diese Möglichkeit, um ihre Hörer zu erreichen.

Das Programm Dechovka, welches sich auf Blasmusik spezialisiert hat, sendet von Stezery bei Hradec Kralove (Königsgrätz) auf der Frequenz 792 KHz. Die Sendeanlage von Country Radio steht südlich von Prag und sendet auf 1062 KHz. Und das Programm Cesky Impuls, ein Oldisender der fast nur tschechische und pro Stunde einmal einen slowakischen Musiktitel sendet, strahlt sein Programm vom Sender Libezize bei Prag auf der Frequenz 981 KHz ab.

Die erste Rundfunksendung in Tschechien wurde übrigens am 28. Oktober 1919, dem ersten Jahrestag der Gründung der ersten Tschechoslowakischen Republik über eine Militärsendestation ausgestrahlt. Diese befand sich auf dem 327 Meter hohen Hügel Petřín (Laurenziberg) im westlichen Zentrum von Prag.