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Diese Sachsen machen genossenschaftlich ihren eigenen Strom

Im Freistaat gründen sich zunehmend Genossenschaften, die selbst Energie herstellen. Was das kostet und bringt: Vorreiter aus dem Erzgebirge erzählen.

Von Andreas Rentsch
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Drei von 132 Genossen: Prof. Dr. Volker Weber (l.) und Thomas Walther (r.) sitzen im Aufsichtsrat der Bürger Energie Erzgebirge. Jens Haustein (M.), Bürgermeister der Gemeinde Drebach, ist einfaches Mitglied.
Drei von 132 Genossen: Prof. Dr. Volker Weber (l.) und Thomas Walther (r.) sitzen im Aufsichtsrat der Bürger Energie Erzgebirge. Jens Haustein (M.), Bürgermeister der Gemeinde Drebach, ist einfaches Mitglied. © Thomas Kretschel

Die 231 Solarmodule auf dem Dach der örtlichen Turnhalle künden davon: In Drebach, einem Dorf rund 23 Kilometer südöstlich von Chemnitz, hat jemand kräftig investiert. Doch das Besondere an der Installation ist nicht ihre Größe, sondern das Konzept dahinter. Als Betreiber fungiert eine Genossenschaft, die Bürgerenergie Erzgebirge mit 132 Mitgliedern. Deren Ziel besteht darin, dass Menschen in der Region in die Ökostromerzeugung investieren und davon profitieren. Ähnliche Projekte zur Beteiligung von Bürgern an der Energiewende gibt es auch anderswo in Sachsen. Tendenz: steigend.

Wie funktioniert so eine Bürgerenergiegenossenschaft?

Die Genossenschaft sei 2014 von 20 „positiv Verrückten“ als Bürgerenergie Drebach gegründet worden, erzählt Aufsichtsrats-Chef Volker Weber. Mitglied werden kann jeder, der eine Mindesteinlage von 250 Euro bezahlt. „Zurzeit können maximal zehn Anteile erworben werden, was also einer Summe von 2.500 Euro entspricht.“

Dieses Geld ist eine unternehmerische Beteiligung und wird für den Bau neuer Anlagen zur Energieerzeugung verwendet – mit den sich daraus ergebenden Verlustrisiken. Zusätzlich zur Einlage könnten Mitglieder noch ein Darlehen geben, sagt Weber. „Das wird mit 2,5 Prozent verzinst und in 16 Jahren zurückgezahlt.“

Gibt es da nicht lukrativere Investitionsmöglichkeiten?

In der Niedrigzins-Phase der vergangenen Jahre hätten die besagten 2,5 Prozent immer wieder zu Anfragen geführt, „ob bei uns Geld angelegt werden kann“, so Weber. „Das mussten wir dann immer verneinen.“ Heute kontert er die Forderung, angesichts der gestiegenen Zinsen für Tages- oder Festgeld müsse die Genossenschaft doch nachbessern, mit dem Satz: „Wir sind keine Bank!“

Tatsächlich biete man immer nur dann Darlehen an, wenn ein Projekt umgesetzt werde, erklärt Webers Aufsichtsratskollege Thomas Walther. Erklärtes Ziel ist, pro Jahr mindestens eine Anlage zu errichten. Dieses „organische Wachstum“ wollen die Bürgerenergie-Genossen ohne Bankdarlehen erreichen.

Wie viele Anlagen betreibt die Genossenschaft?

Momentan sind neun Photovoltaikanlagen mit einer Gesamtleistung von 234 Kilowatt-Peak am Netz. Das entspricht dem, was sich auf 30 bis 40 mittleren Eigenheim-Satteldächern erzeugen lässt. Dabei kommt die größte Einzelinstallation auf über 90 Kilowatt-Peak. Gerade erst ist ein Vertrag für eine 2,2-Megawatt-Flächen-PV-Anlage geschlossen worden.

Im Gespräch seien auch andere Formen der Energieerzeugung aus erneuerbaren Quellen, sagt Volker Weber. Allerdings gestalte sich die Reaktivierung kleiner Wasserkraftwerke im Erzgebirge schwierig. Gleiches gelte beim Neubau von Windrädern. Erst kürzlich hat der Landkreis das Projekt eines rheinland-pfälzischen Investors abgelehnt – gebaut werden sollten drei bis zu 250 Meter hohe Anlagen der Sechs-Megawatt-Klasse.

Andere Pläne, etwa zur Nutzung von Biogas, sind bislang nicht spruchreif. Autarkie, also die komplette Unabhängigkeit von externen Energielieferanten, sei aber ohnehin nicht das Ziel der Genossenschaft, sagt Weber. „Wir wollen und können nur unseren Beitrag zur Energiewende im Rahmen der vernetzten Wirtschaft leisten.“

Ertragsanzeige im Foyer der Gemeindeverwaltung Drebach: April und Mai 2023 waren in Bezug auf den erzeugten Solarstrom schwache Monate.
Ertragsanzeige im Foyer der Gemeindeverwaltung Drebach: April und Mai 2023 waren in Bezug auf den erzeugten Solarstrom schwache Monate. © Thomas Kretschel

Wie viel Solarstrom hat die Genossenschaft seit 2014 erzeugt?

Rund 520 Megawattstunden. Die vorhanden neun Photovoltaikanlagen erzeugen damit rechnerisch Strom für mehr als hundert Haushalte und sparten seit 2014 insgesamt mehr rund 193 Tonnen CO2 ein.

Wer bekommt den Ökostrom aus dem Erzgebirge?

„Wir beliefern zurzeit nur die, die uns die Dächer zur Verfügung stellen“, sagt Volker Weber. Das ist neben den Kommunen Drebach und Burkhardtsdorf auch ein privater Immobilienbesitzer in Zschopau. Mit den Akteuren hat die Bürgerenergie eine 20-jährige Pacht vereinbart und einen über denselben Zeitraum laufenden Liefervertrag geschlossen. Die Kommune Drebach zahle zwischen 18 und 21 Cent brutto pro Kilowattstunde Strom, sagt Bürgermeister Jens Haustein. Konditionen, die viele andere Verbraucher wohl auch gern hätten.

Auch das Zeiss-Planetarium in Drebach bezieht seinen Strom von der Genossenschaft. Pro Kilowattstunde muss die Kommune lediglich 18 Cent brutto bezahlen.
Auch das Zeiss-Planetarium in Drebach bezieht seinen Strom von der Genossenschaft. Pro Kilowattstunde muss die Kommune lediglich 18 Cent brutto bezahlen. © Thomas Kretschel

Was zahlen Privathaushalte ohne eigene Infrastruktur?

Wer aus ideellen Gründen Mitglied wird, ohne eine Photovoltaikanlage der Genossenschaft auf dem Dach zu haben, kann seinen Strom von den Heidelberger Bürgerwerken beziehen. Diese Dachorganisation von Energiegenossenschaften vereint 125 lokale Erzeuger aus ganz Deutschland. Auch die Drebacher sind dort Mitglied. Der Arbeitspreis für den Bürgerwerke-Tarif liegt derzeit bei um die 40 Cent pro Kilowattstunde – je nach Versorgungsgebiet mal knapp darüber, mal darunter. Dazu wird noch ein monatlicher Grundpreis von 11,90 Euro fällig.

Wie viele Genossenschaften gibt es in Sachsen?

Etwas mehr als ein Dutzend, davon sind einige noch in Gründung. Die ersten Bürgerenergiegenossenschaften im Freistaat existierten allerdings schon vor mehr als zehn Jahren. Neben den Drebachern zählt die Genossenschaft in Borsdorf bei Leipzig zu den Vorreitern. Der durch den Ukraine-Krieg ausgelöste Energiepreisschock hat der Bewegung neuen Zulauf beschert: Vielerorts finden Infoveranstaltungen statt, Initiatoren berichten von regem Interesse. Bei der Mitgliederwerbung sei aber ein langer Atem gefragt, sagt Thomas Walther.